Philologentag 2011 in Goslar eröffnet




Vor einer Demontage des gymnasialen Bildungsauftrages durch politisch erzwungene Veränderungen an der inneren Struktur des Gymnasiums hat der Vorsitzende des Philologenverbandes, Horst Audritz, zum Auftakt des diesjährigen Philologentages gewarnt.

Das gymnasiale Bildungsniveau werde, so Audritz heute von mehreren Seiten her in Frage gestellt. So sei im Gefolge der PISA-Leistungsvergleiche das Lernen zunehmend auf das Aneignen messbarer und ökonomisch verwertbarer Fertigkeiten, so genannter „Kompetenzen“ reduziert worden. Inhalte und Wissen würden damit abgewertet: „Ob Werbetext, Rosamunde Pilcher oder Thomas Mann ist egal, Hauptsache die Kompetenzen werden gelernt.“ Gegenüber dieser „fatalen Tendenz“ zur Beliebigkeit der Inhalte und zum Diktat des Messbaren unterstrich Audritz die bewährten Grundlagen gymnasialer Bildungsarbeit: Aneignung eines breiten und vertieften Grundlagenwissens, das allgemeine Studierfähigkeit ermögliche, solide Fremdsprachenkenntnisse, Persönlichkeitsbildung durch Auseinandersetzung mit geistig-kulturellen Werten. Ein zwar ökonomisch brauchbarer, aber geistig-kulturell bindungs- und wurzelloser Mensch ohne Verantwortungsbewusstsein dürfe nicht das Ergebnis gymnasialer Bildung sein. Persönlichkeitsbildung vollziehe sich nicht durch Aneignen abstrakter Kompetenzen, sondern in Auseinandersetzung mit bedeutsamen Inhalten, unterstrich Audritz. Er forderte die baldige Änderung einer Reihe neuer Lehrpläne, so genannter Kerncurricula, die von einem verkürzten Bildungsverständnis geprägt seien.

Scharfe Kritik übte der Vorsitzende des Philologenverbandes ferner an dem bisherigen Vorgehen der Schulinspektion, die das Lernergebnis als Hauptkriterium für Schulqualität völlig außer Acht lasse. Wesentlicher Punkt bei den Schulbeurteilungen sei dagegen die Anwendung bestimmter Unterrichtsmethoden gewesen. Dies spiegele sich auch in der Lehrerfortbildung wider, die nahezu ausschließlich auf das Vermitteln modischer Unterrichtsmethoden ausgerichtet sei. Damit, so Audritz, werde das Generalziel von Schule von den Füßen auf den Kopf gestellt. Unterricht solle selbstverständlich interessant und motivierend sein. Schule sei aber kein Entertainment- Zirkus zur Unterhaltung der Schüler. Methoden müssten sich durch den Lernerfolg rechtfertigen, was gerade bei den als „modern“ deklarierten Methoden längst nicht immer gegeben sei. Audritz: „Jegliche Herrschaftsansprüche von selbst ernannten Methodenpäpsten und die Heiligsprechung bestimmter Methoden weisen wir mit Nachdruck zurück.“

Auch die zunehmende Ausrichtung von Schule an den Kategorien eines Produktionsbetriebes trage zur Demontage der gymnasialen Bildungsziele bei. So werde in völliger Missachtung der Unterschiedlichkeit von materieller Produktion und Bildungsprozess der Schüler in Grundsatzpapieren des Kultusministeriums zum „Kunden“, der sich die „Ware“ Bildung beim „Produzenten“ Schule abholt. Damit werde der Schüler aus jeder Verantwortung für den Erfolg seines Bildungsprozesses entlassen. Ebenso folgerichtig wie abwegig forderten etwa die niedersächsischen Grünen, das Gymnasium solle alle Schüler ungeachtet ihrer Leistungsfähigkeit aufnehmen und gleichzeitig für einen qualifizierten Abschluss aller dieser Schüler die Verantwortung übernehmen.

Hinter solchen Vorstellungen stecke die Auffassung, dass jeder nahezu alles ohne nennenswerte intellektuelle Voraussetzungen und Leistungswillen lernen könne. Der Philologenverband, so Audritz, habe eine solche Vision eines pädagogischen Schlaraffenlandes nicht anzubieten. „Für uns tragen für den Lernerfolg am Gymnasium qualifizierte und engagierte Lehrer, befähigte, interessierte und anstrengungsbereite Schüler sowie Eltern, die ihre im Grundgesetz festgeschriebene Erziehungspflicht ernst nehmen, gemeinsam die Verantwortung.“

Scharf wandte sich Audritz auch gegen die OECD mit ihrer ständigen Forderung nach Maximierung der Abiturienten- und Studierquote in Deutschland. Wenn die Pariser Bildungsideologen gebetsmühlenartig kritisierten, dass hierzulande im Vergleich zu anderen Staaten zu wenig Abiturienten und Studenten ausgebildet würden, unterschlügen sie dabei die Unvergleichbarkeit der verschiedenen Bildungssysteme und die unterschiedliche Qualität der Abschlüsse. Länder wie Spanien, Italien, Frankreich und auch Finnland mit hohen „Studienquoten“ hätten im Übrigen eine doppelt bis viermal so hohe Jugendarbeitslosigkeit wie Deutschland und stünden auch wirtschaftlich schlechter dar.

Die großen Leistungen Deutschlands auf den Gebieten Wirtschaft, soziale Sicherung und Kultur seien undenkbar ohne sein qualitativ hochwertiges Bildungssystem, in dem das Gymnasium eine wichtige Rolle spiele, betonte Audritz. In der Bevölkerung und bei den Eltern genieße das Gymnasium aus gutem Grund hohe Wertschätzung. Dies verpflichte seine Lehrerinnen und Lehrer zu besonders guter Arbeit, aber auch zu Widerstand gegen alle Versuche, unser Bildungswesen kaputt zu reden und kaputt zu machen.


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