Wolfenbüttel. Viele Mitbürger waren einst selbst Flüchtlinge - und ihre Nachbarn wissen das oft gar nicht. Der Kreisverband Wolfenbüttel im Deutschen Roten Kreuz hat vor einigen Monaten die Flüchtlingshilfe ins Leben gerufen. Nun will das DRK mit einer Artikelserie einige dieser Schicksale und Lebensläufe jener Flüchtlinge vorstellen, die bei uns sesshaft geworden sind. Im ersten Teil geht es heute um Prof. Dr. Reza Asghari.
Wolfenbüttel. Eines der bekanntesten Gesichter unserer Stadt stammt gar nicht aus Wolfenbüttel: Professor Dr. Reza Asghari wurde vor 54 Jahren - wie der Name schon vermuten lässt - im heutigen Iran geboren. Erst im Alter von 25 Jahren entschloss er sich, seine Heimat zu verlassen, und kam 1987 als Flüchtling nach Deutschland. "In den 80er-Jahren war es bei uns durch den Iran-Irak-Krieg sehr unsicher und für mich als ein wehrpflichtiger junger Mann sehr gefährlich", erklärt Asghari, dessen älterer Bruder damals schon in Hannover lebte. "Auch durch die sogenannte Kulturrevolution wurden alle Universitäten geschlossen, sodass ich beschlossen habe, das Land zu verlassen." Er flüchtete über die Türkei und Ost-Berlin in den Westen.
Doch nicht nur die Flucht selbst war der lange Weg, sondern der Weg in die deutsche Gesellschaft. "Das fremde Land, die Sprache, Gebräuche, Gegebenheiten - es war ein steiniger Lebensweg." Zumal ihm sein Gastland die Situation nicht gerade erleichterte. Zwar spricht der Akademiker rückblickend charmant von "einem Labyrinth voller Überraschungen", wenn er von seinen ersten Monaten erzählt. Und doch lässt er durchblicken, für wie unsinnig und teils schikanös er manche Regelung hält.
Beispiel: Von der zentralen Anlaufstelle für Flüchtlinge in Braunschweig wurde Asghari nach Salzgitter verlegt. Dort jedoch war sein Plan, möglichst schnell Deutsch zu lernen, nur schwer umzusetzen. "Intensivkurse gab es nur in Braunschweig", erinnert er sich. "Doch es galt die Residenzpflicht: Wer außerhalb des Landkreises erwischt wurde, dem er zugeordnet war, musste 40 Mark Strafe zahlen." Eine empfindliche Buße für Flüchtlinge, die von 300 Mark monatlich leben mussten. "Auch die Entscheidung für den Intensivkursus war nicht leicht, denn der kostete 400 Mark."
Asghari blieb nur der reguläre Kurs an der Volkshochschule mit drei Stunden pro Woche und eigenen Übungen. "Es war nicht leicht, denn in meiner Muttersprache gibt es keine Artikel für Substantive", erklärt der Professor in perfektem Deutsch. "Sehr geholfen haben mir meine Englischkenntnisse - und der frühe Kontakt zu meiner jetzigen Frau." Der junge Iraner kam nach eigener Schilderung in eine nette, aufgeschlossene Familie. "Sie haben mir die erforderliche Orientierung gegeben."
Vor allem aber: der Flüchtling wollte. "Mein primäres Lebensziel war schon immer das Studium." Asghari entschloss sich erst zur Flucht, als in seiner Heimat die Universitäten geschlossen wurden. "Perspektivisch sah es im Iran nicht gut aus." In Deutschland gab es einen weiteren Rückschlag: "Mein Abitur wurde nicht anerkannt." Doch als er die Sprachbarriere erfolgreich gemeistert hatte, bestand er auch die Aufnahmeprüfung am Studien-Kolleg in Hannover, wo er dann die deutsche Reifeprüfung nachholte.
Gleichwohl blieb der Weg steinig, auch an der Technischen Universität Braunschweig. "Die Vorlesungen der ersten Semester waren hart, denn die Sprachanforderungen in den Geisteswissenschaften sind sehr hoch - zum Beispiel die Fachtermini im Bürgerlichen Recht." Zum Glück beinhaltete sein Studienfach Wirtschaftsinformatik einen guten Teil Mathematik. "Zahlen und mathematische Symbolen sind eben doch eine internationale Sprache. Die Beweisführungen in Analysis konnte ich sehr gut nachvollziehen", sagt Asghari und lacht. Sein Deutsch wurde immer besser, ebenso sein Noten. Der Studienabschluss? "Mit sehr gut."
Motivation und Antrieb waren schon immer die Kernpunkte im Leben des Reza Asghari - und sie sollten noch wichtiger werden, nachdem er schließlich die gemeinsame Professur für Entrepreneurship der TU Braunschweig und der Ostfalia Hochschule übernahm und das Entrepreneurship-Center gründete. Diese Einrichtung hilft Existenzgründern bei den ersten Schritten in die Selbständigkeit - also in puncto Motivation und Antrieb. "Es ist so wichtig, selbst Verantwortung zu übernehmen." Dazu halte er die Studenten an: "Jeder muss für sein Leben kämpfen, denn jeder hat seine eigene Vita."
In seiner Flüchtlingsvita kam er fast ohne externe Hilfen aus. Da war die Familie seiner heutigen Frau, außerdem gab es in Salzgitter einige Kontakte zu Amnesty International und der Diakonie. "Die Wohlfahrtsverbände in Deutschland leisten exzellente Arbeit", lobt der 54-Jährige auch die Rolle des DRK in der Flüchtlingshilfe. Ob Sprachkurse, Ideen, Konzepte: "Das sind effiziente Organisationen, die eine Unterstützung durch den Staat verdient haben."
Asghari muss es wissen. Denn in seinem Wohnort hat er gemeinsam mit der Diakonie eine private Initiative gegründet, der mittlerweile sehr viele Einwohner angehören. Unter dem Titel "Unser Steterburg wird attraktiv" wurde eine Reihe von Aktionen angestoßen. "Wir bieten Sprachkurse für türkische Mitbürger und wollen soziale Brennpunkte entschärfen", nennt der Mitgründer Beispiele - mit einigem Stolz: "Vorigen Monat hat uns die Landesregierung ins Förderprogramm soziale Stadt aufgenommen. In den nächsten zehn Jahren fließen dafür 15 Millionen Euro."
Ein Neubürger, der solche Impulse setzt - ist Asghari ein Vorzeige-Flüchtling? "Das höre ich gar nicht gern", wehrt er ab. "Ich verweise lieber darauf, was es in Deutschland für tolle Möglichkeiten gibt. Das sollten sich auch die Bewohner immer wieder vor Augen führen, denn es ist nicht selbstverständlich." Eine Rückkehr in den Iran hält Asghari für unwahrscheinlich, auch wenn es dort entspannter zugeht als zu Zeiten seiner Flucht. "Aber wenn ich im Ruhestand bin, verbringe ich vielleicht die Winter dort. Denn dann ist es im Iran viel angenehmer als hier."
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