VW Abgas-Skandal: Betrugsprozess wird heute eröffnet

Am heutigen Donnerstag beginnt der Prozess vor dem Braunschweiger Landgericht im sogenannten NOx-Verfahren.

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Braunschweig/Wolfsburg. Am heutigen Donnerstag beginnt vor dem Braunschweiger Landgericht das sogenannte NOx-Verfahren gegen vier - zum Teil ehemalige - Mitarbeiter der Volkswagen-AG wegen des Vorwurfs des banden- und gewerbsmäßigen Betruges und anderer Straftaten. Der Prozess wird in der Stadthalle geführt.


Die Hauptverhandlung, für die bisher 22 Verhandlungstag angesetzt sind, richtet sich gegen vier Angeklagte im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Verwendung einer Abschalteinrichtung. Wie das Landgericht Braunschweig in einer Presseinformation mitteilt, hat die 6. Große Strafkammer die Hauptverhandlung gegen die vier Angeklagten, teilweise in Abweichung zu der Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig, wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall und mit strafbarer Werbung beziehungsweise wegen Beihilfe zu diesen Delikten eröffnet.

Anders als die Staatsanwaltschaft Braunschweig habe die Kammer hierbei keinen hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich des Vorwurfs der Untreue beziehungsweise der Beihilfe hierzu sowie der mittelbaren Falschbeurkundung angenommen. Maßgebend sei laut Gericht insoweit die Eröffnungsentscheidung der 6. Großen Strafkammer. Die Angeklagten sollen die Tat in teilweise unterschiedlichen Zeiträumen zwischen November 2006 und September 2015 begangen haben.

Laut Anklage sollen die Angeklagten als Führungskräfte des Automobilherstellers Volkswagen dafür verantwortlich gewesen sein, dass Behörden und Kunden in Europa und den USA mittels einer unzulässigen Software (sogenannte „Akustikfunktion“) darüber getäuscht worden seien, dass die Abgasnormen von Dieselfahrzeugen nicht eingehalten worden seien. Gesetzliche Vorschriften hätten zum Schutz von Mensch und Umwelt Grenzwerte für die Emission von Schadstoffen, einschließlich Stickoxiden (NOx) vorgegeben. Die Einhaltung dieser Grenzwerte werde unter geregelten Messbedingungen auf Fahrzeugprüfständen festgestellt. Die Verwendung einer als Abschalteinrichtung („Defeat Device“) fungierenden Software sei gesetzlich untersagt gewesen.

Abgaswerte manipuliert


Mit Kenntnis der Angeklagten sei entgegen den rechtlichen Vorgaben in den Motorsteuergeräten der Dieselmotoren Typ EA 189 und EA 288 eine solche Abschalteinrichtung eingepflegt worden. Diese Software habe einen behördlichen Emissionstest erkannt und sodann die Systeme des Autos dergestalt beeinflusst, dass die Stickoxidemissionen stets unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte geblieben seien. Dahingegen habe unter Normalbetrieb der entsprechenden Fahrzeuge ein deutlich höherer NOx-Ausstoß vorgelegen, der oberhalb der gesetzlichen Grenzwerte gelegen haben. Grund hierfür sei gewesen, dass die Effektivität der Emissionskontrollsysteme außerhalb des sogenannten Testmodus verringert worden sei. Aufgrund der beschriebenen Abschalteinrichtung seien in Deutschland, Europa und den USA bei den zuständigen Behörden Fahrzeuggenehmigungen beantragt und ausgegeben worden. Hierbei sei die illegale Abschalteinrichtung jeweils verschwiegen worden. Insgesamt seien 9.058.621 Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Seat und Skoda an Importeure, Händler, Vertriebsgesellschaften und Endkunden verkauft worden, obwohl die Fahrzeuge nicht zulassungsfähig gewesen seien. Die Angeklagten hätten hiervon Kenntnis gehabt und diese Vorgehensweise gewollt.

In die eigene Tasche gewirtschaftet?


Zudem seien mit Kenntnis und Billigung der Angeklagten in Europa irreführende Werbematerialien in den Markt gegeben worden, um die Fahrzeuge der Konzerngesellschaften als besonders umweltfreundlich zu bewerben und zu vermarkten. Die Angeklagten hätten durch ihre leitenden Stellungen in für die illegale Abschalteinrichtung relevanten Abteilungen der Volkswagen AG Kenntnis von den vorstehenden Umständen gehabt, hätten die Software mit entwickelt beziehungsweise seien gegen die Fortentwicklung der Software nicht eingeschritten. Laut der Anklage hätten die Angeklagten dem Unternehmen durch ihr Handeln möglichst hohe Gewinne verschaffen wollen, da ihre Bonuszahlungen hiervon abhängig gewesen seien.

Dem hinreichenden Tatverdacht des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs liege nach der Eröffnungsentscheidung der Kammer der Vorwurf zugrunde, dass Käufer bestimmter Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern über deren Beschaffenheit, insbesondere die Verwendung einer sogenannten Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware getäuscht worden seien, durch die eine Einhaltung der maßgeblichen Stickoxidemissionen lediglich auf dem Teststand gewährleistet gewesen sei. Die Käufer hätten hierdurch jeweils einen Vermögensschaden erlitten.


Anders als die Staatsanwaltschaft, die gegenüber den Angeklagten lediglich den Vorwurf eines Vergehens des Betrugs im besonders schweren Fall erhoben habe, sehe die Kammer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine bandenmäßige Begehung der Tat durch die Angeklagten und hat ihrer Eröffnungsentscheidung daher jeweils die Verwirklichung des Verbrechens des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs zugrunde gelegt.

Weltweiter Betrug


Der Vorwurf des Betrugs betreffe insgesamt etwa neun Millionen Fahrzeuge, die in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika verkauft worden sein sollen. Es stehe ein Vermögensschaden der Käufer in Höhe von insgesamt mehreren Hundert Millionen Euro im Raum. Zwei der Angeklagten werde eine Beteiligung an der Tat allerdings nicht für den gesamten Tatzeitraum, der sich von 2006 bis 2015 erstrecken soll, zur Last gelegt, so dass sich der Tatverdacht für diese Angeklagten auf geringere Fahrzeugzahlen und Schadenssummen beziehe.

Der Vorwurf der Steuerhinterziehung betreffe etwa 6.800 Fahrzeuge, die aufgrund der unzutreffenden Annahme, dass sie die Schadstoffklasse „Euro 6“ erfüllten, in Deutschland in den Jahren 2011 bis 2013 zu Unrecht eine Kraftfahrzeugsteuerbefreiung von jeweils bis zu 150 Euro erhalten hätten. Es steht insoweit ein Steuerschaden von insgesamt etwa 820.000 Euro im Raum. Weil dieser Steuerschaden ein großes Ausmaß darstellen könnte, habe die Kammer – auch insoweit weitergehend als die Staatsanwaltschaft – ihrer Eröffnungsentscheidung den hinreichenden Tatverdacht eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung zugrunde gelegt. Der Vorwurf der strafbaren Werbung beziehe sich auf Werbemaßnahmen, durch die besondere tatsächlich nicht vorhandene Vorzüge von Fahrzeugen im Bereich der Emissionen angepriesen worden sein sollen.

Das gegen den Angeklagten Prof. Dr. Winterkorn gerichtete Verfahren wurde mit Beschluss der Kammer vom 9. September abgetrennt. Der Angeklagte Prof. Dr. Winterkorn wird daher an der anstehenden Hauptverhandlung nicht als Angeklagter teilnehmen.


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