Raúl Krauthausen berichtet aus dem Rollstuhl


Raúl Krauthausen (links) signierte auch sein aktuelles Buch, "Dachdecker wollte ich eh nicht werden". Foto: DRK
Raúl Krauthausen (links) signierte auch sein aktuelles Buch, "Dachdecker wollte ich eh nicht werden". Foto: DRK

Wolfenbüttel. Der Berliner Raúl Krauthausen war am Sonntag auf Einladung des Integrations- und Therapiezentrums (ITZ) zu Gast in Wolfenbüttel. Im Ostfalia-Hörsaal am Exer las er aus seinem Buch "Dachdecker wollte ich eh nicht werden" und zog die rund 150 Besucher gut zwei Stunden in seinen Bann. Das berichtet das DRK.


Schnell sei deutlich geworden, warum der Berliner geradezu ein Star der Inklusionsszene geworden ist. Mit Persönlichkeit, Sachkenntnis und Witz habe er die unterschiedlichsten Themen beleuchtet, die er am intensivsten verfolge: Bildung und Inklusion. "Zu meiner Grundschulzeit Mitte der 80er Jahre war es noch verboten, Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten", erzählte er. Durch die Unkenntnis seiner Schulleiterin wurde er als Rollstuhlfahrer – kleinwüchsig und geboren mit der Glasknochen-Krankheit – aber doch zugelassen. Als diese "Integration aus Versehen" nach Monaten auffiel, sei es zunächst zum Skandal gekommen. "Schließlich wurde aber das Schulgesetz geändert, auch weil es in unserer Klasse so gut gelaufen ist."

Angst ausgeschlossen zu werden


Sehr persönlich wäre auch Krauthausens Bericht von seiner Teilnahme an den Bundesjugendspielen gewesen. Der Schlagball-Weitwurf habe für den jungen Rollstuhlfahrer in Scham und Peinlichkeit gemündet. "Danach habe ich immer wiederkehrende Situationen der Ausgeschlossenheit erlebt, separiert von der Klasse." Die Angst, nicht mehr dazuzugehören zu seinen Freunden, sei für den Jungen ständiger Begleiter gewesen. Und ebenso das Unverständnis: "Warum muss man zur Krankengymnastik, wenn man sich gar nicht krank vorkommt?"

Soweit zwei Berichte aus seinem Buch. Noch freier und emotionaler habe der Gast erzählt, wenn er aktuelle Themen aufgriff oder Fragen aus dem Publikum beantwortete. "Warum ermöglicht man Menschen mit Behinderungen nicht, ihre eigenen Erfahrungen und Fehler zu machen?" plädierte er für einen unverkrampften Umgang miteinander. "Fehler gehören auch zum Leben." Die Entscheidungen und Ratschläge der Gesellschaft sollten allesamt hinterfragt werden, forderte Krauthausen, der erkennbar Gegner von Werkstätten und Wohnheimen sei. "Wenn jemand Astronaut werden will, kann ich ihm doch nicht eine Karriere als Bürokaufmann empfehlen. Er könnte doch im Planetarium arbeiten, da ist er wenigstens möglichst nahe dran am Weltall."

Einmal Wohnheim, immer Wohnheim


Der Berliner arbeite als Inklusionsaktivist und ist Gründer von Sozialhelden.de. In der Vergangenheit habe er sich zu Recherchezwecken schonmal mit versteckter Kamera in ein Wohnheim einweisen lassen. Sein Fazit nach fünf Tagen Undercover-Experiment: "Für die Bewohner heißt es ,Einmal Wohnheim, immer Wohnheim'. An einem regulären Auszug in andere Wohnformen wird nicht gearbeitet, denn die Einrichtung läuft nur, wenn sie ausgelastet ist." Dem Ganzen liege ein "krankes System" zugrunde, kritisiert Krauthausen. "Eigentlich sollten wir die Wohnheime doch belohnen, wenn jemand die Einrichtung verlässt."

Förderschulen seien ebenfalls Teil des Problems – Krauthausen spricht da von der "Schonraumfalle". "Junge Menschen mit Behinderung bleiben dort weit hinter ihrem Potenzial zurück, weil sie gefördert werden statt sie zu fordern." Was ihn besonders wundert: "Die Hochbegabtenförderung funktioniert in Deutschland wunderbar. Warum geht das nicht auf anderen Ebenen genauso gut?"


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