Tod am Antoinettenweg: Gutachter entlastet Sanitäter

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Am Mittwoch wurde der Prozess gegen eine Mann fortgeführt, der im Verdacht steht, seine Frau erstochen zu haben. Foto: Anke Donner
Am Mittwoch wurde der Prozess gegen eine Mann fortgeführt, der im Verdacht steht, seine Frau erstochen zu haben. Foto: Anke Donner

Wolfenbüttel/Braunschweig. Am heutigen Mittwoch wurde der Prozess gegen einen 57-Jährigen aus Wolfenbüttel wegen des Verdachts des Totschlags an seiner Frau vor dem Landgericht fortgesetzt. Im Mittelpunkt des Verhandlungstages stand ein Gutachten, das Aufschluss darüber geben sollte, ob die Rettungssanitäter richtig gehandelt haben.


Der Angeklagte soll im Februar dieses Jahres seine Frau mit Messerstichen so schwer verletzt haben, dass sie kurze Zeit später starb. Der Angeklagte bestreitet die Tatvorwürfe.

Zu Beginn der Verhandlung aber wurde Prof. Dr. med. Wilhelm Behringer als Sachverständiger angehört. Er sollte dem Gericht noch einmal darlegen, ob die Rettungssanitäter und auch die Leitstelle richtig gehandelt hatten, nachdem der vom Ehemann abgesetzte Notruf einging. Dazu wurde der Notruf während der Verhandlung noch einmal abgespielt. Hier ist zu hören, wie der Angeklagte gegenüber der Leitstelle erklärte, dass seine Frau eine Stichverletzung im Bein habe und er einen Notarzt benötige, da seine Frau sonst verblute. Im Hintergrund ist eine schwache Frauenstimme zu hören, die „nein, nein, nein", „Ich brauche keinen Notarzt“ und „Schneid`s Du mir raus!“ sagt. Diese Aufnahme, das Protokoll des Tattages und Bilder der Verletzten sollten dem Sachverständigen Aufschluss über die Situation geben.

Kein Fehlverhalten der Sanitäter und Leitstelle


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Vor der Großen Strafkammer wurde der Fall verhandelt. Foto: Anke Donner



Behringer erklärte, dass sich die Sanitäter seiner Ansicht nach zumindest nicht falsch verhalten hätten. Für sie galt in erster Linie die Eigensicherung. Und auch der Umstand, dass der Notarzt nicht von Beginn an am Unglücksort zugegen war, sei laut Behringer nicht ungewöhnlich. Laut eines Notarztinidkationskatalogs sei nur bei Stichverletzungen im Kopf-, Hals- oder Rumpfbereich die sofortige Anforderung und Anwesenheit eines Notarztes erforderlich. Da sich die Stichverletzung im Bein der Frau befunden habe, könne er ein Fehlverhalten oder eine Fehleinschätzung der Leitstelle ausschließen.

Die Verteidigung sieht die 15 Minuten, die verstrichen sind, bis Silvia P. im Krankenwagen behandelt wurde, kritisch. Wegen des vielen Blutes und der undurchsichtigen Lage hatten die Sanitäter die Gefahr im Haus nicht einschätzen können und entschieden sich, die Verletzte erst in den Krankenwagen zu transportieren und dort Maßnahmen einzuleiten. Dort brach jedoch ihr Kreislauf wegen des hohen Blutverlusts zusammen, Reanimationsmaßnahmen zeigten keine Wirkung. Die 55-Jährige stirbt. Die Frage die nun also im Raum steht: Hätte der Tod der Frau verhindern werden können, wenn man statt im Krankenwagen, im Schlafzimmer behandelt hätte? Dazu erklärte Behringer, dass die Blutung laut Protokoll bereits gestillt war und erst beim Abtransport der Verletzten die Wunde wieder aufbrach. Da es sich seiner Ansicht nach um eine venöse Blutung handelte, wäre beispielsweise ein Abbinden noch am Auffindeort wirkungslos gewesen. Die Verletze erst im Rettungswagen zu behandeln, könne seiner Auffassung nach nicht als Fehlverhalten gewertet werden.

Sanitäter fühlten sich bedroht


Eine weitere Frage, die vor allen die Verteidiger Martin Voß und Johann Schwenn geklärt haben wollten, war: Wie sehr spielt die von den Sanitätern wahrgenommene Bedrohung durch den Angeklagten eine Rolle und gab es diese überhaupt noch? Denn der mutmaßliche Täter sei durch die anwesenden Polizisten gesichert gewesen und stellte so keine Bedrohung dar. Das Gefühl der Bedrohung habe man sehr wohl in die Betrachtung einfließen lassen. Wenn die Sanitäter erklärten, sie fühlten sich bedroht, dann müsse man das auch so berücksichtigen. Eigensicherung stehe immer an erster Stelle, so Behringer. „Wir möchten hier noch einmal deutlich machen, dass es sich bei der Frage, ob die Sanitäter richtig gehandelt haben, lediglich um einen Nebenschauplatz des Prozesses handelt", so Voß nach der Verhandlung. Zweifel gab es seitens der Verteidigung auch darüber, ob dem Sachverständigen alle Informationen seitens des Gerichts richtig zur Verfügung gestellt worden sind. So sei nicht mitgeteilt worden, dass die Sanitäter nach deren eigener Aussage die Stichwunde sofort nach dem Eintreffen erkannt hatten, gleichwohl über 10 Minuten untätig geblieben sind, da sie meinten, sich in Gefahr zu befinden.

Gutachten bestätigt hohe Wahrscheinlichkeit der Selbstverletzung


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Rechtsanwalt Martin Voß. Foto: privat



Zum Abschluss des Verhandlungstages verlas Schwenn noch ein Gutachten des bundesweit anerkannten Sachverständigen Professor Kröber aus Berlin, das besagt, dass die Selbstzuführung der Stichverletzungen nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich sei. Es handelt sich um eine realistische Möglichkeit, dass sich die Verstorbene die Stichverletzungen in Bein und Schulterblatt selber zugefügt habe. Nicht zwangsläufig aus Selbsttötungsabsicht, sondern eher, um Schmerzempfindungen zu attackieren. Über das Ausmaß ihrer Verletzungen sei sie sich vielleicht auch nicht bewusst gewesen. Zudem stand sie unter dem Einfluss von Alkohol und Tabletten, was auch noch zu einem verminderten Schmerzempfinden beigetragen haben könnte. Auch die Aufnahme des Notrufes deute darauf hin, dass die 55-Jährige in Absicht gehandelt hatte. Auf dem Band ist zu hören, dass die Frau davon sprach, etwas aus sich herausschneiden zu wollen. Zudem wollte sie offenbar verhindern, dass ihr Mann den Notruf verständigte, indem sie "nein, nein, nein" und "ich brauche keinen Arzt" sagte.

Schwenn beantragte, das Gutachten als Beweismittel zuzulassen und schlug vor, den Sachverständigen an einem der kommenden Verhandlungstage anzuhören. Das Gericht muss nun prüfen, ob dem Antrag stattgegeben werden kann. Die Verhandlung soll am kommenden Dienstag um 9 Uhr fortgesetzt werden. Bis dahin gilt zumindest für die Verteidigung: In dubio pro reo - Im Zweifel für den Angeklagten. Denn ob Jürgen P., der sich auf freiem Fuß befindet, tatsächlich für den Tod seiner Frau verantwortlich ist, gilt es noch zu beweisen. Die Verteidigung schließt einen Freispruch nicht aus. „Die Ausführungen des anerkannten Sachverständigen haben überzeugt. Es spricht alles dafür, dass sich die Ehefrau des Angeklagten, die unter Alkohol- und Medikamenteneinfluss stand, die Messerstiche selbst beigebracht hat. Die Aufrechterhaltung des Haftbefehls war unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigen. Damit ist auch eine Verurteilung nicht mehr sehr wahrscheinlich“, erklärte Anwalt Martin Voß bereits im September gegenüber regionalHeute.de.

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