Dass vor allem die Politik die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Landwirte verbessern und somit die Massentierhaltung eingrenzen soll – dafür plädieren laut einer aktuellen Untersuchung der Universität Göttingen mehr als 80% der Bundesbürger. „Teilweise“ befürworten dies weitere 14%, und lediglich 4% lehnen diese Forderung ab.
Bei der niedersächsischen Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Göttingen zum Thema „Werden Bauern zu Knechten der Konzerne?“ konstatierte Professor Achim Spiller eine dramatische Auseinanderentwicklung zwischen der Entwicklung in den Großbetrieben der Geflügel- und Schweinehaltung und deren Akzeptanz in der Bevölkerung. Trotz eines großen Verständnisses für die wirtschaftlichen Zwänge der Landwirte akzeptiert die große Mehrheit der Verbraucher keine Rechtfertigung der Massentierhaltung durch ökonomische Begründungen. Der Begriff „Massentierhaltung“ sei laut Studie extrem negativ assoziiert, vor allem wegen des Platzmangels und des fehlenden Auslaufs der Tiere und der geringen Beachtung des Einzeltiers. Für die Befragten beginne „Massentierhaltung“ bei Tierzahlen bei Geflügel von 5.000, bei Schweinen von 1.000 und bei Rindern bei 500 – wobei diese Vorstellungen der Bürger durch die tatsächlichen Durchschnittszahlen bei Niedersachsens Masthühnern (35.100) längst weit übetroffen würden.
Gleichtzeitig, so die vorherrschende Meinung der Teilnehmer der Herbsttagung, liegen diese Einschätzungen der Bürger recht nah und realistisch an den Tierzahl-Grenzen, bis zu denen überhaupt noch eine artgerechte Haltung praktikabel sei. Professor Spiller bemängelte in diesem Zusammenhang das Fehlen wissenschaftlicher Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und Tierwohl. Der AbL bestätigte er, dass sie mit ihrer Strategie dicht an den Vorstellungen der Bevölkerung sei. Die veränderten Haltungsbedingungen im Rahmen des neuen freiwilligen Tierschutz-Siegels könnten bei politischen Neuregelungen der Tierhaltung ( wie dem Niedersächsischen Tierschutzplan) wichtige Innovations-Anstöße geben. Die große Mehrheit der Verbraucher, so die Ergebnisse der Studie, sei am Thema „Tierschutz in der Landwirtschaft“ stark interessiert, akzeptiere grundsätzlich eine Reduzierung des Fleischkonsums zugunsten von höherpreisigem Fleisch aus artgerechter Tierhaltung und sehe vor allem in politischen Vorgaben eine Möglichkeit zur Durchetzung dieser Ziele.
Angesichts des weltweiten Vordringens der Agrar-, Ernährungs- und Finanzkonzerne auch in der Landwirtschaft und einer drohenden Abhängigkeit der Schweine- und Milchviehhalter nach dem negativen Vorbild der Geflügelhalter forderte Romuald Schaber als Vorsitzender des Bundesverbands der Milchviehhalter einen „Paradigmenwechsel“ in der Agrarentwicklung. Man müsse weg von der schädlichen Weltmarktorientierung und hin zu kostendeckenden Preisen der vorhandenen Betriebe. Die Landwirte müssten wieder zu Marktteilnehmern werden, vor allem durch unabhängige Groß-Erzeugergemeinschaften gegenüber Molkereien und Genossenschaften und durch konsequente Erzeuger-Interessenvertretungen nach dem Vorbild der „Bauerngewerkschaften“ in anderen Ländern. Der Glaube vieler Bauern, wegen der Niedrigpreise die „Flucht nach vorn“ durch einzelbetriebliches Wachstum antreten zu müssen, sei unrealistisch und zunehmend mit fremdem Geld und Abhängigkeit verbunden.
Über die jüngsten Pläne der EU-Kommission zur Reform der EU-Agrarpolitik referierte Dr. Jürgen Wilhelm von niedersächsischen Agrarministerium. Die Teilnehmer der Herbsttagung forderten eine deutliche Positionierung der Landesregierung für konsequente Auflagen bei der Verteilung der Flächenprämien an bäuerliche Betriebe – mit 20% Eiweißfrüchten in einer vielfältigeren Fruchtfolge, mit einer Bindung der Prämien an die im Betrieb tätigen Arbeitskräfte und einer Kappung der Zahlungen an durchrationalisierte Großbetriebe oberhalb von 150.000 Euro. Um einer Wettbewerbsverzerrung gegenüber anderen EU-Ländern vorzubeugen, sollten die im Niedersächsischen Tierschutzplan enthaltenen Maßnahmen auch EU-weit als Voraussetzung für die Prämienzahlung verankert werden. AbL-Bundesgeschäftsführer Georg Janssen warnte vor einer neuerlichen Ablenkungstaktik durch den Bauernverband, der diese Forderungen mit dem Hinweis auf die „Bekämpfung des Welthungers“ mittels EU-Überschussproduktion abwehre.
Auch Jochen Dettmer, Bundesgeschäftsführer von „Neuland“ und agrarpolitischer Sprecher des BUND, forderte eine massive Einflussnahme auf die EU-Agrarpolitik. Die Debatte um das Vordringen der Agrarindustrie werde mittlerweile auch im konservativen Lager und in Ostdeutschland kontrovers diskutiert. Eine „Qualitätspolitik“ müsse die Märkte in Ordnung bringen – mit einem Verbot von „Eingriffen am Tier“ (Kupieren von Schnäbeln und Schwänzen) und Fördermaßnahmen für umwelt- und tiergerechte Haltung. Nur eine bäuerliche Landwirtschaft im Bereich mittelständischer Betriebe mit gemischter Produktion könne die von der Gesellschaft geforderten Leistungen erbringen.
AbL-Landesvorsitzender Martin Schulz verwies darauf, dass sich in der Folge der Berliner Januar-Demonstration von 20.000 Menschen ein breites gesellschaftliches Bündnis unter dem Motto „Meine Landwirtschaft“ in die anstehende EU-Agrarreform einmische. „Werden Bauern zu Knechten der Konzerne?“ – diese Frage müsse und könne durch eine Politik zugunsten bäuerlicher Betriebe hier und weltweit mit einem klaren „Nein“ beantwortet und entschieden werden.
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