Bertelsmann Stiftung: Neues Ratingmodell mit internationalen Beispielen vorgestellt




Deutschland genießt international weiterhin eine finanzielle Top-Bonität. Unter den europäischen Staaten nimmt es einen Spitzenplatz ein, allerdings kann seine Kreditwürdigkeit langfristig nur gesichert werden, wenn weitere gesellschaftspolitische Reformen durchgeführt werden. Zu diesem Ergebnis kommt die Machbarkeitsstudie für eine erste unabhängige und nicht-gewinnorientierte Ratingagentur, die die Bertelsmann Stiftung erarbeitet hat und jetzt in Berlin vorgestellt wurde.

Neben den traditionellen makroökonomischen Indikatoren wurden für dieses Länderrating in Zusammenarbeit mit internationalen Rating-Spezialisten zusätzlich vorausschauende Indikatoren in die Analyse mit einbezogen. Dazu gehören etwa das Krisenmanagement von Staaten, die Investitionen und Erschließung von zukünftigen Ressourcen oder die Umsetzung von notwendigen Strukturreformen. Im Rahmen dieser Studie wurde mit diesem Indikatorenset exemplarisch die Bonität für fünf ausgewählte Staaten berechnet.

Für Deutschland ermittelt die Studie dabei die höchstmögliche Bonität. So habe das Land unter allen Mitgliedern der Eurozone die Krise bislang am besten gemeistert. Trotzdem seien insbeson­dere in drei Bereichen Risiken festzustellen. Dazu zählen die Eventualverbindlichkeiten, die Deutschland im Rahmen seiner Haftung für die kriselnden Eurostaaten in Höhe von 310 Milliarden Euro eingegangen ist. Negativ befindet die Studie zudem die Höhe der öffentlichen Verschuldung in Deutschland, die zur Jahresmitte bei 82,8 Prozent lag und in den nächsten Jahren weiterhin über 80 Prozent liegen dürfte. Und schließlich verweist sie auf dringende Reformen, die notwendig seien, um dem demographischen Wandel zu begegnen. Ansonsten könnten die Auswirkungen auf das Renten- und Sozialsystem drastisch sein und auch dazu führen, dass die Bonität deutscher Staatsanleihen negativ betroffen ist.

In der Gesamtbewertung erhält Deutschland von diesem unabhängigen Rating den Bonitätswert 8.1 zugesprochen. Auf der traditionellen Rating-Skala der kommerziellen Ratingagenturen entspräche dies einer der höchstmöglichen Einstufungen (AAA negative Outlook).

Neben Deutschland sind für diese Machbarkeitsstudie auch Brasilien, Frankreich, Italien und Japan untersucht worden. Nach Deutschland erhält Frankreich die beste Bonitätsbewertung mit 7.9 (oder AA+), gefolgt von Italien mit 7.2 (entsprechend AA). Die Kreditwürdigkeit Brasiliens bewerten die Gutachten mit 6.8 (A) und für Japan mit 6.0 (A). Insbesondere bei Italien weicht die Bewertung bei diesem Modell deutlich von dem führender Ratingagenturen ab und kommt zu einer positiveren Bewertung des Landes. Diese ist u.a. den Krisenmanagementfähigkeiten des Landes geschuldet. Frankreichs Bewertung ist zwar nach wie vor solide, allerdings ist davon auszugehen, dass die unter Präsident Hollande angegangenen Reformen, wie die Herabsetzung des Rentenalters oder die steigende Schuldenlast des Landes dazu führen können, dass die Bewertung sinkt. Unter Beobachtung steht auch die Entwicklung in Brasilien. Das Land muss dringend Investitionen im Bildungsbereich sowie bei der Infrastruktur vornehmen, um die bereits in 2011 auf 2,7 Prozent zurückgegangene Wachstumsrate halten zu können (nach 7,5 Prozent in 2012; vorausgesagte Wachstumsrate für 2012: 2,5 Prozent). Das Rating für Japan wird stark beeinflusst von seinem Schuldenstand, der Anfang des Jahres 229,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betrug und damit der höchste Schuldenstand eines Landes in der Welt ist.

Die von der Bertelsmann Stiftung vorgestellten Länderratings sind die zweite Stufe einer Machbarkeitsstudie für eine internationale, unabhängige und nicht-gewinnorientierte Ratingagentur (International Nonprofit Credit Rating Agency – INCRA). Die Stiftung möchte damit eine Alternative zu den klassischen Ratingagenturen wie Moody´s, Fitch oder Standard & Poor´s aufzeigen, deren Ratings im Rahmen der internationalen Finanz- und Eurokrise stark in die Kritik geraten waren. Den deutlichsten Vorteil dieser neuen unabhängigen Länderratings sieht die Stiftung insbesondere in der Erhöhung der Qualität der Bewertungen durch die Berücksichtigung auch der sozioökonomi­schen Entwicklung eines Landes ergänzend zu den traditionellen makroökonomischen Daten. Da­bei verweist sie auch auf den Vorzug der höchstmöglichen Transparenz, da alle Berechnungsgrundlagen öffentlich zugänglich und nachvollziehbar gestaltet werden sowie auf die Verbesserung der Verständlichkeit der Bewertungen durch die Einführung eines „Rating-Radars“. Der Radar zeigt auf einen Blick, in welchen Bereichen ein Land makroökonomische oder sozioökonomische Stärken oder Schwächen aufweist.

„Den Vorteil eines Ratings sehe ich in der umfassenden und völlig transparenten Grundkonstruk­tion. Gleichzeitig ist es aber nicht nur ein System zur Bewertung der Bonität von Staaten sondern ein gutes Instrument, um eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Reformdefizite eines Landes zu führen“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Aart De Geus, bei der Vorstellung der Studie. „Für Deutschland hat unsere Analyse gezeigt, dass es nach wie vor in Europa an der Spitze liegt, aber dass es sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen darf. Als eines der drängendsten Reformprojekte gilt es dabei den demographischen Wandel aktiv zu gestalten. Dazu gehört es auch, für Talente weltweit attraktiver zu werden.“

Die in Berlin präsentierten Länderratings sind der „Praxistest“ des im April vorgestellten INCRA-Konzeptes der Bertelsmann Stiftung. Die Stiftung selbst strebt nicht an, eine unabhängige Ratingagentur zu realisieren. Nach ihrer Ansicht sollte beispielsweise die G20, die Gruppe der weltweit führenden Industrie- und Schwellenländer, die Diskussion zum Aufbau einer unabhängigen Ratingagentur weiter vorantreiben.


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