Der Fall Charlotta: Ein Vater kämpft für seine Tochter

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Schöppenstedt. Uwe Scharf kämpft wie ein Löwe für seine Tochter Charlotta. Das siebenjährige Mädchen ist aufgrund ihrer Erkrankung zu 100 Prozent behindert und hat die Pflegestufe drei. Charlotta leidet unter Spina Befida, einem offenen Rücken und sitzt im Rollstuhl. Ihr Vater möchte eine Schulbegleitung für Charlotta. Die will aber keiner zahlen. Lesen Sie in unserer zweiteiligen Geschichte, wie die Familie täglich kämpft und was die zuständigen Behörden zum "Fall Charlotta" sagen. 

Teil eins - Kampf gegen Windmühlen


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Eine schwere Behinderung fesselt Charlotta an den Rollstuhl. Foto:



Nach den Sommerferien soll Charlotta die zweite Klasse der Grundschule Schöppenstedt besuchen. Wie das gehen soll, weiß Vater Uwe Scharf noch nicht genau. Denn Charlotta ist schwer gehbehindert und bräuchte eigentlich eine Schulbegleitung. Doch die wird ihr nicht zugesprochen. Ein Kampf gegen Windmühlen, den die Familie Scharf aus Schöppenstedt nun schon seit zwei Jahren führt.

„Das Problem ist, dass Charlotta keine Schulbegleitung bekommt, die sie aber meiner Meinung nach dringend bräuchte. Denn mit einer Begleitperson könnte sie kurze Strecke selbstständig laufen“, erklärt Uwe Scharf. Möglich wäre dies über die Zahlung des sogenannten persönlichen Budgets.

Seit 2008 haben Familien und Patienten ein Recht auf  die Zahlung eines persönlichen Budgets. Sind mehere Kostenträger involviert, spricht man von einem trägerübergreifenden Budget. Und genau das möchte Uwe Scharf für seine Tochter in Anspruch nehmen. Es würde ihm die Möglichkeit geben, den Betreuungsbedarf seiner Tochter selber abzudecken. Soll heißen: Der oder die Leistungsträger zahlen eine Summe an die Pflegeperson, in diesem Fall Charlottas Eltern, die damit beispielsweise Personal und Dienstleitungen finanzieren können. "Ich trete also als eine Art Auftraggeber ein und stelle zum Beispiel die Pflegekraft ein", erklärt Uwe Scharf.

Durch ihre Behinderung, die das Merkmal „GaGH“* trägt, ist Charlotta stark in ihrer Bewegung eingeschränkt und sitzt im Rollstuhl. Die einzige Chance, sich selbständig fortzubewegen, sind ihre Bein-Orthesen. Diese kann das Mädchen anlegen um kurze Strecken zurückzulegen. „Charlotta kann die Orthesen jedoch nur in Begleitung benutzen. Sie braucht jemanden, der sie dabei unterstützt und hilft, falls sie umkippt“, erklärt Uwe Scharf. Das könnte nämlich sehr schnell der Fall sein. Eine kleine Unebenheit oder Unachtsamkeit und schon würde das siebenjährige Mädchen hilflos zu Boden stürzen.

Für Charlotta würden die Stützen, die fest um jedes Bein liegen, ein Stück Freiheit bedeuten. Sie könnte gehen und müsste nicht ständig im Rollstuhl sitzen. Das würde ihr sowohl in der Freizeit, als auch in der Schule ein wenig Unabhängigkeit bescheren. Und ihr helfen, in der Gesellschaft zurechtzukommen. Uwe Scharf erklärt, dass das Tragen der Orthotesen möglicherweise auch dazu beitragen könnten, dass sich Charlottas Beinmuskulatur stärkt. Richtig unbeschwert gehen und rennen wird das Mädchen nie können. Das weiß auch ihr Vater. Aber ein kleines Stück Unabhängigkeit, das wünscht er seiner Charlotta.


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Uwe Scharf mit seiner Tochter Charlotta. Foto: Scharf



„Ich möchte doch nur, dass Charlotta alle Möglichkeiten bekommt, die ihr zustehen. Sie soll eine richtige Ausbildung bekommen und sich später im Leben zurechtfindet. Sie wird es ohnehin nie leicht haben. Aber wir wollen, dass sie es so leicht wie möglich hat."


Die Schulbegleitung und die dafür notwendigen Finanzmittel werden nun nicht mehr übernommen. Wurden eingestellt, weil eine Prüfung ergab, dass das Mädchen auch ohne Begleitung in der Schule klar kommt.

„Auf Charlottas Schule gehen drei weitere Kinder mit einem Handicap. Alle haben eine Schulassistentin“, berichtet der Vater. „Warum bekommt Charlotta keine zugesprochen? Ich verstehe das nicht und finde, dass das diskriminierend ist“, sagt er verzweifelt.

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Charlotta und ihr Vater Uwe. Foto:


Mit einer schweren Krankheit geboren


Charlotta kam im Juni 2007 mit der Diagnose Spina Bifida und Hydrocephalus zu Welt (umgangssprachlich offener Rücken und Wasserkopf). Sie ist von Geburt an zu 100 Prozent schwerstbehindert. Das Mädchen braucht ständig Hilfe in der Bewältigung ihres Alltags, muss gewickelt und bis zu zehnmal täglich katheterisiert werden, da sie eine neurogene Blasen-und Darmfunktionsstörung hat. Außerdem kann sie sich nicht alleine Anziehen. Geistig ist das Mädchen fit, das betont Vater Uwe immer wieder. "Sie ist in manchen Dingen vielleicht etwas langsamer. Das hat man uns auch damals gesagt, als es darum ging, Charlotta einzuschulen. Wäre sie geistig beeinträchtigt, würden wir sie nicht auf eine normale Schule schicken. Dann hätten wir eine Förderschule gewählt. Aber sie kommt in der Schule gut mit und es macht ihr Spaß. Manchmal hat sie noch einige Schwierigkeiten, sich richtig zu integrieren", räumt er ein. Uwe Scharf ist überzeugt, dass die Benutzung der Orthesen helfen würden, sie besser in die Klassengemeinschaft einzubringen.

Bis zu 5.000 Euro im Monat für Pflege und Betreuung


Rund 5.000 Euro, so Uwe Scharf, würde die Rundum-Pflege für seine Tochter kosten. Die Kosten dafür übernahm bis Mai 2014 der Landkreis Wolfenbüttel, beziehungsweise die Krankenkasse der Familie. Dann kam der Bescheid, dass die Kostenübernahme der Eingliederungshilfe im Landkreis Wolfenbüttel nach einer Prüfung eingestellt wird. Bisher haben Uwe Scharf und Charlottas Mutter, Svitlana Fomenko, das Wechseln der Windel und das Katheterisieren übernommen. Auch in der Schule. Oder die Schulbegleitung, die Uwe Scharf und seine Lebensgefährtin eingestellt hatten, hat das übernommen. Die junge Sozialpädagogin kümmerte sich das vergangene halbe Jahr um Charlotta. In der Schule und in der Freizeit. Die pflegerischen Leistungen, sprich das Katheterisieren und das Windeln, ist laut Auskunft der Landesschulbehörde nicht zwingend die Aufgabe der Schulbegleitung, wie sie die Eingliederungshilfe finanziert. Hierzu könne auch eine andere kompetente Fachkraft hinzugezogen werden.

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Charlotta ist trotz ihrer Krankheit ein fröhliches Mädchen. Foto:



„Wir haben sogar ein Sonderpädagogisches Gutachten von der Uni-Klinik Greifswald vorgelegt. In diesem Gutachten wird die Erkrankung meiner Tochter dargelegt und darauf hingewiesen, dass sie Hilfe braucht. Aber dieses Gutachten wurde schlichtweg ignoriert“, erzählt Charlottas Vater aufgebracht.

Komisch findet Uwe Scharf auch, dass sich die Meinung der Schule innerhalb von einem halben Jahr um 180 Grad gewendet hat. Noch im Oktober 2013 sprach sich Charlottas Klassenlehrerin für die Schul-Assistentin aus und teilte dies auch schriftlich mit. Im Frühjahr 2014 sei seitens der Schule und der Eingliederungshilfe dann festgestellt wurden, dass die Schulbegleitung nicht mehr notwendig sei und Charlotta lediglich eine Pflegekraft zum Katheder-und Windelnwechslen benötigt. Diese Kosten seien aber vom Pflegegeld zu entrichten, welches die Eltern beziehen.

Und nun?


Seit Mai 2014 zahlt der Landkreis nicht mehr und Uwe Scharf musste den Rest des Schuljahrs für die Kosten aufkommen. „Wäre meine Arbeitgeberin nicht so sozial eingestellt und mir das Geld vorgeschossen, hätten wir die Schulbegleitung nicht bezahlen können. Nur ihr haben wir es zu verdanken, dass Charlotta bis zu den Ferien ihre Begleitung behalten konnte. Sie hat sich schon so an sie gewöhnt und oft auch die Freizeit mit ihr verbracht", erzählt der Vater. Er weiß noch nicht, wie es nach den Ferien weitergehen soll. Womöglich wird die Familie selbst erst einmal für die Kosten aufkommen.

"Ich kämpfe weiter, werde  alle Ministerien und Behörden in Deutschland anschreiben und um Hilfe bitten. Ich habe mich schon schriftlich und persönlich an die Politik gewandt. Aber nirgends wirklich Hilfe bekommen, manchmal nicht mal eine Antwort", so Uwe Scharf. Wenn alles nichts nützt und er wieder gegen Wände rennt, dann will er streiken. Für seine Tochter und die Hoffnung auf ein leichteres Leben für Charlotta.

Jede Medaille hat zwei Seiten 


Jede Medaille hat zwei Seiten, so auch diese. Das Antragsverfahren und die Bewilligung von Geldern geht immer mit einer komplexen Sachbearbeitung einher. Manche mögen es Bürokratie nennen. Und besonders in diesem Fall ist die Situation sehr verzwickt, die Fronten verhärtet und die Nerven zum Zerreißen gespannt. WolfenbüttelHeute.de zeigt am Montag im zweiten Teil, wie kompliziert die Kostenübernahme in solchen Fällen ist und nach welchen Kriterien entschieden wird, ob eine Schulbegleitung notwenig ist, oder auch nicht. Dazu sprechen wir mit Landrätin Christiana Steinbrügge und Vertretern der Eingliederungshilfe. Auch die Landesschulbehörde wird sich zu Wort melden und die Situation aus deren Sicht schildern.

* „GaGH" steht für das Merkmal der Behinderung. In Charlottas Fall spricht man von einer Gehbehinderung (G), einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (aG) und Hilflosigkeit (H).


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