Region. Im September sollte nach dem Vorjahresdesaster rund um den Zusammenbruch der Server beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und der Katastrophenhilfe eigentlich der nächste große Test für die Bevölkerungswarnsysteme stattfinden. In vielen Fällen hat sich die Haltung geändert: Sirenen werden nun wieder als notwendig anerkannt, das Bundeskabinett hat den Weg für sogenannte "Cell Broadcasts" freigemacht. Vor dem Hintergrund der jüngsten Erfahrungen aus der Flutkatastrophe in NRW sind die Städte und Kreise in der Region sehr unterschiedlich aufgestellt. Unklarheiten herrschen vor allem über die Fördermöglichkeiten für Sirenenanlagen.
Es hätte alles auch schneller gehen können, so sind sich alle Städte und Kreise einig. "Die Corona-Pandemie hat den Prozess wie auch die Erstellung des Katastrophenschutzkonzepts verzögert; die Stelle Bevölkerungsschutz war im letzten Jahr durchgehend in die Pandemiebewältigung eingebunden", so Rainer Keunecke, Pressesprecher der Stadt Braunschweig. In allen Städten musste der Katastrophenschutz im vergangenen Jahr beispielsweise die Impfzentren betreiben, auch im Rest der Stadt- und Kreisverwaltungen, wie es aus den Rat- und Kreishäusern in der Region heißt, sei es nicht anders gelaufen.
Wie wird die Region künftig gewarnt?
Das Warn-Konzept mit Sirenen für die Bevölkerung in Braunschweig befinde sich laut Stadtsprecher Rainer Keunecke in der finalen Phase: "Wird das Konzept wie geplant noch in diesem Jahr fertiggestellt, soll es danach zeitnah den Ratsgremien vorgestellt werden." Das Konzept sieht vor, die Bevölkerung zu alarmieren und zu informieren (Information mit Verhaltensanweisungen durch Sprachdurchsagen). Die Planungen sehen eine Notstromversorgung für einen Zeitraum von mehr als 20 Tagen vor. "Die Integrierte Regionalleitstelle Braunschweig / Peine / Wolfenbüttel verfügt über eine Notstromversorgung, sodass Warnungen auch bei einem Stromausfall weiterhin ausgelöst werden können", erklärt Keunecke. Bei Bedarf könnten Warnmeldungen jedoch auch durch das Land Niedersachsen über die sogenannte Landeswarnzentrale eingespielt werden. "Kritisch ist jedoch die Empfängerinfrastruktur, da die Mobilfunknetze in der Regel nur kurze Zeit nach einem Stromausfall ebenfalls ausfallen. Daher verfolgt die Stadt Braunschweig das Ziel, wieder ein Sirenenwarnnetz zu installieren." Bis dahin erfolge die Warnung über die Warn-App Nina, die Social-Media-Kanäle und gegebenenfalls Lautsprecher- und Mediendurchsagen.
"Die Stadt Braunschweig hat das Ziel, wieder ein Sirenenwarnnetz zu installieren."
Die Stadt Wolfsburg kann sich in Bezug auf ihr Warnsystem quasi zurücklehnen. Das Projekt zur Errichtung hochmoderner Sirenen ist dort quasi abgeschlossen: "In Wolfsburg wurde bereits vor mehreren Jahren mit dem Wiederaufrüsten mit Hochleistungssirenen begonnen. Von den 50 Sirenen sind derzeit 48 aufgebaut und betriebsbereit. Die noch ausstehenden zwei Sirenen befinden sich gerade in der Phase der abschließenden Errichtung in diesem Jahr. Mit den derzeit vorhandenen 48 Sirenen in den Stadt- und Ortsteilen ist eine effiziente Warnung der Wolfsburger Bevölkerung möglich", berichtet Stadtsprecher Ralf Schmidt. Die gesamte Warntechnik der Stadt Wolfsburg sei mit unabhängigen Stromversorgungen ausgerüstet. Somit könne auch ein Betrieb bei einem flächendeckenden länger andauernden Stromausfall sichergestellt werden. "Die Stadt Wolfsburg ist eine der wenigen Städte, die über ein derart umfangreiches Warnsystem verfügt. Weiterhin sind alle wichtigen Standorte die für den Katastrophenschutz notwendig sind entsprechend gehärtet und verfügen über unabhängige Versorgungs- und Kommunikationssysteme." Als zusätzliches Warnsystem können Fahrzeuge mit Durchsagemöglichkeit eingesetzt werden. Diese seien aber, so Schmidt abschließend, bei weitem nicht so effizient wie die Sirenenanlage und binden zudem Fahrzeuge und Einsatzkräfte.
""Die Stadt Wolfsburg ist eine der wenigen Städte, die über ein derart umfangreiches Warnsystem verfügt."
Der Landkreis Peine antwortet auf die Frage nach den konkreten Maßnahmen, dass man mit den kreisangehörigen Gemeinden vereinbart habe, ein Alarmierungssystem aufzubauen. "Ob dies jedoch 2022 schon einsatzbereit sein wird, steht noch nicht fest", so Landkreissprecherin Katja Schröder. Auf die Frage nach dem Handeln bei größeren Katastrophen, die einen länger anhaltenden Stromausfall auch bei den Warn- und Informationssystemen nach sich ziehen, erklärt Schröder: "Der Landkreis Peine ist durch das mehrfache Üben derartiger Szenarien gut aufgestellt. Zu diesen Schadensereignissen gehört auch ein langanhaltender Stromausfall. Ein entsprechendes Konzept befindet sich in der Ausarbeitung." Selbstverständlich, so Schröder weiter, sei es in jedem Ereignisfall von erheblicher Bedeutung die Kommunikationsstrukturen sowohl der Einsatzkräfte als auch mit der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Die Kommunikation solle dabei möglichst breit über verschiedene Medien wie den Rundfunk, die sozialen Medien und die Warnapps gefächert werden. "Nichtsdestotrotz müssen neben den üblichen Kommunikationsstrukturen Redundanzen gefunden und ausgearbeitet werden, wie die Bevölkerung bei einem möglichen Ausfall der Systeme erreicht werden kann", so Schröder abschließend.
"Es müssen neben den üblichen Kommunikationsstrukturen Redundanzen gefunden und ausgearbeitet werden, wie die Bevölkerung bei einem möglichen Ausfall der Systeme erreicht werden kann."
Der Landkreis Gifhorn sieht laut Landrat Andreas Ebel derzeit wenig Anlass zur Sorge: "Der Warntag 2020 ist im Landkreis Gifhorn in Bezug auf die Überprüfung der Sirenen erfreulicherweise erfolgreich verlaufen. Probleme gab es lediglich bei der Probealarmierung über die App NINA. Diese Probleme werden durch den Bund, als Betreiber dieser App, behoben." Der Landkreis Gifhorn führt seit einigen Jahren zweimal pro Jahr eine Probealarmierung durch, die den Zweck hat, die vorhandenen Warnsysteme zu überprüfen sowie die Bevölkerung hierfür immer wieder zu sensibilisieren und zu schulen. Die Warnung per Sirene gilt im Landkreis Gifhorn als "Weckmittel", um die Bevölkerung aufzufordern, Radiogeräte und ähnliches einzuschalten. "Die Warnung über die App NINA ist nur bei vorhandener Internetanbindung über das Mobilfunknetz oder W-LAN möglich. Seitens des Bundes gibt es daher die Empfehlung, dass für solche Fälle in jedem Haushalt ein batteriebetriebenes UKW-Radio bereitgehalten wird, da die notwendigen Informationen insbesondere über die Rundfunkanstalten verbreitet werden", erklärt Ebel dazu und verspricht: "Im Landkreis Gifhorn kann eine Warnung der Bevölkerung vor Gefahren wie zum Beispiel Unwettern und Überflutungen jederzeit, rechtzeitig per Sirene und Warnapp erfolgen. Ein vergleichbares Ereignis mit Zusammenbruch der Stromversorgung, wie es (Anm. d. Red.: Bei der Flutkatastrophe) in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz eingetreten ist, ist im Landkreis Gifhorn aufgrund der gänzlichen anders gestalteten Topografie nicht zu erwarten."
"Nach aktuellem Stand ist die Warnung in dieser zweistufigen Form von Sirenen und Medien ausreichend."
Im Landkreis Goslar werden derzeit die Sirenenanlagen in den kreisangehörigen Gemeinden ertüchtigt, um neben der Alarmierung von Einsatzkräften auch den auf- und abschwellenden Warnton zur Bevölkerungswarnung, beziehungsweise den Dauerton zur Entwarnung wiedergeben zu können. "Über die hiesige Feuerwehr- und Rettungsleitstellen können zudem Warnmeldungen für die Bevölkerung in den bekannten Warn-Apps eingespielt werden. Zusätzlich verfügt der Landkreis Goslar über eine mobile Lautsprecheranlage. Hiermit können Bereiche abgefahren und Bandansagen abgespielt werden", so Landkreissprecher Maximilian Strache. Die im Landkreis Goslar vorhanden Sirenen werden über das kreiseigene POCSAG Funknetz angesteuert und ausgelöst. Die Umsetzer dieses Netzes sind mit einer Batterie gegen Stromausfälle geschützt. Um die Situation weiterhin zu verbessern, will der Landkreis Goslar die vorhandenen Warneinrichtungen in einem kreisweiten Warnkonzept bündeln. Hierfür soll eine angekündigte Förderung in Höhe von insgesamt 88 Millionen Euro eine Rolle spielen. Ob und in welcher Höhe eine Förderung an den Landkreis Goslar entfällt, stehe aber noch nicht fest. "Nach hiesigem Kenntnisstand sind die die Abstimmungen zwischen Bund und Ländern noch nicht abgeschlossen."
"Die kreisangehörigen Gemeinden ertüchtigen die dort vorhandenen Sirenen, um neben der Alarmierung von Einsatzkräften auch Warntöne wiedergeben zu können."
In der Stadt Salzgitter befindet sich ein modernes Sirenennetz bereits seit Jahren im Aufbau. "Die Stadt Salzgitter beabsichtigt unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel die schrittweise Erweiterung des Sirenennetzes, um im Ereignisfall möglichst viele Einwohner an ihrer Wohnanschrift zu warnen", erklärt Stadtsprecher Dr. Martin Neumann. Dabei geht es auch um eine Modernisierung vorhandener Anlagen. Die bekannten, pilzförmigen Motorsirenen im Stadtgebiet haben einen entscheidenden Nachteil: "Bei einem Großteil der vorhandenen Sirenen handelt es sich noch um Motorsirenen (Typ E57), welche über keine Notstromversorgung/Batteriepufferung verfügen. Alle bereits erneuerten bzw. neu zu errichtenden Sirenen sind mit einer Batteriepufferung ausgestattet, welche die Betriebsfähigkeit bei einem Stromausfall sicherstellt."
"Die Stadt Salzgitter beabsichtigt unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel die schrittweise Erweiterung des Sirenennetzes, um im Ereignisfall möglichst viele Einwohner an ihrer Wohnanschrift zu warnen."
Der Landkreis Helmstedt antwortete auf unsere Anfrage: "Der Landkreis Helmstedt warnt die Bevölkerung durch das Modulare Warnsystem des Bundes per TV, Rundfunk und Warnapps. Als Redundanz besteht ein Notfallkonzept zur Bevölkerungswarnung durch mobile Lautsprecherdurchsagen mittels Einsatzfahrzeugen der Feuerwehren und Hilfsorganisationen." Angaben über vorhandene Pläne zur Erweiterung der Warnsysteme macht der Landkreis nicht.
Bund will Aufbau von Warnsystemen fördern
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe baue derzeit laut einer Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums aus dem Juli 2021 eine "umfassende Testlandschaft" auf, die im ersten Quartal 2022 bereit stehen soll. Die Kommunen erhalten dafür vom BBK für den Aufbau von neuen Sirenen und die Ertüchtigung vorhandener Stationen eine Förderung von 88 Millionen Euro. "Eine effektive Warnung der Menschen erfordert ein Zusammenspiel aller Warnmedien und das Einbeziehen aller analogen und digitalen Warnkanäle wie die Warn-App NINA, Radio, Sirenen, Lautsprecherwagen in diesen Testbetrieb. Ziel ist, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger in Gefahrsituationen zu erreichen", so das Bundesinnenministerium dazu.
Zum Zeitpunkt der Umfrage von regionalHeute.de bei den Städten und Kreisen der Region scheinen die genauen Hintergründe dieser Förderung jedoch noch unklar. Die Stadt Wolfsburg hat aufgrund ihres beinahe fertiggestellten, umfangreichen Warnsystems ohnehin das Nachsehen und ist nicht mehr förderfähig. "Dem Landkreis Gifhorn ist bisher nur bekannt, dass es eine Förderung für Sirenen geben soll, allerdings noch keine Details. Daher ist auch noch nicht bekannt, welche Maßnahmen (Neuaufbau, Modernisierung,…) förderfähig sind und für welche Bereiche im Landkreis Gifhorn dies überhaupt in Frage kommt", erklärt Landrat Andreas Ebel für den Landkreis Gifhorn. Die detailliertesten Informationen bislang scheinen der Stadt Salzgitter vorzuliegen: "Nach Auskunft des Nds. Innenministeriums entfallen von den genannten 88 Millionen Euro Fördermitteln zirka 8 Millionen Euro auf das Land Niedersachsen, förderungsfähig ist die Neuerrichtung sowie die Erneuerung bestehender Sirenenanlagen und –steuergeräte. Zur Verteilung der Fördermittel auf die Kommunen liegen derzeit noch keine abschließenden Informationen vor."
Der nächste reguläre bundesweite Warntag ist am 8. September 2022 geplant. Der Landkreis Wolfenbüttel antwortete auf unsere Anfrage zum Stand der Dinge bislang nicht.
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