Berlin. Fünf deutsche Umweltverbände haben am Mittwoch gemeinsam angekündigt, insgesamt drei neue Verfassungsbeschwerden gegen die Klimapolitik der Bundesregierung und die Novelle des Klimaschutzgesetzes beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Die Beschwerden sollen dabei mit unterschiedlichen Klägern geführt werden, die in verschiedenen Lebensbereichen von der Klimakrise betroffen sind.
Bislang wurde die von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Reform des Klimaschutzgesetzes noch nicht von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnet. "Wir hoffen darauf, dass am Ende der aktuellen rechtlichen Prüfung der Bundespräsident Verantwortung übernimmt und die verfassungswidrige Gesetzesnovelle nicht unterschreibt", sagte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). "Wir haben uns aber auch auf den anderen Fall vorbereitet, die Entkernung des Klimaschutzgesetzes über eine Verfassungsbeschwerde zu stoppen. Die Entkernung würde bedeuten, dass die aktuelle Regierung nicht eine Klimaschutzmaßnahme mehr auf den Weg bringen muss, obwohl ihr eigener Expertenrat ihr das Reißen der verpflichtenden Klimaziele attestiert."
Rechtsanwalt Remo Klinger, der gemeinsam mit der Rechtsanwältin Roda Verheyen bereits 2021 eine Verschärfung des Klimaschutzgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten hatte, hält die Gesetzesnovelle der Ampelkoalition für unvereinbar mit dem Urteil von 2021. "Die Änderung des Klimaschutzgesetzes macht die Prokrastination der Klimaschutzanstrengungen der Bundesregierung zum Gesetz", sagte er. "Mit dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts aus 2021 ist dies unvereinbar. Denn danach soll der Klimaschutz gerade nicht auf die lange Bank geschoben werden."
Umweltrechtlerin Verheyen verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht 2021 in seiner Entscheidung anerkannt hatte, dass Deutschland ein begrenztes CO2-Buget zur Verfügung steht. "Das deutsche Budget ist 2033 oder 2037 schlicht aufgebraucht", sagte sie. "Die Vollbremsung, die das Bundesverfassungsgericht 2021 in seinem Klimabeschluss beschrieben hat und die es abzuwenden gilt, um die Grundrechte der Bürger dieses Landes zu schützen - diese Vollbremsung droht." Ein zu langsames Tempo beim Klimaschutz können man sch nicht mehr leisten. "Maßnahmen wie im Verkehrssektor aufzuschieben, verletzt Grundrechte."
Verheyen sieht die Klagen auch durch die jüngste Klima-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestärkt. "Im April 2021 hat dieser entschieden, dass es ein Menschenrecht auf Schutz vor den Folgen des Klimawandels gibt, und zwar basiert auf Artikel 8 für europäischen Menschenrechtskonvention."
Die drei Klagen begründet die Anwältin mit der geplanten Abschaffung der spezifischen Ziele für einzelne Bereiche wie Wohnen und Verkehr, aber auch mit einem drastisch geschrumpften CO2-Budget. "Die Sektorziele sind als verbindliche Sektorziele abgeschafft. Damit ist der Gesamtreduktionspfad im Gefahr - und damit die intertemporalen Freiheitsrechte, die das Bundesverfassungsgericht zum zentralen Element seiner Entscheidung gemacht hatte", so Verheyen.
"Wir haben keine nachholenden Aktivitäten mehr. Die Sofortprogramme wurden gestrichen oder sind viel zu spät." Konkret werde über die Maßnahmen nach 2030 erst 2029 nachgedacht, so die Umweltrechtlerin. "Das ist nicht gut genug und nicht grundrechtsschonend. Der vom Bundesverfassungsgericht beschworene entwicklungsfördernde Planungshorizont und der Planungsdruck entfällt - das Gegenteil von dem, was das Bundesverfassungsgericht wollte."
Die zweite Ebene seien die Ambitionen. "Das globale Treibhausgasbudget ist erheblich geschrumpft durch Verbrauch und durch neue Methoden. Es ist circa ein Drittel kleiner als vom Bundesverfassungsgericht noch angenommen", erklärte die Anwältin. "Das stellt uns vor sehr schwierige Aufgaben."
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht bislang nur Ziele verschärfte, es aber vermied, bestimmte Klimaschutzmaßnahmen anzuordnen, sieht Verheyen dieses Mal Chancen dafür. "Wir brauchen endlich wirksame Maßnahmen, vor allem im Verkehrsbereich. Die Mobilität als Ganzes steht auf dem Spiel und damit die Freiheitsrechte ganzer Generationen. Die Untätigkeit heute verletzt die Grundrechte und wir laufen eine Situation, wo Freiheit nur noch eine Frage des Geldbeutels ist." Der Gesetzgeber müsse dagegen Vorkehrungen treffen, sagte sie. "Das kann das Bundesverfassungsgericht anordnen und das verlangen wir in unserer Verfassungsbeschwerde ganz ausdrücklich."
Greenpeace-Vorstandssprecherin Baro Vicenta Ra Gabbert warnte vor der geschilderten Situation ausdrücklich. "Freiheit darf nicht vom Geldbeutel abhängen", sagte sie. "Wir brauchen eine klimafreundliche und sozial gerechte Verkehrswende mit besseren ÖPNV-Anbindungen als Alternative zum eigenen kostspieligen Auto."
Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch, machte insbesondere Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) verantwortlich. "Durch die bisherige Untätigkeit von Verkehrsminister Volker Wissing sind in wenigen Jahren wesentlich härtere Maßnahmen unvermeidlich - damit wird in Freiheitsrechte eingegriffen", sagte Bals. "Besonders betroffen sind Menschen auf dem Land mit geringem Einkommen, für die bislang kein Mobilitätsangebot aufgebaut wurde."
Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND, warnte vor einem Zögern und Aussitzen beim Klimaschutz. "Ohne eine wirksame Klimapolitik können wir unseren Wohlstand und unsere Sicherheit nicht erhalten. Noch ist es nicht zu spät, aber dafür ist jetzt ehrgeiziges Handeln nötig." Die verpassten Chancen von heute seien die Krisen von morgen, so Bandt. "Die Regierung hat einen Eid zum Wohle Deutschlands und zur Wahrung des Grundgesetzes geleistet. Wir fordern die Regierung auf, sich daran zu halten."
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