Wolfenbüttel. Einst als Wahrzeichen der Stadt bezeichnet, ist die bei vielen beliebte Wolf-Skulptur seit nunmehr schon sieben Jahren aus dem Wolfenbütteler Stadtbild verschwunden. Mittlerweile ist darum eine neue Debatte entfacht und so einige Wolfenbütteler wünschen sich ihren Wolf zurück. Kritiker sagen hingegen, das Tier hätte mit der Stadtgeschichte nichts zu tun. Doch stimmt das?
Wer dieser Frage nachgehen will, sieht sich plötzlich in einer gar nicht so einfachen und sehr zeitintensiven Recherche gefangen. Im Gegenzug erhält man einen spannenden Einblick sowohl in die geschriebene als auch die ungeschriebene Geschichte der Stadt. Trotz gegenteiliger Behauptungen dokumentiert die Literatur sehr wohl, dass der Wolf für die Stadt eine Rolle spielt.
Der Name Wolfenbüttel: "Es gibt unterschiedliche Deutungen"
Bei der feierlichen Enthüllung der Wolf-Skulptur des Bildhauers Erich Schmidtbochum am 27. Juni 1980 vor dem einstigen Karstadt Gebäude, hob der damalige Bürgermeister Heinz-Dieter Eßmann die Bedeutung des Wolfes für diese Stadt hervor und bezeichnete diesen als das älteste Wahrzeichen der Stadt. Das von einer Säule springende Pferd, das das heutige Stadtwappen bildet, tauche in der Geschichte erst viel später auf. An diese in der Braunschweiger Zeitung dokumentierte Aussage kann sich Eßmann heute zwar nicht mehr im Detail erinnern, sagt auf Anfrage von regionalHeute.de aber: "Ich weiß jedoch, dass es bei der Erforschung des Namens Wolfenbüttel sehr unterschiedliche Deutungen gibt."
regionalHeute.de begab sich auf Spurensuche und sichtete im Niedersächsischen Landesarchiv, in der Kreisbücherei im Bildungszentrum (Bücherbus), in der Stadtbibliothek Braunschweig sowie im Internet Bücher und Dokumente aus alten Zeiten und solche, die darüber berichten. Auch wenn sich in den Schriften der letzten Jahrhunderte Behauptungen und Vermutungen einzelner Personen finden lassen, die den Ursprung des Namens der Stadt Wolfenbüttel auf den tierischen Wolf zurückführen, so ist das nach dem heutigen Stand der Forschung falsch. Zumindest dann, wenn man wie der Lehrer und Theologe Christian Niemeyer im Jahre 1839 schreibt, dass die alte Burg Wolfenbüttel vermutlich von den einst in der dortigen sumpfigen Waldwildnis laufenden Wölfen ihren Namen habe.
Ein Mann mit dem Wolf
Gleichwohl man dies nicht sicher widerlegen kann, wird es aufgrund von Vergleichsbetrachtungen wohl vielmehr so gewesen sein, dass es irgendwann in den ersten hundert Jahren nach Christi einen Mann namens Wulfheri - in welcher Schreibweise auch immer - gab, der sich an der Oker im Bereich der heutigen Lessingstadt niederließ und man diesen Platz fortan Wulfherisbutle nannte. Butle, das heutige Büttel, deutet die Forschung als einen Ort, an dem eine Siedlung erbaut wurde.
Die Vornamen Wulfheri (später ohne h), Wulfer oder Wulferus und ähnliche Schreibweisen, sind 1118, zur Zeit der ersten urkundlichen Erwähnung Wolfenbüttels (Wlferesbutle), bereits weit verbreitet. Es wird davon ausgegangen, dass dieser vom heiligen tierischen Wolf abgeleitet wurde. So wie auch eben im heutigen Sprachgebrauch noch der Vorname Wolf existiert.
Doch all diese in der Wissenschaft diskutierten Punkte sind nur überzeugende Indizien. Ob es am Ende nicht doch jemanden gab, der die auf sumpfigen Grund errichtete Siedlung nach den dort streunenden Wölfen benannt hat, bleibt Spekulation. Zumindest die künstliche Intelligenz ChatGPT stützt diese Theorie, wenn man diese nach der Entstehung des Stadtnamens Wolfenbüttel befragt. Über den allgemeinen Wahrheitsgehalt von Aussagen dieser künstlichen Intelligenz haben wir jedoch bereits im Artikel "5 Dinge, die man noch nicht über Wolfenbüttel wusste - und die einfach nicht stimmen" kritisch berichtet.
Der Wolf im Siegel und im Wappen
Halten wir also fest, dass Wulfheri und somit Wlferesbutle, was sich in den folgenden Jahrhunderten hin zu Wolfenbüttel transformierte, so oder so auf den Wolf zurückgeht. Und so sah es vielleicht auch der damalige Adel. Die Familie von Wolfenbüttel-Asseburg, die auf den 1118 urkundlich erwähnten Widekindus de Wlferesbutle und damit ebenso die erstmalige Nennung Wolfenbüttels zurückzuführen ist, symbolisierte in ihren Siegeln und Wappen, die beginnend ab dem Jahr 1219 im Asseburger Urkundenbuch dokumentiert sind als bildliches Hauptelement stets den Wolf. Diesen übernahmen dann im Übrigen auch die Nachfahren des Widekindus im Geschlecht der von Bartensleben, zu deren Besitz später die Wolfsburg gehörte. Nach derer erhielt die erst 1938 von den Nazis gegründete "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben" später dann ihren heutigen Namen. Der Wolfenbütteler "Wolf" verhalf also dem Anschein nach dem Stammsitz von Volkswagen zu seinem Namen.
Eine Auswahl unterschiedlicher Siegel der Adelsfamilie Wolfenbüttel-Asseburg. Sie alle bilden einen Wolf als zentrales Element ab. Foto: Asseburger Urkundenbuch Band 1 aus 1876
Während die Stadt Wolfsburg ihren Wolf jedoch feiert und sowohl im Stadtwappen, als auch im Logo führt - ja sogar der Bundesligist VfL Wolfsburg seine "Wölfe" mit entsprechendem Geheul anfeuert, hat die Ursprungsstadt Wolfenbüttel das Tier derzeit gänzlich verbannt. Dabei setzten sich Stadtverwaltung und Politik einst dafür ein, dass eine Wolf-Skulptur nach Wolfenbüttel kommt. Oder vielleicht sollte man besser schreiben zurückkommt. Im "Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste" [!sic] von Zedler wurde 1748 festgehalten, dass bereits zu früherer Zeit ein aus Stein geschlagener Wolf über die Stadtmauer herabsah. Wortwörtlich wird dieser dort als Wahrzeichen der Stadt Wolfenbüttel bezeichnet. Eine im Niedersächsischen Landesarchiv Wolfenbüttel archivierte Radierung des zur früheren Festungsanlage zählenden Dammtores um 1740, zeigt einen die Zähne fletschenden Wolfskopf, der rechts oben neben dem Toreingang wacht.
Eine Radierung des Wolfenbütteler Dammtor um 1740 zeigt eindeutig einen die Zähne fletschenden Wolfskopf, der über die Stadt zu wachen scheint und lässt damit zumindest die Vemutung zu, dass der Wolf zu füheen Zeiten eine Rolle für die Stadt spielte. Foto: Niedersächsisches Landesarchiv Abteilung Wolfenbüttel, 50 Slg 33 Nr. 9a
Stadt erteilte Auftrag für einen Wolf
Der Bildhauer Erich Schmidtbochum, den die Braunschweiger Zeitung im April 1988 als "berühmtesten lebenden Wolfenbütteler" bezeichnete und der über sich selbst gern preisgab, im "Who's who"-Personenlexikon direkt neben Bundeskanzler Helmut Schmidt zu stehen, erhielt von der Stadt Wolfenbüttel zu seinem 65. Geburtstag im Jahr 1978 den Auftrag, eine Wolfs-Plastik zu erstellen. Der damalige stellvertretende Bürgermeister Fritz Erhoff gab Schmidtbochum an dessen Ehrentag den Wunsch mit auf den Weg, dass der Wolf bissig werden und der Künstler seinen Groll mit in die Arbeit legen solle. Denn den hegte Schmidtbochum gegen die Stadt Wolfenbüttel, da er sich trotz mehrerer für die Stadt geschaffener Werke viel mehr Aufträge erhofft hatte. Er war kein einfacher Charakter, heißt es.
Doch warum sollte es nun unbedingt ein Wolf sein? Die Antwort darauf weiß der frühere SPD-Ratsabgeordnete Klaus-Peter Bachmann. Er war es, der im Kulturausschuss am 20. Oktober 1978 beantragte, 20.000 Deutsche Mark für die "künstlerische Gestaltung der Fußgängerzone", eventuell durch eine Wolfs-Plastik, einzuplanen. Der Antrag wurde fraktionsübergreifend einstimmig angenommen. Damals war Bachmann 27 Jahre alt, wurde später Berufspolitiker, bis hin zum Vizepräsident des Niedersächsischen Landtags. Heute kann er sich im Gespräch mit regionalHeute.de noch gut an die Anfangszeit erinnern.
Eine Erwiderung auf Wolfsburg
Es sei sein Fraktionskollege Gerhard Weigert gewesen, der in einem gemeinsamen Gespräch mit dem Künstler die Idee der Wolfs-Skulptur von Schmidtbochum aufgeschnappt habe. Der Wolf sei dabei sehr wohl als Abbild des Stadtnamens zu verstehen gewesen. Allen Beteiligten sei aber klar gewesen, dass dieser aus dem männlichen Vornamen Wulfheri hervorgegangen sei, welcher eben vom Wolf abgeleitet wurde. Zudem wollte man die Skulptur als ein Replik auf Wolfsburg setzen. "Warum sollen die nur den Wolf haben?", habe man sich laut Bachmann gefragt.
So setzte sich Erich Schmidtbochum also in den Zoo von Amsterdam, um sich von den dort lebenden Wölfen inspirieren zu lassen und den sogenannten "Wolfenbüttel-Wolf" zu entwerfen. Zu Hause in seinem Atelier an der Friedrich-Wilhelm-Straße habe er dann noch die Mimik schärfer betont, damit die Skulptur nicht zum Schäferhund verkommt. Als er mit seiner Arbeit fertig war, habe er Kinder aus der Nachbarschaft eingeladen und ihnen erzählt, dass er einen Dackel gemacht habe. Doch die hätten geantwortet, dass das doch ein Wolf sei - und so war er mit seiner Arbeit zufrieden.
Fassen wir am Ende also zusammen: Der Wolf begleitet die Stadtgeschichte seit jeher. Sowohl im Namen als auch in Abbildungen von Siegel und Wappen der Adelsfamilie sowie als in Stein geschlagene Skulptur an der einstigen Stadtmauer. Über Jahrhunderte wird spekuliert, wie die Stadt zu ihrem Namen kam. Belegen kann man es am Ende nicht, doch gilt aufgrund vergleichender Forschung heute am wahrscheinlichsten, dass es einst einen Mann namens Wulfheri gab, was dem Wortstamm des heiligen Tieres Wolf entsprang. Der Wolf galt nicht nur in einem Lexikon aus dem Jahr 1748, sondern auch bei der Enthüllung der Wolf-Skulptur des Bildhauers Erich Schmidtbochum im Juni 1980, verkündet durch den damaligen Bürgermeister, als das Wahrzeichen der Stadt. Inwiefern dieser Teil geschriebener Stadtgeschichte auch heute noch von Wert ist, wird deren Fortschreibung beantworten.
Lesen Sie zu diesem Thema auch den Kommentar von regionalHeute.de-Chefredakteur Werner Heise: "Bessere Organisation, weniger Ausreden: Der absurde Umgang mit dem Wolf"
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