K.O.-Tropfen: Der Black-Out lauert im Getränk

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| Foto: Anke Donner



Wolfenbüttel. Der Weiße Ring steht Menschen zur Seite, die Opfer von Kriminalität und Gewalt geworden sind. Doch sind sie nicht nur Helfer in der Not, sondern arbeiten auch präventiv zum Schutz vor Kriminalität, Missbrauch und Gewalt. WolfenbüttelHeute.de wird in den folgenden Wochen, in Kooperation mit dem Weißen Ring Wolfenbüttel, einige wichtige Themen aufnehmen, Gefahren aufzeigen und Präventivmaßnahmen vorstellen.

Unsere Serie beginnt mit dem Thema K.O.-Tropfen und macht an einem kurzen Fallbeispiel klar, dass die Gefahr nicht nur in dunklen Diskotheken und Bars lauert, sondern oftmals auch im privaten Umfeld.

Der Fall Sabine K. *


Sabine K., eine junge Frau aus Wolfenbüttel wusste nach einem Besuch bei ihrem Arbeitskollegen nichts mehr. Doch sie spürte instinktiv, dass irgendetwas nicht stimmte. Der Kopf hatte vergessen, der Körper nicht. Erst nach einigen Wochen, in denen Sabine K. unter den Folgen des Übergriffs litt, nachts keinen Schlaf fand und immer wieder das Gefühl hatte, es sei ihr etwas schreckliches widerfahren, suchte sie sich Hilfe beim Weißen Ring Wolfenbüttel. Sigrid Greiner, Außendienstellenleiterin "Weißer Ring Wolfenbüttel", erinnert sich noch gut an den Fall Sabine K. "Die junge Frau wusste ganz instinktiv, dass ihr irgendetwas an diesem Abend passiert ist. Am schlimmsten war für die Frau jedoch, dass sie sich an nichts erinnern konnte. Das Gefühl, dass ein wichtiger Teil ihres Lebens fehlte und sie nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte, zermürbte sie", erzähl Sigrid Greiner.

Im Fall Sabine K. wuchs der Verdacht, dass sie Opfer eines Angriffs mit K.O-Tropfen wurde, die ihr vermutlich der Kollege bei einem Besuch in einem Getränk verabreichte. "Das ist das Fatale an diesen Tropfen, sie sind Geruchs-und Geschmacksneutral. Niemand merkt, wenn sie im Getränk sind", erklärt Heike Höhfeld vom Weißen Ring.

Erst im Gespräch und nach den Schilderungen des Opfers konnte sich der Verdacht erhärten. Alle Symptome deuteten auf die Verabreichung eines Schlaf-und Beruhigungsmittels.

"Die Junge Frau hat sich dann damals an ihren Arbeitgeber gewandt und ihren Verdacht gegen den Kollegen geäußert. Das ist genau richtig so. Wenn man etwas derartiges erlebt hat und es sich nicht erklären kann, dann muss man sich mitteilen. Freunde, Familie, Hilfseinrichtungen, egal. Oft leiden die Opfer vielmehr darunter, dass sie denken, es würde ihnen niemand glauben. Es gibt keine Zeugen, keinen Nachweis und keine Erinnerungen", so Sigrid Greiner.

Keine Spuren


GHB und GBL, umgangssprachlich auch "Liquid Ecstasy" genannt, kann anfangs enthemmend wirken. Später fallen die Opfer in eine tiefe Bewusstlosigkeit, können Bewegungsabläufe nicht mehr kontrollieren. Oft wird dieser Zustand von Außenstehenden falsch gedeutet und auf einen zu hohen Alkoholgenuss geschoben. Eine Überdosis von GHB und GBL kann im schlimmsten Fall sogar tödlich wirken.

Die Hilflosigkeit der Opfer macht sie zur leichten Beute. Nicht selten geraten sie, hilfesuchend, an ihren Peiniger, vertrauen ihm und nehmen dankbar jede Hilfe an. Später werden sie, in einem Zustand von Wehrlosigkeit und Ohnmacht misshandelt und missbraucht. Erst nach Stunden erwachen sie aus ihrem Dämmerzustand, leiden jedoch an Gedächtnislücken bis hin zur kompletten Gedächtnislosigkeit. Es gibt nur noch wenige bis gar keine Erinnerungen an die vergangenen Stunden. Nachweisbar sind die Tropfen nach einigen Stunden kaum noch. Es bleibt nur das Gefühl, das sagt: Hier stimmt was nicht.

"Und das ist wirklich das Dramatische an diesen Tropfen. Nicht nur, dass die Opfer völlig wehrlos sind und sich hinterher kaum erinnern können. Der Wirkstoff wird vom Körper so schnell abgebaut, dass er schon nach wenigen Stunden nicht mehr nachweisbar ist. Meist baut er sich schon während des Dämmerzustands ab. Es bleibt nichts, was das Verabreichen der Tropfen nachwiesen könnte", so Sigrid Greiner.

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Sigrid Greiner vom "Weißen Ring e.V Foto: A.Donner)


Warnsignale erkennen


K.O.-Tropfen sind Geruchs-und Geschmacksneutral. In einem Getränk, oftmals Alkohol, sind sie weder zu schmecken oder zu riechen. Die Wirkung kann schon nach 15 Minuten einsetzten und hält mehrere Stunden an. Die Tropfen können je nach Dosierung Übelkeit und Schwindel hervorrufen, wirken oft sexuell stimulierend und enthemmend. Nicht selten fallen die Opfer später in einen Tiefschlaf, der bis zum Koma reicht. Eine Überdosis kann schwere gesundheitliche Folgen und sogar den Tod durch Atemlähmung verursachen.

Opfer, die aus der Bewusstlosigkeit erwachen klagen hinterher oft über Übelkeit und Kopfschmerzen, die einem "Kater" ähneln und versuchen ihren "Rausch" auszuschlafen. "Das ist ganz normal und auch nachvollziehbar. Aber es ist das Schlimmste was ein Opfer machen kann. Denn während des Schlafes baut sich der Wirkstoff weiterhin ab und ist nicht mehr nachweisbar", erklärt Sigrid Greiner.

Was tun?


Auch wenn der Gang schwer fällt und die Erkenntnis schmerzt, sollten Opfer sofort ärztliche Hilfe aufsuchen und den Vorfall bei der Polizei melden. "Sollte sich der Verdacht einstellen, man habe K.O.-Tropfen verabreicht bekommen, sollte man möglichst sofort eine Urinprobe entnehmen. Gar nicht erst warten bis man zum Arzt kann, dann kann es schon zu spät sein. Am besten, man nimmt die Urinprobe gleich zuhause und nimmt sie mit zum Arzt. Und man muss sich jemandem anvertrauen, ein Verdacht soll ausgesprochen werden. Die Opfer zerbrechen oftmals an dem Geschehenen, das sie sich nicht erklären können", so Sigrid Greiner.

Der Weiße Ring hilft den Betroffenen


Heutzutage klappt die Zusammenarbeit von Ärzten, Polizei und Opferhilfe sehr gut. "Das war nicht immer so. Früher mussten wir uns ständig vorstellen und erklären. Der Kontakt zu uns wurde nicht automatisch hergestellt. Heute ist das Gott sei dank anders. Polizei und Krankenhäuser wissen von unserer Arbeit und vermitteln den Kontakt zu uns", ist Sigrid Greiner froh.

Der Weiße Ring hilft, wenn es zu Übergriffen gekommen ist, steht beratend und begleitend zur Seite. "Was uns aber besonders am Herzen liegt, ist die Präventionsarbeit. Wir möchten, dass es gar nicht erst zu solch schrecklichen Fällen kommt. Deshalb wollen wir das Problem bei der Wurzel packen und aufklären", betonen Sigrid Greiner und Heike Höhfeld.

Die beiden Frauen möchten deshalb wichtige Ratschläge geben und appellieren an alle Menschen. Den nicht nur junge Frauen werden Opfer solcher Übergriffe. Die Täter unterscheiden nicht zwischen Alter und Geschlecht. "Sicher sind es oft junge Frauen, die zum Opfer werden. Aber auch ältere Damen und auch Männer sind betroffen. Meist trifft es jedoch wirklich junge Menschen. Diese können die Situation nicht richtig einschätzen und sind den Umgang mit Alkohol nicht gewohnt. Und leider passieren die Übergriffe oft in Zusammenhang mit Alkohol", so Heike Höhfeld.

Achtsamkeit kann schützen


Wer einige Ratschläge beherzt, kann das Risiko eines Übergriffs senken. Der Weiße Ring empfiehlt daher:

- Das eigene Glas nie unbeobachtet lassen.

- Das eigene Glas unausgetrunken stehen lassen, wenn man sich nicht sicher ist.

- Kein offenes Getränk von Leuten annehmen, die einem nicht bekannt sind! Sich nicht dazu überreden lassen.

- Personen meiden, die einem „komisch" vorkommen.

-  Auf das eigene „Bauchgefühl" hören.

- Freunde, Bekannte oder das Personal ansprechen und um Hilfe bitten, wenn man sich unwohl fühlt oder einem schlecht wird.

- Nicht zögern, den Ort (Party, Disco) zu verlassen.

- Sich bei einem Verdacht der Gesundheitsgefährdung durch K.O.-Tropfen einem Arzt anvertrauen oder direkt in die Ambulanz eines Krankenhauses fahren.

- Sich um Freunde kümmern, die zu viel getrunken haben! Unterstützung organisieren.

- Im Zweifel immer die 110 (Polizei-Notruf) oder die 112 (Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst) anrufen.

-  116 006 wählen (tägl. von 7-22 Uhr) – das kostenfreie Opfer-Telefon des Weißen Rings.

Weiter Informationen zum Thema K.O.-Tropfen finden Sie auf der Internetseite des Weißen Ring.

* Name von der Redaktion geändert.




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