Protesttag der Lebenshilfe erhielt nicht die erhoffte Resonanz

Unter dem Motto "Zukunft barrierefrei gestalten" gab es einen Demonstrationszug vom Schlossplatz bis zum Stadtmarkt. Politik und Verwaltung ließen sich aber nicht blicken.

Die Trommelgruppe der Lebenshilfe-Werkstatt bei ihrem Auftritt vor dem Rathaus.
Die Trommelgruppe der Lebenshilfe-Werkstatt bei ihrem Auftritt vor dem Rathaus. | Foto: Lebenshilfe

Wolfenbüttel. Der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung am 5. Mai stand diesmal unter dem Motto "Zukunft barrierefrei gestalten". Die Lebenshilfe hatte dazu mit Unterstützung der Aktion Mensch in Wolfenbüttel die Kinder in den Mittelpunkt gestellt und am heutigen Freitag einen Demonstrationszug vom Schlossplatz bis zum Stadtmarkt organisiert. Die dortige Abschlussveranstaltung verlief in guter Stimmung, litt aber ein wenig unter der Abwesenheit von Politik und Verwaltung. Das kritisiert die Lebenshilfe Wolfenbüttel in einer Pressemitteilung.



Allzuviele Passanten hatten die Organisatoren zwischen 10 und 12 Uhr sicher ohnehin nicht erwartet. Doch die Enttäuschung war spürbar, nachdem Bürgermeister und Landrätin ihre Teilnahme im Vorfeld wegen Terminproblemen abgesagt hatten. "Wenigstens eine Vertretung hätten wir gern gesehen", sagten Joop van den Heuvel als Vorsitzender des Lebenshilfe-Vereins sowie Geschäftsführer Bernd Schauder.

Forderungen verhallten


So verhallten die lautstarken Forderungen der mehreren hundert Kinder und Betreuungskräfte, und auch die Arrangements auf dem Stadtmarkt wurden kaum genutzt. Dort war ein Bewegungsparcours aufgebaut, in dem sich (teilweise) hätte erfahren lassen, wie es sich mit einer Behinderung lebt. Interessant auch die Mauer (in den Köpfen), deren Papp-Steine später eingerissen wurden. "Wir wollen symbolisch die zahllosen Hindernisse wegräumen, die der erfolgreichen Integration im Wege stehen", erklärte Angela Duwe-Sackmann. Als Bereichsleiterin Kinder und Familie hatte sie die offizielle Ansprache übernommen, freute sich über eine reibungslose Veranstaltung, nannte aber auch die Forderungen und Probleme beim Namen.

Die Ansprache auf dem Stadtmarkt hielt Angela Duwe-Sackmann (mit Mikrofon). Die Lebenshilfe-Bereichsleiterin Kinder und Familie freute sich trotz aller Ernsthaftigkeit der Forderungen über den gelungenen Ablauf der Veranstaltung.
Die Ansprache auf dem Stadtmarkt hielt Angela Duwe-Sackmann (mit Mikrofon). Die Lebenshilfe-Bereichsleiterin Kinder und Familie freute sich trotz aller Ernsthaftigkeit der Forderungen über den gelungenen Ablauf der Veranstaltung. Foto: Lebenshilfe


Denn die sind vielfältig. "Wir brauchen mehr Fachkräfte", lautete einer der Slogans. "Zukunft barrierefrei gestalten, Wir sind systemrelevant, Tempo machen für Inklusion" waren weitere Schlagworte. Vor allem die Situation im Förderbereich schilderte während der Demo Anke Bach, Einrichtungsleiterin des Regel- und Integrationskindergartens sowie der Integrationskrippe: "Wir haben je zwei Betreuungskräfte in den 25er Gruppen – das war schon früher zu wenig, ist es heute aber noch viel mehr." Der Förderbedarf habe stark zugenommen, auch im Bereich der Regelgruppen. "Wir haben Kinder aus anderen Kulturkreisen oder aus problematischen Familien oder aus Familien, in denen beide Eltern Vollzeit arbeiten – und die Coronaphase hat all das noch verschlimmert." Die Forderung an die Politik müsse daher lauten: "Wir brauchen mehr Fachkräfte."

Fachkräftemangel als Ausrede


Im Leitungskreis der Lebenshilfe ist die Enttäuschung über die Entwicklung ebenfalls spürbar. "Fachkräftemangel wird heute je schnell mal als Ausrede gebraucht", erklärte Joop van den Heuvel. Der Vereinsvorsitzende des Lebenshilfe-Vereins setzt sich schon seit 30 Jahren für die Rechte der Menschen mit Behinderungen ein. "Schon damals gab es von der Politik nicht genug Geld, doch Aussitzen des Problems ist keine Lösung." Gerade der Bereich der Frühförderung und der Heilpädagogik müsse intensiviert werden. "Hier legen wir die Basis für die Erfolge der nachfolgenden Förderungen."

Neben der Trommelgruppe der Lebenshilfe-Werkstatt fungierte der selbstgebastelte Vogel Emma vom LOT-Theater als Blickfang an der Spitze des Zuges.
Neben der Trommelgruppe der Lebenshilfe-Werkstatt fungierte der selbstgebastelte Vogel Emma vom LOT-Theater als Blickfang an der Spitze des Zuges. Foto: Lebenshilfe


Lebenshilfe-Geschäftsführer Bernd Schauder schlug in die selbe Kerbe: "Wir haben zu wenig Plätze zur Verfügung. Unser Ziel lautet: Jedes Kind hat das Recht auf einen Gruppenplatz." Im benachbarten Sachsen-Anhalt sehe das ganz anders aus, schildert der Wolfenbütteler, der auch Geschäftsführer der Lebenshilfe in Helmstedt und Ostfalen ist: "Dort gibt es ausschließlich integrative Krippen und Kitas – vorbildlich."

Die Gruppen aus den Kinder-Einrichtungen der Lebenshilfe formierten sich auf dem Schlossplatz zum Umzug.
Die Gruppen aus den Kinder-Einrichtungen der Lebenshilfe formierten sich auf dem Schlossplatz zum Umzug. Foto: Lebenshilfe


In Niedersachsen hingegen herrsche Schubladen-Denken vor: "Die Stadt macht die Regelkindergärten, der Landkreis die integrativen." Der Ansatz müsse aber so sein wie in anderen Bundesländern: "Ein Kind ist erstmal ein Kind und braucht einen Platz – und zwar wohnortnah." Der niedersächsische Ansatz sei nicht in Ordnung, unterstrich Schauder. "Die Strukturen müssen sich dringend verbessern."


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