Politik fordert einen Weltraumbahnhof in Niedersachsen

Die Landesregierung soll nach dem Willen der FDP mit Vorbereitungen für einen niedersächsischen Weltraumbahnhof beginnen. Eine offensichtlich nicht ganz abwegige Idee.

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Symbolbild.
Symbolbild. | Foto: Pixabay

Niedersachsen/Region. Mit einem Entschließungsantrag fordert die FDP-Fraktion im Niedersächsischen Landtag die Landesregierung auf, mit Vorbereitungen für einen niedersächsischen Weltraumbahnhof zu beginnen. Wie es in einer Pressemitteilung der FDP weiter heißt, werde davon ausgegangen, dass in den kommenden Jahren mit Microlaunchern und Kleinstsatelliten ein Zukunftsmarkt in Europa entstehen werde - mit oder ohne Niedersachsen.


So könnten jährlich bis zu 500 Starts nötig werden, allein um den europäischen Bedarf an Satelliten in die Luft zu bringen. Die Technologien, auf die wir alle für die Zukunft bauen - GPS, schnelles mobiles Internet, kritische Infrastruktur - sie hängen an der Raumfahrt. Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, Jörg Bode, will mit einem Entschließungsantrag die Landesregierung dazu bringen, die Vorschläge des BDI für einen Weltraumbahnhof in der Nordsee zu prüfen und gemeinsam mit dem Land Bremen, der Bundesregierung, dem BDI und interessierten Unternehmen ein gemeinsames Vorgehen zu entwickeln. Doch stößt die Idee auch bei unseren Abgeordneten im Landtag aus Braunschweig und Wolfenbüttel auf Gegenliebe? regionalHeute.de fragte nach.

Susanne Schütz (FDP), Sprecherin Wissenschaft Forschung Kultur und Bau und Landtagsabgeordnete aus Braunschweig, sieht in einem Weltraumbahnhof für Niedersachsen eine große Herausforderung aber auch eine Chance. Die Entwicklung sei faszinierend und der Bedarf an Klein-, Micro- und Cube-Satelliten in einer erdnahen Umlaufbahn werde in den kommenden Jahren erheblich zunehmen. Sie seien die Grundlage für beispielsweise autonomes Fahren und andere innovative Technologien. "Deutschland und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union brauchen die Möglichkeit, kurzfristig und kostengünstig kleine Satelliten in eine erdnahe Umlaufbahn zu befördern. Niedersachsen sollte die Chance nicht verpassen, der Standort für einen deutschen Weltraumbahnhof zu werden. Die Voraussetzungen dafür sind hier vorhanden", so Schütz.

Die Vorteile einer eigenen Abschussmöglichkeit für Kleinraketen in Deutschland würden in der Möglichkeit liegen, den künftigen Bedarf an Mini-Satelliten in einer erdnahen Umlaufbahn bedarfsgerecht umsetzen zu können. Bisher dauere dies mehrere Jahre und werde begrenzt durch Zuladungsmöglichkeiten bei den großen Raketen, wie der Ariane 6. Weil in Bremen Satelliten gebaut werden, mehrere deutsche Unternehmen an der Entwicklung von Microlaunchern arbeiten und in Niedersachen Forschungseinrichtungen und Zulieferer aus dem Bereich der Raumfahrt tätig seien, biete eine eigene Startmöglichkeit für Microlauncher erhebliche Standortvorteile für die Raumfahrtindustrie und -forschung. Außerdem reduziere sie die Abhängigkeit von China, Russland oder den USA bei den Mitflugmöglichkeiten bei herkömmlichen Raketen.

Ein möglicher Standort könne am äußeren Rand der Ausschließlichen Wirtschaftszone, 370 Kilometer vor der Deutschen Nordseeküste, liegen. Für den Fall, dass sich der Start eines Microlaunchers von einem fliegenden Flugzeug (Airlaunch) als vorteilhafter erweisen sollte, böte sich der Flugplatz Cuxhaven-Nordholz als Ausgangsbasis an.

Susanne Schütz. Archivbild
Susanne Schütz. Archivbild Foto: Alexander Dontscheff



"Befremdlicher Zeitpunkt"


Auch Marcus Bosse, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag und Abgeordneter aus Wolfenbüttel, könne sich die Errichtung eines Weltraumbahnhofes in Niedersachsen vorstellen. Sollte die Zahl von sehr kleinen Raketen, sogenannten Microlaunchern, die beispielsweise Satelliten ins All befördern, in den kommenden Jahren stark zunehmen, könne eine eigene Startvorrichtung nur förderlich sein. "Klar ist für mich aber, dass nicht nur besiedelte Flächen ein Ausschlusskriterium für die Errichtung eines Weltraumbahnhofes darstellen, sondern auch Natur- und Landschaftsschutzgebiete. Sollte eine Startvorrichtung allerdings in der Nordsee technisch möglich sein, stehe ich dieser Idee sehr aufgeschlossen gegenüber", erklärt Bosse.

Kritik übt der Abgeordnete jedoch am Zeitpunkt des Antrages der FDP: "Durch die Corona-Pandemie befindet sich unser Land in der größten wirtschaftlichen Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Bundes- sowie in sämtlichen Landeshaushalten mussten massive Neuverschuldungen eingeplant werden, um die Folgen der Krise bestmöglich abfedern zu können. Viele Unternehmen kommen derzeit unverschuldet in eine wirtschaftliche Schieflage, viele Menschen sind von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen. Und in dieser Situation ist das wichtigste Thema der FDP die Errichtung eines Weltraumbahnhofs."

Der SPD-Landtagsabgeordnete Marcus Bosse.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Marcus Bosse. Foto: Archiv



"Andere Prioritäten verfolgen"


Dr. Christos Pantazis, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Niedersachsen, Abgeordneter aus Braunschweig sieht den Zeitpunkt des Antrages ebenfalls fraglich. "Mit Blick auf die immensen finanziellen Belastungen, die auch das Land Niedersachsen durch die Nothilfen im Zuge der Corona-Pandemie zu tragen hat und die bereits einen Nachtragshaushalt zur Folge hatten, sollte die Politik derzeit andere Prioritäten verfolgen, als über einen sogenannten „Weltraumbahnhof“ in Niedersachsen zu debattieren und – im Falle der FDP – mit entsprechenden Science-Fiction-Ideen krampfhaft zu versuchen, um Aufmerksamkeit zu ringen. Selbstverständlich begrüßen wir weiterhin jegliches privatwirtschaftliches Forschungsengagement in Niedersachsen ausdrücklich und werden dies als SPD-Landtagsfraktion, sollte es hier konkrete Projektvorschläge geben, ebenso selbstverständlich nach Kräften begleiten. So wird bereits jetzt im Umfeld des Flughafens Braunschweig im Bereich der Luft- und Raumfahrttechnologie weltweite Spitzenforschung betrieben, auch dank einer guten Standortpolitik der SPD-geführten Landes- und hiesigen Kommunalpolitik. Dieses Know-how könnte natürlich jederzeit für weiterführende Projekte im Bereich von Forschung und Wissenschaft abgerufen werden, auch werben wir weiterhin intensiv um die Ansiedlung weiterer Spitzenforschung hier in unserer Region. Die Prioritäten der Landespolitik liegen aber derzeit nun mal ganz klar auf einer Bekämpfung der Pandemie und einer damit einhergehenden Wahrung und Stärkung des Wirtschaftsstandorts Niedersachsen.“

Christos Pantazis (SPD), Mitglied des Landtages
Christos Pantazis (SPD), Mitglied des Landtages Foto: Anke Donner



"Keine essentielle Notwendigkeit"


Für Annette Schütze (SPD), Mitglied im Ausschuss für Wissenschaft und Kultur, Abgeordnete aus Braunschweig sollte das Projekt Offshore-Weltraumbahnhof für Microlauncher zu diesem frühen Zeitpunkt weder verworfen, noch als kurzfristig zu verwirklichendes Projekt behandelt werden. Dabei müssten die Vor- und Nachteile seitens des Bundes geprüft werden, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Eine essentielle Notwendigkeit für die Einrichtung eines Weltraumbahnhofs in Niedersachsen bestehe zur Zeit aus ihrer Sicht jedoch nicht.

"Bei dem Begriff „Weltraumbahnhof“ entsteht schnell das Bild eines riesigen Areals, von dem große Raketen starten und landen, vor unserem inneren Auge. Ganz so, wie wir es aus Filmen oder – in der Realität – von Cape Canaveral her kennen. Darum geht es jedoch nicht. Statt dessen ist eine Abschussrampe für kleinste Satelliten (sogenannte Microlauncher) gemeint, die für die Zukunft verschiedener Forschungsbereiche nicht unwichtig sind. Auf Bundesebene ist man sich dessen bewusst und bereitet entsprechende Sondierungen vor. Der Bundesverband der Deutschen Industrie stellt sich für den Bereich der Weltraumforschung eine Aufstockung der Mittel auf rund 700 Millionen Euro vor – angesichts solcher Summen und den aktuellen Herausforderungen in der Corona-Pandemie erscheint es zumindest fragwürdig, ob ein solches Projekt in Niedersachsen Priorität genießen kann", so Schütze weiter.

Für den Bau eines solchen Offshore-Weltraumbahnhofes würden verschiedene Möglichkeiten auf der Nordsee diskutiert. Darunter auch der Umbau einer Ölplattform oder ein Schiff als mobiler Startpunkt. Dabei sieht Schütze jedoch ein Problem: Große Teile der Nordsee seien Naturschutz- oder Schongebiet. So müsse auch dieökologische Verträglichkeit geprüft werden. Auf dem Festland sei ein Weltraumbahnhof in Niedersachsen aufgrund der Bevölkerungsdichte eigentlich ausgeschlossen.

Landtagsabgeordnete Annette Schütze
Landtagsabgeordnete Annette Schütze Foto: SPD



Den Weltraumboom nutzen


"Ich halte es sowohl für erstrebenswert, dass Niedersachsen eigene Microlauncher, also kleine Träger und Startsysteme voranbringt als auch einen eigenen Weltraumbahnhof errichtet. Speziell Letzteres wird von mir vollumfänglich unterstützt, da es uns im puncto Wissenschaft und Forschung völlig neue Möglichkeiten eröffnet", erklärt Dunja Kreiser, SPD-Landtagsabgeordnete aus Wolfenbüttel. So sei das Inetresse an Weltraumforschung und Weltraumtechnologie in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Davon müsse auch Niedersachsen als Wissenschaftsstandort der ESA - dem Institut für Raumfahrtsysteme der TU Braunschweig - profitieren. "Schon jetzt gibt es in Deutschland Start-ups, die Microlauncher herstellen. Niedersachsen sollte den Weltraumboom für sich nutzen und umgehend Beschlüsse fassen, um davon zu profitieren. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, in Niedersachsen neue Weltraumtechnologien zu fördern, um hier die Entwicklung kleinerer Satelliten voranzutreiben oder bei uns die Technologien für die Gewinnung sogenannter Erdbeobachtungsdaten weiter zu entwickeln.“

Dunja Kreiser (SPD)
Dunja Kreiser (SPD) Foto: Werner Heise



Prozess so schnell wie möglich anstoßen


"Wenn Niedersachsen den Anspruch hat, an einer der in Zukunft immer wichtigeren Branchen teil zu haben, braucht das Land einen eigenen Weltraumbahnhof. Für GPS, schnelles mobiles Internet und etliche andere Ansprüche, die wir hier unten an unsere Technik haben, brauchen wir dort oben Satelliten. Und diese werden von irgendwo aus in den Orbit transportiert werden müssen. Für das Land Niedersachsen kann es wirtschaftlich nur von Nutzen sein, daran einen Anteil zu haben. Wenn wir aber den richtigen Zeitpunkt verpassen, ergreifen andere Länder die Gelegenheit", erklärt Björn Försterling (FDP), Landtagsabgeordneter aus Wolfenbüttel. Auch Försterling macht klar, dass es sich bei einem Weltraumbahnhof nicht um ein Niedersächsisches Cape Canaveral handeln solle, sondern, dass ein Schiff oder eine ehemalige Bohrplattform der Ausgangspunkt für die Starts von Microlaunchern, von unbemannten Geräten, die Satelliten in die Umlaufbahn bringen, sein könnten. "Die Landesregierung müsste sich mit der Bundesregierung, den führenden Experten und Unternehmen sowie dem Land Bremen zusammensetzen und konkrete Schritte zur Umsetzung anstoßen. Ziel muss es sein, einem privatwirtschaftlichem Unternehmen den Betrieb zu ermöglichen", so Försterling weiter. Wie lange die Phase vom Planungsbeginn bis zur Fertigstellung dauere, lasse sich schwer sagen - aus Sicht der FDP sollte der Prozess so schnell wie möglich angestoßen und zügig vollendet werden.

FDP-Landtagsabgeordneter Björn Försterling.
FDP-Landtagsabgeordneter Björn Försterling. Foto: FDP Landtagsfraktion


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