Region. In der vergangenen Woche wurde über Gerüchte berichtet, wonach der Volkswagen-Konzern in die Formel 1 einsteigen möchte (regionalHeute.de berichtete). Darauf reagierten unsere Leser mehrheitlich mit Spott und Unverständnis, wobei sie kritisierten, dass die angestrebte Umweltfreundlichkeit des Konzerns und die angekündigten Entlassungen im Kontrast zu den Kosten und Umweltbelastungen stehen, die mit einem Einstieg verbunden sind. Ein Einstieg Volkswagens wäre aber für beide Seiten ein Gewinn, findet unser Redakteur Martin Laumeyer. Kritikpunkte gibt es dennoch.
Die Formel 1 hat ein Problem: Es gibt zu viele Fahrer und zu wenige Teams. Bei aktuell zehn Teams und 20 Fahrern ist kaum bis gar kein Platz für junge Talente, die entweder in der Formel 2 vor sich hindümpeln oder in andere Rennserien ziehen. Und selbst als Testfahrer gibt es keine Garantie für einen Einsatz in der Königsklasse: Als Hamilton in der vergangenen Saison krankheitsbedingt ausfallen musste, ersetzte ihn sein zukünftiger Teamkollege George Russell, der noch für den Konkurrenten Williams fährt. Der eigentliche Testfahrer wurde somit "übergangen". Ferner ist das Starterfeld zudem auf 26 mögliche Fahrer, also 13 Teams, begrenzt.
Ein weiterer Grund für diesen Mangel an Plätzen ist, wer hätte es bloß ahnen können, das Geld. Als Fahrer benötigt man Sponsoren, die somit frisches Kapital in das Team bringen. Gutbetuchte Fahrer werden im teuren Formelsport bevorzugt. Daher ergibt es Sinn, dass sich die Königsklasse auf die Suche nach neuen Gesichtern begibt und sich dabei auf Großkonzerne fokussiert. Da kommt der Wolfsburger Volkswagen-Konzern in Spiel: Er hat die nötige Infrastruktur, Erfahrung und das Geld, um in der Formel 1 konkurrenzfähig zu sein. Ein Einstieg würde somit mehr Fahrern eine Möglichkeit geben. Doch was bietet die Formel 1 für Volkswagen?
Was ist mit der Formel-E?
Um finanzstarke Konzerne an Land ziehen zu können, plant die prestigeträchtige Rennserie verschiedene Maßnahmen, um langfristig die Kosten zu senken und grüner zu werden. Damit soll es auch langfristig wieder möglich sein, in einer umweltbewussten Welt mit einem Formel-1-Team größere Gewinne einzufahren als bisher. Dass mehr auf Umweltbewusstsein gesetzt wird, würde auch zum angestrebten grünen Ansehen der Wolfsburger passen. Die Frage ist jedoch, ob VW "nur" als Motorenlieferant oder mit einem eigenen Team an den Start geht. Je nachdem wären andere Kosten und Aufgaben verbunden. Als Team muss man demnächst weltweit zu 23 Rennen fahren - eine Meisterleistung der Logistik, aber auch sehr umweltbelastend.
Hier vergessen jedoch viele Menschen, dass die Formel 1 nicht die einzige Rennserie der Welt ist. Auch die "grünere" Formel-E, in der der Konzern mit den Marken Audi und Porsche vertreten ist, ist ebenso in vielen Ländern der Welt zu Gast. Aus dieser wird sich der Konzern jedoch weitestgehend zurückziehen, wie auch die Branchenkonkurrenten BMW und Daimler. Einzig Porsche wird als Team hier aktiv bleiben, wobei Audi noch als "Motorenlieferant" für ein Team vertreten sein wird. Dieser Schritt steht der Fokussierung auf E-Mobilität entgegen, die im Alltagsgeschäft vorangetrieben wird. Zudem ist laut übereinstimmenden Medienberichten die Auflösung der Motorsportabteilung Volkswagens für dieses Jahr geplant gewesen.
Widersprüche: die eigentliche Problematik
Damit liegt die eigentliche Problematik nicht in einem Einstieg an sich, sondern in den Widersprüchen, die zurzeit vorherrschen und zwischen denen man als Rennserie einen Spagat machen müsste. Neben der Umweltproblematik, gegen die aber Maßnahmen getroffen werden, wird die Tradition und der Kult um die Rennserie hochgehalten, aber Traditionsrennstrecken, können sich die Austragung eines Rennens nicht mehr leisten. Dafür fährt man demnächst in Saudi-Arabien, aber natürlich ohne die "W Series", der Frauen-Rennserie im Rahmenprogramm, und ob dort die Regenbogenfahnen zu sehen sein werden, die auf Autos und Helmen zu finden sind, wird sich ebenfalls noch zeigen. Die Formel 1 muss aufgrund ihrer Berühmtheit und ihres Status als "Weltmeisterschaft" einen Mittelweg zwischen der Umwelt, dem globalen, diversen Publikum und der Wirtschaftlichkeit finden.
Volkswagen müsste sich daher zum einen in diesem Konstrukt zurechtfinden und zum anderen selbst glaubhaft vermitteln, dass die Formel 1 zum Konzern und seinen Werten passt. Als Formel-1-Anhänger wäre es zwar eine schöne Sache, VW fahren zu sehen, aber, und da stimme ich unseren Lesern zu, kann den Arbeitern, die maßgeblich am Erfolg der Marke verantwortlich sind, ein Einstieg nicht vermittelt werden, wenn zuvor noch die Rede von Stellenstreichungen und E-Mobilität ist, auch wenn ein Formel-1-Team von der Aller viel Potenzial für die Region und Deutschland birgt und die beschriebenen Maßnahmen der Königsklasse Einstiegshürden wegnehmen. Denkbar wären zum Beispiel neue Arbeitsplätze im Rahmen des Formel 1-Programms oder auch neue Forschungs- und Testanlagen.
Es liegt mir fern darüber zur urteilen, ob diese neuen Installationen die verlorenen Arbeitsplätze wieder wettmachen würden und es weiter liegt mir fern über die wirtschaftliche Ausrichtung eines Weltkonzerns zu urteilen, wenn ich keinen genauen Überblick über die Zahlen und die Firmenstrategie habe. Doch in einer Zeit der Aufmerksamkeitsökonomie und der noch nicht vergessenen Skandale machen sich diese aufgezeigten Widersprüche nicht gut. Diese müssten im Zuge eines Einstiegs klar und deutlich aus dem Weg geräumt werden.
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