Statt Notfalleinsätze zu fahren: Rettungswagen werden zweckentfremdet

Seit Jahren gibt es im Landkreis Wolfenbüttel eine Versorgungslücke in der Notfallrettung sowie dem qualifizierten Krankentransport. Es ist eine Frage des Geldes.

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Symbolbild | Foto: Werner Heise

Wolfenbüttel. Statt für Notfalleinsätze zur Verfügung zu stehen, bei denen der Faktor Zeit oftmals eine wichtige Rolle spielt, werden die Rettungswagen (RTW) in Wolfenbüttel immer wieder für Krankentransportfahrten eingesetzt. Obwohl sie dafür gar nicht vorgesehen sind, hält dieser Zustand bereits seit etlichen Jahren so an. Allein im Betrachtungszeitraum von 2020 bis heute trifft dies auf 2.431 Fälle zu, wie der Landkreis Wolfenbüttel auf Anfrage von regionalHeute.de mitteilt. Der Kreistag will dem entgegenwirken und hat jetzt finanzielle Mittel für die Einrichtung einer weiteren Krankentransportschicht freigegeben.


Bei Krankentransporten handelt es sich um den sitzenden oder liegenden Transport sowie die medizinisch fachliche Betreuung von nicht lebensbedrohlich oder akut schwer erkrankten Patienten ins Krankenhaus oder zu niedergelassenen Ärzten. Auch Entlassungsfahrten aus dem Krankenhaus oder der Rücktransport aus der Arztpraxis zurück nachhause fallen beispielsweise in diese Kategorie.


Wie viele Notfalleinsätze durch andere, weiter entfernte Rettungswagen durchgeführt wurden, während der eigentlich zuständige mit einem Krankentransport gebunden war, lässt sich nicht ermitteln. "Hierzu liegen leider keine konkreten Daten vor", teilt der für den Rettungsdienst zuständige Landkreis Wolfenbüttel mit. "Im Rahmen der Nächste-Fahrzeug-Strategie war in den Jahren 2020 und 2021 in 2.288 Einsätzen ein RTW eines benachbarten Rettungsdienstes das ersteintreffende Fahrzeug am Einsatzort. Gründe hierfür können sowohl im Einsatzort (zum Beispiel Randbereiche des Landkreises), in der mangelnden Verfügbarkeit eines RTW infolge anderer Notfalleinsätze und in der mangelnden Verfügbarkeit von RTW infolge von Krankentransportfahrten liegen", erläutert Pressesprecher André Wilhelm.

Versorgungslücken sind seit Jahren bekannt


Bereits im Jahr 2017 sei laut einer Verwaltungsvorlage des Landkreises erstmals gutachterlich festgestellt worden, dass es Versorgungslücken sowohl in der Notfallrettung als auch im qualifizierten Krankentransport gebe. Es erscheine dem Landkreis daher nun dringend geboten, auf die offenkundigen Defizite zu reagieren.


Das geschieht jetzt mit der Einrichtung einer zusätzlichen Schicht für Krankentransportfahrten, in der Zeit von Montag bis Freitag von 7 bis 17 Uhr. Vorerst bis zum 31. März 2022. Der Kreistag hat dafür finanzielle Mittel in Höhe von 68.500 Euro bereitgestellt und geht damit in Vorleistung. Denn der Landkreis Wolfenbüttel ist zwar per Gesetz Aufgabenträger des Rettungsdienstes, doch die Kosten sind eigentlich von den gesetzlichen Krankenkassen sowie der gesetzlichen Unfallversicherung zu übernehmen. Letztere haben daher ein essenzielles Mitspracherecht, wenn es darum geht, Verfügbarkeiten zu erhöhen.

Mit den Kostenträgern werde daher aktuell abgestimmt, ob und inwieweit sie bereit sind, die zusätzlichen Kosten für eine weitere Krankentransportschicht zu berücksichtigen. "Im Interesse der Sicherheit der Kreisbevölkerung wird vorgeschlagen, auch unabhängig von einer Kostenzusage die Fahrzeugvorhaltung zu erhöhen. Es wird erwartet, zumindest einen Teil der Kosten über zusätzliche Einsatzfahrten refinanzieren zu können", heißt es vonseiten der Kreisverwaltung an die kommunalen Abgeordneten.

Vom Landkreis Wolfenbüttel ist das Deutsche Rote Kreuz (DRK) mit der Aufgabe des Rettungsdienstes beauftragt worden. Seit dem Jahr 1978 stellt es den qualifizierten Krankentransport sowie seit 1981 einen Notfallrettungsdienst mit bodengebundenem Notarztsystem. Durch das DRK soll nun auch die zusätzliche Krankentransportschicht durchgeführt werden. Die Bereitschaft und Verfügbarkeit dafür habe es signalisiert.

Cremlingen und Baddeckenstedt unterversorgt


Doch es gibt weitere Probleme. Die Gemeinde Cremlingen und die Samtgemeinde Baddeckenstedt sind bei Notfällen unterversorgt. Für Cremlingen ist bereits seit Juli 2019 bekannt, dass die Errichtung einer neuen Rettungswache vor Ort erforderlich ist. Doch die Kostenträger wollten, dass zunächst geprüft wird, ob nicht die benachbarten Rettungsdienstträger, die Stadt Braunschweig und der Landkreis Helmstedt, die Notfallversorgung mit übernehmen könnten.


Die Prüfung nahm abermals Monate Zeit in Anspruch und fiel letztendlich negativ aus. Doch anstatt dem Landkreis Wolfenbüttel die Zusage für eine neue Rettungswache in Cremlingen zu geben, musste ein neues Gutachten in Auftrag gegeben werden, das die Überlagerungen der Versorgungsbereiche der einzelnen Rettungswachen überprüft. Das liegt mittlerweile vor und muss nun zu einer Überarbeitung des Rettungsdienst-Bedarfsplanes führen, welcher dann wieder mit den Kostenträgern abgestimmt werden muss.

Eintreffzeiten von über 20 Minuten


Für Baddeckenstedt prüft der Landkreis Wolfenbüttel derzeit, ob eine rettungsdienstliche Versorgung durch den Landkreis Hildesheim möglich ist. Die Stadt Salzgitter, die gemäß einer Vereinbarung die rettungsdienstlichen Aufgaben in diesem Teil des Landkreises übernimmt, hat nach Auswertung von Einsatzdaten festgestellt, dass die vorgegebene maximale Eintreffzeit von 15 Minuten in der Samtgemeinde Baddeckenstedt lediglich in 70 Prozent der Fälle erreicht wird. Auf Anfrage von regionalHeute.de teilt der Landkreis Wolfenbüttel mit: "Die durchschnittliche Anfahrtszeit lag im Zeitraum 2020-2021 bei 12:03 Minuten und die durchschnittliche Eintreffzeit bei 14:15 Minuten. Auswertbar in diesem Zeitraum waren 1.024 Fahrten. Von diesen Fahrten hatten 11 Fahrten eine Eintreffzeit von über 20 Minuten."


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