Warntag 2021 - Streit um Sirenen geht nach Vorjahresdesaster weiter

Einige Städte und Kreise setzten schon im letzten Jahr auf den Einsatz von Sirenen, bei anderen hat ein Umdenken stattgefunden. Wieder andere wollen von Sirenen zur Bevölkerungswarnung noch immer nichts wissen.

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Eine neue Sirene auf dem Dach der Grundschule Steterburg in Salzgitter. Über dieses Modell können auch Sprachdurchsagen durchgeführt werden.
Eine neue Sirene auf dem Dach der Grundschule Steterburg in Salzgitter. Über dieses Modell können auch Sprachdurchsagen durchgeführt werden. | Foto: Rudolf Karliczek

Region. Am Warntag 2020 sollten die digitalen und analogen Warnsysteme getestet werden, um im Ernstfall die Bevölkerung flächendeckend über eine Katastrophe informieren zu können. Die Katastrophe ereignete sich jedoch beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Kastrophenhilfe (BBK). Es kam zu einem kompletten Systemausfall. Berichteten einige Kommunen noch großmütig, dass ihre Sirenen nicht mehr der Bevölkerungswarnung zur Verfügung stehen, hat bei einigen in diesem Jahr ein Umdenken stattgefunden. Bei anderen bleibt der Status Quo. Am 9. September 2021 um 11 Uhr werden die Bevölkerungswarnsysteme erneut auf die Probe gestellt. Was hat sich seit vergangenem September getan?



Die in der BBK-Zentrale ausgelöste Warnung des Bundes erreichte die Endgeräte im vergangenen Jahr einfach nicht. Der Grund: Katastrophenschutz ist eigentlich Ländersache. Die Länder hatten eigene Probealarme vorbereitet, die Warnung des Bundesamtes kam schlicht nicht durch. Das System erlitt einen Totalausfall. Kurz nach dem Desaster musste Christoph Unger, Präsident des BBK seit seiner Gründung im Jahr 2004, seinen Hut nehmen - wenn auch nicht ganz freiwillig. Die Entscheidung über dieses "Opfer" sei einem Bericht der deutschen Presseagentur (dpa) zufolge von Innenminister Horst Seehofer (CSU) höchstselbst gefällt worden. Derselbe Bericht zitiert Unger mit den Worten, dass eigenständige Warnungen der Länder nicht abgesprochen gewesen seien, und nur wegen dieser Abweichung vom Plan eine Überlastung eintrat.

Ex-BBK-Präsident Christoph Unger.
Ex-BBK-Präsident Christoph Unger. Foto: Marvin König



Auf Anfrage von regionalHeute.de räumt das BBK Fehler in der Programmierung im "Modularen Warnsystem des Bundes und der Länder" (MoWaS) ein, erklärt aber gleichzeitig, dass die Erkennung dieses Mangels nur durch eine Probe am bundesweiten Warntag überhaupt möglich gewesen sei. "Der technische Dienstleister des Systems hat die Mängel zwischenzeitlich ausgeräumt. Die gewonnenen Erkenntnisse werden auch genutzt, um die Systeme für höhere Spitzenlasten aufzubauen."

Die Rückkehr der Sirenen


Der bundesweite Warntag habe gezeigt, welche Bedeutung für die Menschen in Deutschland nach wie vor Sirenen für die Warnung haben, so das BBK. "Der Bund wird daher über die Länder die Kommunen beim Ausbau ihrer Sirenennetze fördern. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stellt hierbei den Ländern 88 Millionen Euro zur Verfügung." Trotz der geplanten Förderung rechne das Bundesamt jedoch nicht mit einem schnellen, flächendeckenden Wiederaufbau der Sirenennetze: "Ob und wann Effekte des Programms erkennbar werden, hängt von der Umsetzung des geförderten Sirenenausbaus vor Ort ab." Denn zuständig sind die Kommunen.

Ein föderaler Flickenteppich


Bis 1993 gab es in der Bundesrepublik die "Warnämter", welche die Oberhand über die bundesweiten Sirenenwarnsysteme hatten. Ausgestattet mit einem Bunker sollten sie auch in schwersten Krisen dafür Sorge tragen, dass die Bevölkerung gewarnt wird. Nach Ende des Kalten Krieges hielt man die Warnämter jedoch für verzichtbar. Die Sirenen wurden in die Obhut der Kommunen gegeben. Hier wurden sie in Städten wie Peine und Braunschweig nahezu vollständig abgebaut oder werden nur noch zur Alarmierung der Feuerwehr genutzt. Länder und Kommunen entscheiden nun selbst, welche Warnsysteme sie einsetzen und welche sie für entbehrlich halten. Auch die Beteiligung am Warntag ist freiwillig. "Kommunen können selbst darüber entscheiden, ob sie beim bundesweiten Warntag mitmachen. Wenn es daher mancherorts keine Probewarnung gibt oder gegeben hat, muss das nicht an technischen Fehlern liegen", so das BBK weiter.

Kommunen mit unterschiedlichen Positionen zu Sirenen


Die Stadt Braunschweig verfügte im letzten Jahr über keine Sirenen. Zwar gibt man sich dort auf Anfrage von regionalHeute.de sicher, dass die technischen Defizite beim BBK für den anstehenden Warntag abgestellt worden sind und es in diesem Jahr entsprechend zu einer zeitnahen Alarmierung kommen wird, Stadtsprecher Adrian Foitzik berichtet jedoch auch: "Aktuell erarbeitet der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz der Stadt Braunschweig ein Gesamtkonzept zur Warnung der Bürger. Als Ergänzung werden darin unter anderem Sirenen und die optische Darstellung von Warnmeldungen erwogen." Insgesamt setze man jedoch auch in diesem Jahr vorerst auf Warnungen per App und Rundfunk.

Landkreis Gifhorn probt Ernstfall auch ohne Warntag


Der Landkreis Gifhorn hat ein funktionierendes Sirenennetz zur Bevölkerungswarnung. Dieses wird auch außerhalb des Warntages regelmäßig im Januar und im Juni getestet. Der letzte Test erfolgte am 19. Juni um 12 Uhr und verlief ohne Beanstandungen. Landrat Dr. Ebel erklärte hierzu: "Der Probealarm dient einerseits dazu, unserer Warnsysteme zu überprüfen und andererseits hat er den Vorteil, alle Bürgerinnen und Bürger im Landkreis regelmäßig darüber zu informieren, wie sie sich im Notfall verhalten sollten."

Landkreis Goslar: "Hausaufgaben erledigt"


Die Städte und Gemeinden im Landkreis Goslar haben auch im vergangenen Jahr nicht ausschließlich auf die Bevölkerungswarnung per Warn-App gesetzt, wie Landkreissprecher Maximilian Strache betont.

"Der Landkreis Goslar hatte mit der Beschaffung der mobilen Lautsprechersystems und dem Betrieb eines digitalen Funknetzes zur Auslösung der Sirenen seine Hausaufgaben bereits vor dem ersten Warntag erledigt"

- Maximilian Strache, Pressesprecher Landkreis Goslar



Ein paar Schwächen habe der Warntag aufgezeigt, diese seien aber behoben worden. Strache: "Bei einigen Sirenenempfängern musste an der Programmierung nachgebessert werden, um ein Auslösen des Warntons zu garantieren. Dieses wurde von den Gemeinden umgesetzt." Auch der Einsatz mobiler Lautsprecheranlagen habe sich bewährt.

Sirenen in Helmstedt weiter nur für Feuerwehr und Rettungsdienst


Der Landkreis Helmstedt reagiert ablehnend auf die Anfrage nach dem Einsatz von Sirenen: "Der Landkreis Helmstedt und seine kreisangehörigen Kommunen unterhalten entsprechend ihrer gesetzlichen Aufgaben die Alarmierungssysteme für Feuerwehren und Rettungsdienst. Dazu gehören in einigen wenigen kreisangehörigen Gemeinden auch Sirenen, welche jedoch nicht zur Bevölkerungswarnung, sondern ausschließlich zur Alarmierung der Feuerwehren eingesetzt werden können." Man sehe die Zuständigkeit für die Bevölkerungswarnung beim Bund. Mit dieser Aussage widerspricht der Landkreis auch einer Aussage des Kreisbrandmeister Olaf Kapke auf Facebook. Dort hieß es im letzten Jahr: "Die neuen Katastrophenschutzwarntöne sind im Landkreis Helmstedt noch nicht programmiert, dies soll bis zum nächsten Warntag in 2021 erfolgen".

Wiederaufrüstung in Peine nicht vorgesehen


Der Landkreis Peine antwortet kurz und bündig, dass man weiterhin mit den Apps BIWAPP und NINA, sowie über die Social-Media-Kanäle des Landkreises warnen wolle. Landkreissprecher Fabian Laaß ergänzt: "Die Alarmierung der Einsatzkräfte erfolgt digital. Die Wiederaufrüstung von Sirenen-Anlagen ist derzeit nicht vorgesehen."

Stadt Salzgitter ist hochmodern aufgestellt


In der Stadt Salzgitter existiert ein umfassendes Netz moderner Sirenen, das weiter ausgebaut wird. Über diese Modelle sind sogar Sprachdurchsagen möglich. Dieses Netz habe am Warntag 2020 reibungslos funktioniert.

"Für einen möglichst umfassenden Schutz der Bevölkerung ist ein kombinierter Einsatz mehrerer Alarmierungswege notwendig – Sirenen und Alarmierungs-Apps ergänzen sich hier gut"

- Stadt Salzgitter



Erster Stadtrat und Feuerwehrdezernent Eric Neiseke kommentiert: "Ich gehe davon aus, dass das Auslösekonzept des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe dieses Jahr besser funktionieren wird. Hier in Salzgitter waren wir mit dem Warntag 2020 zufrieden und blicken deshalb optimistisch auf den kommenden Warntag 2021."

Wolfenbüttel will wieder auf Sirenen setzen


Der Landkreis Wolfenbüttel stand dem Einsatz von Sirenen im letzten Jahr noch ablehnend gegenüber. Nach dem Warntag-Fehlschlag im letzten Jahr hat sich diese Meinung offenbar geändert. Laut Landkreissprecherin Lisa Burfeind sei es fraglich, ob eine Handy-App neben Radio und Fernsehen als primäres Warnmittel geeignet sei. "Die am Warntag offenkundig gewordene Erwartung der Bevölkerung, 'wie früher' im Katastrophenfall mit heulenden Sirenen gewarnt zu werden, nimmt der Landkreis sehr ernst", erklärt Burfeind. Warnungen per App könnten erst der zweite Schrit nach einer unüberseh- und hörbaren primären Warnung sein.

"Beim Warntag 2021 werden im Landkreis Wolfenbüttel die ersten Sirenen mit dem Warnton für Katastrohen heulen können. Für die übrigen Sirenen ist ein Ersatzsignal in Vorbereitung. Hierauf werden wir die Bevölkerung über die Medien kurz vorher aufmerksam machen."

- Lisa Burfeind, Pressesprecherin Landkreis Wolfenbüttel



"Das Sirenennetz ist im Landkreis Wolfenbüttel noch fast flächendeckend vorhanden und befindet sich im Eigentum der kreisangehörigen Kommunen, die es für die Alarmierung der Feuerwehren nutzen", so Burfeind. Allerdings seien diese Sirenen zurzeit nicht dafür eingerichtet, ein für den Katastrophenfall vorgesehenes besonderes Alarmsignal auszulösen. "Es laufen zurzeit Gespräche, ob und wie dies verändert werden kann. Es ist geplant im Landkreis Wolfenbüttel den früheren bundesweiten einheitlichen Warnton für Katastrophen (Eine Minute Heulton auf- und abschwellend) zu verwenden." Bereits beim Warntag 2021 sollen die ersten Sirenen im Einsatz sein.

Wolfsburger Sirenen laufen einwandfrei


"Schon im letzten Jahr hat das Sirenensystem in Wolfsburg tadellos funktioniert. Somit gibt es für 2021 keinen Veränderungsbedarf."

- Elke Wichmann, Pressesprecherin Stadt Wolfsburg



Manuel Stanke, Geschäftsbereichsleiter Brand- und Katastrophenschutzes der Stadt Wolfsburg: "Wir verfügen in Wolfsburg über ein hoch modernes Sirenennetz zur Warnung der Bevölkerung. Ergänzend haben wir die Möglichkeit die Bürgerinnen und Bürger über zahlreiche Warn-Apps auf ihren Smartphones zu warnen.“ Stadtrat Andreas Bauer (Dezernent für Finanzen, Bürgerdienste, Brand- und Katastrophenschutz) ergänzt: "Wir haben in den letzten Jahren den Ausbau des stadtweiten Sirenennetzes forciert. Die neuen Hochleistungssirenen mit Sprachdurchsage ermöglichen nun auch bei Stromausfall die umfassende Information der Wolfsburger Bevölkerung. Die derzeitige Corona-Situation zeigt, dass wir allgemein für Krisenfälle gerüstet sein müssen. Das Sirenennetz ist hier ein wichtiger Baustein, um die Wolfsburgerinnen und Wolfsburger in Ausnahmesituationen informieren zu können. Mit dem Warntag 2020 haben wir auf dieses Informationsmedium aufmerksam gemacht und werden das auch in diesem Jahr am bundesweitem Warntag tun."

Die wichtigen Sirenentöne




Sirenenton "Warnung der Bevölkerung". Audio: BBK / ISF Bund-Länder-Projekt

Eine Sirene älterer Bauart.
Eine Sirene älterer Bauart. Foto: Pixabay




Sirenenton "Entwarnung". Audio: BBK / ISF Bund-Länder-Projekt

Erwartungshaltung ist groß


Zusammengefasst ist bei allen Städten und Kreisen die Erwartungshaltung groß, dass das BBK seine technischen Defizite gelöst hat und die Bevölkerungswarnung in diesem Jahr ordnungsgemäß ausgegeben wird. Die Warnung per App hat vor allem den Vorteil, dass mit ihr auch spezifische Verhaltenshinweise gegeben werden können, die eine Sirene schlicht nicht ausdrücken kann. Gefahrgutunfälle, Naturkatastrophen oder Großbrände erfordern schließlich nicht immer und überall die drastischen Maßnahmen, die beim Sirenenwarnton "Warnung der Bevölkerung" empfohlen werden. Hierzu gehören das einschalten von Fernsehen oder Radio, das schließen von Türen, Fenstern sowie das Absperren und abschalten von Gashähnen, Klimaanlagen und Lüftungen. Gleichzeitig sollten Nachbarn und Menschen informiert werden, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Wichtig ist es, nicht den Notruf für weitere Informationen zu wählen - dieser muss für die unmittelbare Gefahrenlage freigehalten werden. Sollte der Warnton unterwegs vernommen werden, sollte Schutz in einem Gebäude gesucht werden. Im Auto kann die betroffene Gegend gemieden werden, gleichzeitig sollten Fenster geschlossen und die Lüftung/Heizung abgestellt werden. Diese Verhaltenshinweise gelten, bis über den einminütigen Dauerton entwarnt wird. Eine Entwarnung erfolgt gleichzeitig auch über die Warnapps, sowie über Funk und Fernsehen.


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