Dolle-Ausstellung: Porträtfotografien Wolfenbütteler Fotografen

von Thorsten Raedlein




Wolfenbüttel. Viele werden noch sehr alte und auf Karton gezogene vorwiegend kleine Porträtfotos von Familienangehörigen in Fotoalben oder Schuhkartons besitzen. Wenn man Glück hat, ist die abgebildete Person bekannt, weil jemand den Namen dazu geschrieben oder aus der Verwandtschaft mündlich überliefert hat. Dietmar Dolle zeigt bis Mitte Dezember im Schaufenster der Geschäftsstelle der Aktionsgemeinschaft Altstadt (Kleiner Zimmerhof) eine Auswahl interessanter Portraitfotografien.

<a href= Ungewöhnliches Porträtfoto (als Raute) einer unbekannten Frau vom rückseitig genannten Fotografen Adolf Herbst aus Wolfenbüttel; Lange Herzogstraße 38, und dem handschriftlichen Zusatz Meinem lieben Hetchen von ihrer Agnes, Wolfenbüttel, Mai 1908 (Archiv: D. Dolle)">
Ungewöhnliches Porträtfoto (als Raute) einer unbekannten Frau vom rückseitig genannten Fotografen Adolf Herbst aus Wolfenbüttel; Lange Herzogstraße 38, und dem handschriftlichen Zusatz Meinem lieben Hetchen von ihrer Agnes, Wolfenbüttel, Mai 1908 (Archiv: D. Dolle) Foto:



Gegenstand der sehenswerten Ausstellung sind vor allem Porträtfotos namentlich bekannter Wolfenbütteler Bürger, daneben typische Aufnahmen von unbekannten Personen, den unterschiedlichen Rückseiten sowie schöne Werbeanzeigen zeitgenössischer Fotografen in Wolfenbütteler Adressbüchern.

<a href= Kombiniertes Porträt- und Kabinettfoto von Carl Gerade, geb. 04.09.1852 in Gnesen, Oberlehrer an der hiesigen Großen Schule, krankheitsbedingt frühpensioniert, wh. zuletzt am Rosenwall 12, gest. 02.02.1898 in Wolfenbüttel; Aufnahme um 1890 (Archiv: D. Dolle)">
Kombiniertes Porträt- und Kabinettfoto von Carl Gerade, geb. 04.09.1852 in Gnesen, Oberlehrer an der hiesigen Großen Schule, krankheitsbedingt frühpensioniert, wh. zuletzt am Rosenwall 12, gest. 02.02.1898 in Wolfenbüttel; Aufnahme um 1890 (Archiv: D. Dolle) Foto:



Die Portrtaitfotos, meist im Format von 5,5 mal neun Zentimetern, bezeichnet man als Visitenkartenporträt (Visitenkartenfoto, Visit oder Carte de visite, abgekürzt CDV), da sie etwa die Größe einer heutigen Visitenkarte aufweisen. Es handelt sich dabei um auf etwas größeren Karton geklebte Papierkopien von Kollodium-Nassplatten-Negativen oder seit 1864 um mit Uran-Kollodium überzogenem Papier. Das eigentliche Herstellungsverfahren war etwas kompliziert und ließ sich Andrè Adolphe-Eugène Disdèri im Jahre 1854 patentieren. Andererseits konnten die Kosten durch das kleinere Format und die rationelle Herstellung mehrerer Abzüge gegenüber vorherigen Verfahren stark reduziert werden. Um 1880 entsprach der Preis von 2,50 Mark für sechs Abzüge nur noch dem durchschnittlichen Tageslohn eines Arbeiters.


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Rückseite eines Porträtfotos einer unbekannten Frau etwa von 1890 - 1900 (Archiv: D. Dolle). Foto:



Eine Besonderheit, fast schon eine revolutionäre Idee, war in zweifacher Hinsicht um das Jahr 1908 eine interessante Foto-Variante, die so bisher nur bei dem Wolfenbütteler Fotografen Adolf Herbst vorgefunden wurde. Er wich zum einen von dem standardmäßigen rechteckigen Format ab und fertigte auch quadratische Abzüge in der Größe 5,5 mal 5,5 Zentimeter. Zum anderen stellte er das Quadrat wie bei einer Raute auf die Spitze und fügte in das Viereck zunächst einen Kreis und darin die fotografierte Person ein. Derartige Fotos ließen sich vermutlich schlecht in einem Album aufbewahren und haben sich nicht weiter durchgesetzt.

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Porträtfoto eines unbekannten Mädchen etwa von ca. 1912 – 1915 (Archiv: D. Dolle). Foto:



In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es üblich, Porträtfotos in mehreren Exemplaren herzustellen zu lassen und innerhalb der näheren und weiteren Verwandtschaft zu verteilen oder in Alben zu sammeln. Auch von Prominenten wurden derartige Fotografien gefertigt und verkauft; so sollen nach dem Tod des britischen Prinzgemahls 70000 Exemplare abgesetzt worden sein. Der künstlerische Wert derartiger Aufnahmen war jedoch häufig relativ gering, denn man achtete damals weder auf eine differenzierte Beleuchtung noch auf eine Herausstellung des Charakters der zu fotografierenden Person.

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Rückseite des Porträtfotos einer unbekannten Frau von etwa 1910 (Archiv: D. Dolle Foto:



Wenn damals jemand eine derartige Aufnahme von sich machen lassen wollte oder benötigte, war dies auf den Dörfern grundsätzlich nicht möglich, denn es gab vorwiegend nur in größeren Orten oder Städten Berufsfotografen, so zum Beispiel P. Schneider in Hornburg, K. Tannenberg oder R. Carbonnier in der Sackstraße 2  in Schöppenstedt und natürlich mehrere in Wolfenbüttel.

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Rückseite des Porträtfotos eines unbekannten jungen Mannes von ca. 1910 (Archiv: D. Dolle). Foto:



Dem einen oder anderen werden in diesem Zusammenhang vielleicht noch für Wolfenbüttel die Namen Artur oder Carl Sternitzky, Heinz Bornemann, Hans Dethmann, Adolf Herbst, Carl Hansen, Franz Röhnert, Curd Oberst oder Oskar Meyer (als Hoffotograf) bekannt sein. Beliebte Firmenstandorte waren die Anwesen in der Bahnhofsstraße 1 (günstig gelegen zwischen Bahnhof und Innenstadt), die Lange Herzogstraße (schon damals die Haupteinkaufsstraße) Nr. 19 und 38, wo jeweils nacheinander mehrere Fotografen ansässig waren. Adolf Herbst hatte sein Atelier vor 1900 zunächst Lange Herzogstraße. 19, später noch als Zweitgeschäft Lange Herzogstraße. 38, zuletzt nur dieses. Auch der Bereich Neue Straße mit Haupteingängen vom Rosenwall war als Geschäftslage begehrt. Die Zugänge zu den Ateliers der Fotografen Carl Hansen, Hermann Beyer und Franz Röhnert am Rosenwall lagen sicher nicht zufällig gegenüber der Großen Schule. In einer Werbeanzeige von 1886 wies Franz Röhnert darauf hin, dass er sein Atelier vis-a-vis dem Gymnasium empfiehlt...

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Adressbuch Wolfenbüttel von 1886 (Archiv: D. Dolle).">
Werbeanzeige des Fotografen Franz Röhnert aus Wolfenbüttel im
Adressbuch Wolfenbüttel von 1886 (Archiv: D. Dolle). Foto:



Die Gymnasiasten ließen sich als Schüler, als Angehörige der Turngemeinde, beim Ausmarsch zu Lokalitäten oder zur Asse, als Burschenschaftler sowie bei späteren Treffen der jeweils Ehemaligen gern fotografieren. Einige Fotografen besaßen noch weitere Fotostudios, so Adolf Sternitzky und Oskar Meyer in Braunschweig, Meyer  zusätzlich noch im Nordseebad Langeoog. Während die meisten Fotografen langjährig in Wolfenbüttel ansässig waren, waren es andere wohl nur kurz, so Wilhelm Buhl etwa um 1883, Siegmund Trapp nur ca. um 1910 und  Carl Wohlgemuth nur  etwa 1919.

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Rückseite des Fotos von den drei unbekannten Kindern; Fotograf Hermann Beyer aus Wolfenbüttel; Aufnahme ca. 1890 – 1900. (Archiv D. Dolle) Foto:



Der Fotograf Carl Sternitzky, wohnhaft Bahnhofstraße 1, (oder ein gleichnamiger Sohn) wurde später als Kunstmaler bezeichnet und schrieb sich nunmehr Karl Sternitzki. Das derzeit älteste nachweisbare Studio betrieb ein G. Rudloff im Krambuden 6, das etwa um 1880 von der Familie Sternitzky übernommen wurde. Ein weiterer früher Wolfenbütteler Fotograf war um 1883 Wilhelm Buhl in der Breiten Herzogstraße.

<a href= (Porträtfoto von Anna Brammer, geb. Achilles, geb. 18.10.1860, gest. 21.07.1930 (laut rückseitiger Aufschrift), die aber vermutlich nicht in Wolfenbüttel wohnte; Fotograf Carl Sternitzky aus Wolfenbüttel, Foto etwa von 1870 – 1880. Archiv D. Dolle).">
(Porträtfoto von Anna Brammer, geb. Achilles, geb. 18.10.1860, gest. 21.07.1930 (laut rückseitiger Aufschrift), die aber vermutlich nicht in Wolfenbüttel wohnte; Fotograf Carl Sternitzky aus Wolfenbüttel, Foto etwa von 1870 – 1880. Archiv D. Dolle). Foto:



Die Modelle haben sich zur Anfertigung von Porträtfotos ihre beste Kleidung angezogen, manchmal auch einen Turnanzug oder eine Uniform, wenn es denn überhaupt die eigene oder eher eine ausgeliehene war. Auf jeden Fall war es nicht die oft sehr einfache sonstige Alltags- oder Arbeitskleidung. Man badete wohl noch mal extra direkt vor der Aufnahme beziehungsweise ging zum Frisör. Es wurde alles getan, um ordentlich auszusehen, denn die Anlässe für derartige Fotos waren vielfältig. Es sollten Erinnerungen an schöne Ereignisse wie Taufe, Konfirmation, Schulzeit, die Verlobung, die Hochzeit oder eher traurige wie ein bevorstehender Wegzug, die Auswanderung, die Einberufung zum Militär oder in einen Krieg sein. Das mag mit erklären, warum viele Personen so ernst schauen, aber das ist ja heutzutage auch so, wenn man von sich Ausweisfotos benötigt. Auf den Porträtaufnahmen ist manchmal die ganze Person abgebildet, meist aber nur vom Oberkörper oder der Brust an aufwärts. Am unteren Bildrand ist oft der Name des Fotografen mit der Ortsangabe oder vollständigen Geschäftsanschrift aufgeführt.

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Porträtfoto einer unbekannten Frau; Fotograf Siegmund Trapp aus Wolfenbüttel, Aufnahme etwa um 1910. (Archiv D. Dolle). Foto:



Ein interessanter Aspekt dieser Fotos sind die unterschiedlich gestalteten Rückseiten der von speziellen Herstellern angebotenen Kartons. Die meisten Fotografen entdeckten und nutzten sie zur Werbung für ihr Institut. Eine Ausnahme davon bildete der Fotograf Hans Dethmann, seine vorliegenden Fotos weisen keine rückseitige Werbung oder andere Beschriftung auf. Anhand der graphisch anspruchsvollen und häufig wechselnden Gestaltung lassen sich undatierte Aufnahmen oft zeitlich annähernd bestimmen. Um 1860 beschränkte man sich auf rein typografische Zeilen, um 1870 wurden sie von Ornamenten umgeben und mit Vignetten bereichert, um 1880 war die ganze Rückseite oft bis zum Rand dekoriert, um 1890 waren große, diagonal angeordnete Ateliernamen beliebt, um 1900 herrschten florale und um 1910 geometriesierende Jugendstilelemente vor. Meist enthielten die Fotos den Hinweis, dass die Platte für Nachbestellungen bzw. Vergrößerungen aufbewahrt wurde.

<a href= Kombiniertes Porträt- und Kabinettfoto von drei unbekannten Kindern; Fotograf Hermann Beyer aus Wolfenbüttel, Aufnahme ca. 1890 – 1900. (Archiv D. Dolle)">
Kombiniertes Porträt- und Kabinettfoto von drei unbekannten Kindern; Fotograf Hermann Beyer aus Wolfenbüttel, Aufnahme ca. 1890 – 1900. (Archiv D. Dolle) Foto:



Das kleine Standardformat der Fotos wurde meist und etwa bis zum Ersten Weltkrieg verwendet, obwohl es ab 1866 auch die größere Kabinettkarte (auch Cabinet) gab. Diese hatte vorwiegend das Format 16,5 mal 11,5 Zentimeter wurde aber ab Mitte der 1890er-Jahre in beliebigen Größen und unter Verwendung erster farbiger Kartonoberflächen gefertigt. Anfangs gab es  in diesem größeren Format topografische Motive, später dann insbesondere Personengruppen oder einzelne oder mehrere Personen in einem dekorierten Studio. Da standen oder saßen die Kunden in einer idealisierten Landschaft oder einer vornehmen Sitzgruppe. Anfang des 20. Jahrhunderts verloren die Kabinett- und Porträtfotos zugunsten des Postkartenformats an Popularität und waren bis zum Ende des Ersten Weltkrieges weitgehend vom Markt verschwunden.


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