Wolfenbüttel. Jana (acht Jahre), Julia und Jamil (beide fünf Jahre) sind in ihr Spiel vertieft. Während Jamil herumtobt, sind die beiden Mädchen deutlich ruhiger. Nicht, weil Jungs nun mal Jungs und Mädchen nun mal Mädchen sind; nein, Jana und Julia leiden an einer bis heute unheilbaren Krankheit, dem Louis-Bar-Syndrom. Um ihnen ein möglichst „normales“ Leben zu ermöglichen, benötigen die Kinder Ergo- und Physiotherapie. Aber die erhalten sie derzeit nicht. Denn die drei Kinder und ihre Eltern sind als Flüchtlinge in Wolfenbüttel zu Gast und müssen warten, bis ihr Asylantrag bearbeitet ist. Das braucht Zeit – aber die haben die Kinder nicht, denn die Krankheit schreitet unbehandelt schnell voran.
Seltener Gendefekt
Beim Louis-Bar-Syndrom (Ataxia teleangiectatica) handelt es sich um einen seltenen Gendefekt mit einem äußerst vielschichtigen Krankheitsbild. Durch die verminderte Immunkompetenz, neigt man eher zu Infekten und erkrankt weitaus häufiger als die Normalbevölkerung an Leukämie oder Lymphdrüsenkrebs. Die Krebsrate soll um den Faktor 100 höher liegen als bei Nichtbetroffenen. Zu den Symptomen gehören Störungen der körperlichen und geistigen Entwicklung, die Lebenserwartung ist deutlich herabgesetzt. Die Sprache entwickelt sich nur in den ersten zehn Lebensjahren, danach wird das Sprachvermögen schlechter. Kennzeichnend für alle Betroffenen ist die Ataxie, eine Störung der Koordination von Bewegungsabläufen. Diese wird durch Schädigung des Kleinhirns ausgelöst. Aus noch nicht geklärter Ursache kommt es zu einem Untergang von Nervenzellen. Das Kleinhirn hat vielfältige Funktionen. Es hält die normale Spannung der Muskeln aufrecht, reguliert das Gleichgewicht, sorgt dafür, dass Einzelbewegungen genau gezielt ablaufen. Die Lebenserwartung bei Louis-Bar ist mit etwa 20 bis 25 Jahren deutlich reduziert.
„Die Zeit ist jetzt unser größter Feind“, sagt Vater Ali El Khatib auf Englisch. Vor 15 Monaten war der noch ein anderer. Damals ist er mit seiner Familie aus seiner Heimat im Libanon geflohen. Die Hintergründe möchte er aus Angst vor Repressalien nicht öffentlich nennen.
Von Hilfsbereitschaft überwältigt
Angekommen in Deutschland waren er und seine Frau von der Hilfsbereitschaft überrascht. Sei es im Sozialamt in Gießen (hier wurde seine Tochter in einer Privatklinik operiert – allerdings ohne den erhofften Erfolg. Dafür musste die Familie ihre gesamten Ersparnisse – 30.000 Euro bezahlen) oder im Anschluss in der Landesaufnahmebehörde in Braunschweig. Was ihm uns seiner Familie aber in Wolfenbüttel zu Teil werde, sei einfach unglaublich. Vom Vermieter bis zu den Nachbarn kümmere man sich rührend um die Familie. Als die Nachbarn von dem Schicksal der Töchter erfuhren, haben sie sofort geholfen. Nachbarin Betti Bisler zum Beispiel half, einen großen Wunsch der achtjährigen Jana in Erfüllung gehen zu lassen: In Wolfenbüttel zur Schule gehen zu können. Das soll in Kürze geschehen.
Physiotherapeut gesucht
Betti Bisler stellte aber auch den Kontakt zum Integrations- und Therapiezentrum des DRK am Exer (ITZ) her. Leiter Thomas Stoch besuchte jetzt die Familie und sicherte zu, dass man beim ITZ in Sachen Ergotherapie bis zur Bewilligung der Kostenübernahme in Vorleistung gehen werde – bis das Sozialamt des Landkreises den Antrag bearbeitet hat. Stoch hofft nun, dass sich auch ein Physiotherapeut findet, der dem Beispiel folgt und mit der Behandlung beginnt. „Wer der Familie helfen möchte, kann sich gerne mit mir per E-Mail (info@itz-drk.de) oder telefonisch (05331/9278470) in Verbindung setzen“, sagt er.
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