Wolfenbüttel. Das hat es so im Rat der Stadt Wolfenbüttel vermutlich auch noch nicht gegeben. Der stellvertretende Ratsvorsitzende führte am Mittwoch durch die Sitzung und setzte dabei auf die geschlechtergerechte Sprache mit einem Binnen-I. Statt von Bürgern sprach er so beispielsweise von BürgerInnen. Dagegen gab es unverzüglich Protest aus den Reihen der FDP.
7.854 Tage ist es her, dass der stellvertretende Ratsvorsitzende Stefan Brix (Bündnis90/Die Grünen) das letzte Mal eine Sitzung des Rates der Stadt Wolfenbüttel geleitet hat. Eine Zahl, die Brix unter Berücksichtigung der Schaltjahre, selbst ermittelt hatte und zur Begrüßung der Ratssitzung am Mittwochabend stolz vortrug. Umgerechnet sind dies im Übrigen 22 Jahre, 6 Monate und 3 Tage - am 19. September 2001 - ließ er ebenfalls wissen.
Früher war alles anders
Damals haben sich die wenigsten Gedanken über eine diskriminierungsfreie und geschlechtergerechte Ansprache gemacht und der Begriff "Gendern" war der breiten Masse unbekannt. Sowieso war der Diskurs damals ein gänzlich anderer. Die Gesellschaft war nicht so im Austausch wie heute. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, deren Algorithmus die Kommunikation und das Miteinander in der Welt veränderten, waren noch gar nicht erfunden.
Über 22 Jahre später ist die Welt eine andere und die deutsche Sprache befindet sich am Scheidepunkt. Lautstark wird allerorts diskutiert, ob das generische Maskulinum als allgemeingültiger Oberbegriff einer Personengruppe zugunsten diskriminierungsfreier Alternativen weichen muss. Während für die Mehrheit der Deutschen Gendern kaum eine Rolle spielt (siehe repräsentative Umfrage des WDR aus tagesschau.de), gibt es eine Minderheit, die sich durch Aktionismus oder einfach nur eine Anpassung des eigenen Sprachgebrauchs dafür einsetzt. So auch der stellvertretende Ratsvorsitzende Stefan Brix.
"Möchte mit Bürger angesprochen werden"
In der Ratssitzung am Mittwoch genderte der Grünen-Politiker mit einem Binnen-I durch. So wurde unter anderem aus den Kollegen KollegegInnnen, aus den Einwohnern EinwohnerInnen und aus Bürgern eben BürgerInnen. Damit dürfte er für ein Novum bei der Sitzungsleitung im Rat der Stadt Wolfenbüttel gesorgt haben. Zu viel für den FDP-Fraktionsvorsitzenden Rudolf Ordon. Noch während der Einwohnerfragestunde sprang er auf und ergriff das Wort. So verlangte er von Brix, dass er mit dem Gendern dieser Art aufhören solle. Gerne könne er von Bürgerinnen und Bürgern sprechen, nicht aber von BürgerInnen. "Ich bin Bürger und möchte mit Bürger angesprochen werden", protestierte Ordon.
"Ich denke, dass ich in meiner Rede frei bin", entgegnete Stefan Brix und dachte gar nicht daran, auch nur irgendetwas an seinem Sprachgebrauch zu verändern. Er glaube auch nicht, dass es ein Gesetz gebe, dass ihm dieses verbiete. Das wiederum bekräftigte FDP-Mann Ordon, verwies aber darauf, dass es einen Konsens des Verwaltungsausschusses gebe, dass die Stadt Wolfenbüttel nicht mit einem Binnen-I gendere. Nach kurzem Überlegen entgegnete Stefan Brix gelassen: "Schreibe Sie eine Beschwerde gegen mich! Ich werde meine Rede nicht ändern." Und so setzte er den Sitzungsverlauf bis zum Schluss unbeirrt in unveränderter Sprechweise fort.
Das Thema bewegt und wird immer wieder diskutiert. So auch, ob an unseren Schulen gegendert werden sollte. Lesen Sie dazu unseren Artikel "Genderpflicht an Schulen? Das sagen unsere Politiker". Die TU-Braunschweig hat sich in einer Studie mit der Verständlichkeit von geschlechterbewusst formulierten Texten befasst. Mehr dazu lesen Sie in unserem Artikel "Studie: Beeinflusst Gendern die Textverständlichkeit?".
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