ADFC-Fahrradtour über den Berliner Mauerweg




Wolfenbüttel. Samstagmorgen um 7 Uhr am Braunschweiger Hauptbahnhof: Elf radbegeisterte Frühaufsteher warten darauf, ihre Fahrräder in den Zug nach Magdeburg einzuparken. Von da soll es weitergehen nach Berlin. Dort wollen sie zwei Drittel des Mauer-Radweges abfahren…

Organisiert wurde diese Tour vom ADFC Wolfenbüttel (Manfred Müller und Erica Neumann). Vor Ort wartet Bernd Schorsch (ADFC Berlin) sowie Georg (Co-Tourenleiter und Zeitzeuge für viele Ereignisse an der Berliner Mauer) und zwei Radlerinnen aus Berlin. Nach dem Warming Up geht es flott los, über Radwege, die man in Gegenrichtung befahren darf, über breite Schutzstreifen auf der Straße, später auch über Radwege im Grünen, bei denen jeder dankbar für eine gute Sattelfederung ist, weil die Asphaltdecke leider über die gesamte Wegbreite große Aufbrüche hat.

Einen ersten Eindruck über die Flüchtlingsdramen bekommen die Wolfenbütteler am Invalidenfriedhof. Hier wurde 1962 auf den 14-jährigen Schüler Wilfried Tews 141 Schüsse abgegeben, als er versuchte, über den Spandauer Schifffahrtskanal zu fliehen. Westberliner Polizisten gaben ihm Feuerschutz, um ihn bergen zu können. Durch einen Querschläger wurde der Ostberliner Gefreite Peter Göring getötet. Obwohl den Grenzposten eigentlich verboten war, auf Frauen und Kinder gezielt zu schießen, wurde Peter Göring posthum zum Helden erklärt. Wilfried Tews wurde von acht Schüssen getroffen, konnte gerettet werden und überlebte als Invalide. Zur Gedenkstätte Bernauer Straße gehören ein Infopavillon und der Mauerpark mit einer Gedenkwand für 128 getötete Flüchtlinge, Mauerresten und rostigen Stahlstangen, die den „Eisernen Vorhang“ symbolisieren.

Nachdenklich folgen die ADFCler Bernd via Norden, wo sie durch weite Heidelandschaft und das Naturschutzgebiet Tegeler Fließ zum Wachturm „Deutsche Waldjugend“ gelangten. Naturschützer haben bewirkt, dass dieser Turm erhalten blieb, und im Umfeld Biotope geschaffen. Ab Hennigsdorf radeln sie vorbei am Grenzturm Nieder Neuendorf (mit einem Museum zur Grenzgeschichte) entlang der Havel bis zum heutigen Etappenziel Spandau. Hier beschließen alle mit einem leckeren Eis den ersten Teil der Mauertour und verabschieden sich von Bernd (und den beiden Neu-Berlinerinnen). Für die engagierte Führung über etwa 50Kilometer Mauerweg

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Berlin von seiner grünen Seite. Foto: privat



Am Sonntag klingelt um kurz nach 6 Uhr der Wecker, um 8.30 Uhr sitzen die Lessingstädter auf den Rädern. Jetzt müssen sie den Mauerweg zwischen Friedrichshain und Potsdam mit Hilfe der guten alten Karte und den Tracks auf den GPS-Geräten alleine finden. Erste geplante Zwischenstation ist die Oberbaumbrücke über die Spree. Die Oberbaumbrücke wurde 1894-1896 erbaut, wobei die Nutzung als Viadukt für die erste Berliner U-Bahn-Strecke zwischen Stralauer Thor und Potsdamer Platz mit eingeplant wurde. Entlang der Spree radeln alle zur East Side Gallery, einem Stück Berliner Mauer, das nach der Wende nicht abgerissen wurde. Viele Künstler haben die 121 Mauersegmente bemalt. Leider sind viele Bilder gar nicht kunstvoll besprüht worden. Zurück über die Oberbaumbrücke erinnert eines der vielen Gedenksteine an den neunjährigen Cengavar Katranci. Er stürzte im Oktober 1972 auf der Kreuzberger Uferseite beim Entenfüttern ins Wasser. Der Westberliner Feuerwehr wurde die Rettung des Kindes von den Grenzsoldaten verboten, weil die Spree in diesem Abschnitt in voller Breite zur DDR gehörte. Erst eineinhalb Stunden später bargen Taucher der nationalen Volksarmee die Leiche.

Ein Abstecher führte zum Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park, eine perspektivisch interessante Anlage, die 1949 als Gedenkstätte für die in der „Schlacht um Berlin“ gefallenen russischen Soldaten errichtet wurde. Mit kleinen Umwegen finden die Wolfenbütteler zurück auf den Mauerweg, queren die Sonnenallee und treffen am Britzer Zweigkanal  auf den Gedenkstein für Chris Gueffroy, der im Februar 1989 bei seiner Flucht erschossen wurde, wenige Monate vor dem Mauerfall. Diese Stelen mit Bildern der Menschen, die versucht haben aus einem autoritären Regime zu flüchten, begegnen ihnen an vielen Stellen und machen deutlich wie wertvoll ein Leben in Freiheit ist.

Vorbei am „Milchhof Mendler“ und am Spionagetunnel zwischen Rudow und Schönefeld bekommen die Radler von Spaziergängern den Tipp für einen Biergarten. Total urig: Im Hof ein kleiner Flohmarkt, ein privater Grillstand mit selbstgebackenem Kuchen und ein Biergarten, wo es „nur“ Kaltgetränke gibt. Aber irgendwie überlegt es sich die Chefin doch noch und alle können Cappuccino und frischgebrühten Kaffee bekommen. Die nächste Etappe führt die Gruppe vorbei an der Gropiusstadt, durch die Kirschbaumallee, über die ehemalige Stammbahn (1838 vom Potsdamer Platz nach Potsdam), zum „Panzerdenkmal“ (jetzt Schneefräse statt Panzer), über die A 115 am Kontrollpunkt Dreilinden/Drewitz bis Babelsberg. Prächtige Villen stehen an der Virchowstraße, in der während der Potsdamer Konferenz 1945 die Staatsmänner der alliierten Siegermächte wohnten. Noch ein letzter Anstieg und alle erreichen den Potsdamer Hauptbahnhof. Im Zug um 17.38 Uhr gibt es ausreichend Platz für die Räder und Radler. Zurück in der Heimat hat jeder mehr als 140 Kilometer Strecke auf dem Tacho und ist voll mit vielen schönen, aber auch traurigen Eindrücken. Berlin auf dem Mauerweg mit überwiegend grünen Abschnitten, aber auch mit vielen modernen Bauelementen ist etwas Besonderes.


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