Solche Wahlbeteiligungen erreicht keine Bundestags- und erst recht keine Landtagswahl: Zwischen 87 und 93 Prozent der Schüler hatten an den vier weiterführenden Schulen im ostwestfälischen Rietberg darüber abgestimmt, was mit einem Teil des Geldes passiert, das die Stadtverwaltung ihren Schulen als Budget zur Verfügung stellt. Am gestrigen Donnerstag stellten die Schüler den Kommunalpolitikern ihre ausgearbeiteten Wünsche vor. Der Schulausschuss der Stadt gab einstimmig grünes Licht für Boxsäcke, Schließfächer, Räume zum Chillen und vieles mehr: Der Rietberger Schülerhaushalt steht – nun geht es an die Umsetzung.
Von links nach rechts: Die Schülerinnen Julia Bonen und Laura Balke präsentierten am Donnerstag, 28. Februar 2013, im Rietberger Schulausschuss die Vorschläge des Gymnasiums. Nicht nur Hermann Lütkebohle, Abteilungsleiter in der Stadtverwaltung, und Bürgermeister Andreas Sunder waren davon angetan. Der Ausschuss bewilligte den Schülerhaushalt einstimmig. ( Foto: Jan Voth)
Im vergangenen Sommer hatte der Rat der 28.000-Einwohner-Stadt im Kreis Gütersloh eine zum damaligen Zeitpunkt bundesweit einmalige Entscheidung getroffen. Bis zu einem Viertel des jährlichen freien Budgets für die städtischen Schulen legten die Kommunalpolitiker in die Hand der Schüler. Alle weiterführenden Schulen in Rietberg nahmen an dem Pilotprojekt teil: das Gymnasium, die Real-, die Haupt- und die Förderschule mit insgesamt 2.600 Schülern. Das Konzept für den Schülerhaushalt stammt von der Bertelsmann Stiftung, die das Projekt bis zur gestrigen Ausschusssitzung begleitete.
Direkt nach den Herbstferien fiel der Startschuss für das Projekt. Im Zentrum stand die Frage: Was wünschen wir uns für unsere Schule am dringendsten? Ideen wurden gesammelt und debattiert. Im November folgte der Gang zur Wahlurne. Jeder Schüler konnte auf einem Wahlzettel seine Favoriten ankreuzen. Dann wurde ausgezählt, Umsetzungspläne entstanden, wurden verworfen oder verfeinert. Bis gestern die Schülervertreter die fertigen Pläne dem zuständigen Ratsausschuss präsentierten, der für die Freigabe der Mittel verantwortlich ist.
Umgesetzt werden nun: Neue Schließfächer, Getränkeautomaten, Boxsäcke, neue Tische und Stühle, Schul-T-Shirts, Hängematten, Chillräume, Whiteboards und Unterstützung für die Redaktion einer Schülerzeitung. "Einige Vorschläge mögen verwundern, aber die Schule ist unser Lebensraum. Wir verbringen dort die meiste Zeit - manchmal bis 5 Uhr abends. Und da möchten wir uns auch wohlfühlen", sagte Laura Balke, die gestern als Vertreterin des Gymnasiums im Ausschuss die Vorschläge ihrer Mitschüler präsentierte.
Nicht alle an der Wahlurne favorisierten Ideen können realisiert werden. Das vielfach gewünschte freie WLAN etwa hatte eine Schulkonferenz bereits abgelehnt, aus rechtlichen Fragen und wegen Unsicherheiten über Missbrauch. "Ich hatte dafür gestimmt und finde es schade, dass wir das jetzt nicht umsetzen können. Aber auch das ist Politik und eine wertvolle Erfahrung", sagte Jonas Glennemeyer, Schülervertreter der Martinschule.
„Wir sind begeistert, wie engagiert, verantwortungsbewusst und mit wie viel Spaß die Schüler bei der Sache waren“, sagte Projektleiter Alexander Koop von der Bertelsmann Stiftung: „Die Schüler haben Vorschläge gemacht, andere unterstützt und am Ende ihre Stimme eingebracht. Von solch einer Beteiligung kann man in der Politik sonst nur träumen“, sagte Koop.
Auch Rietbergs Bürgermeister Andreas Sunder zeigte sich begeistert: „Der Schülerhaushalt ist für mich Demokratie erleben pur. Die Schüler haben das hervorragend umgesetzt. Ich möchte, dass das Projekt fortgeführt wird. Mit demokratischer Mitbestimmung kann man nicht früh genug anfangen.“
Die Bertelsmann Stiftung macht sich nun daran, ihre Erfahrungen und Materialien aus Rietberg aufzubereiten und anderen Kommunen zur Verfügung zu stellen. Eine weitere Gemeinde hat sich das Konzept des Schülerhaushalts bereits zu Eigen gemacht: In Wennigsen bei Hannover bereiten sich die Schüler ebenfalls darauf vor, den Kommunalpolitikern ihren Etatentwurf zu präsentieren.
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