Wolfenbüttel. Die pflegepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Elisabeth Scharfenberg, schlug vor, Pflegebedürftigen und Schwerkranken Sexualassistentinnen zu bezahlen. Der Stadtverband der Grünen findet, sie hat mit Mut eine Debatte angestoßen.
"Frau Scharfenberg hat mit der Frage der Finanzierung der Sexualassistenz für Pflegebedürftige und Schwerkranke mit Mut eine Debatte angestoßen, die nicht so skurril ist, wie es auf den ersten Blick scheint, meinen die Wolfenbütteler Grünen, die die Fragestellung nicht von der Hand weisen wollen. Im Gegenteil. In der Zeit von schnell ausgelösten „shit storms“ im Internet, wo sich Menschen zu selten die Mühe machen, Inhalte und Argumente sachlich und gut argumentiert zu prüfen, ist eine solche Frage gefundenes Fressen für Zyniker und Kritiker aller Art.
Jedoch deutet genau dieses Thema auf einige unserer Schwachstellen", hieß es von Seiten der Wolfenbütteler Grünen. "Es geht um Menschenwürde, also um den ersten Artikel unseres Grundgesetzes, das wir zu recht sehr stolz verteidigen", bemerkt Markus Brix. "Dabei tabuisieren wir dieses Thema", führt der Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stadtrat fort.
Begriff „Sexualassistenz“ nicht geschützt
Die Geschäftsführerin der Fraktion, Ghalia El Boustami, ergänzt: "Wenn wir von Neuzuwanderer beispielweise erwarten, dass sie unsere Werte annehmen, sollten wir mit gutem Beispiel vorangehen und Tabus vernünftig und behutsam ansprechen". Das Erarbeiten des Themas Sexualassistenz erfordere Fingerspitzengefühl und Ernsthaftigkeit. Es gehe um den Bezug zu Scham und Selbstbestimmung. Einige Aspekte müssten in den Kommunen konkret aufgearbeitet werden: wie soll die Finanzierung aussehen, wie vermeide man Missbrauch und biete seriöse Angebote, da der Begriff „Sexualassistenz“ nicht geschützt sei. Ferner, wie könnten Kooperationen mit Alten- und Pflegeheimen angeboten werden, sowie Fortbildungen für geeignetes Personal. Zu all diesen Themen gebe es noch keine Pauschalantworten. Die Grünen seien jedoch bereit, die Debatte aufzugreifen. "Bei Sexualassistenz geht es um das Grundrecht auf Intimität und Ausleben der Sexualität", betont weiterhin Markus Brix. Dabei geht es oft um Körpernähe, Streicheln und Umarmen. "In einer alternden Gesellschaft wird das Thema immer mehr an Bedeutung gewinnen". Die Frage ist, wie man in einer inklusiven Gesellschaft diese Zielgruppe zu Wort kommen ließe, ohne selbst für sie entscheiden zu wollen, was für sie gut und geeignet sei. Es ginge darum, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.
Hintergrund:Vorbild für den Vorschlag von Elisabeth Scharfenberg sind die Niederlande: Dort gibt es bereits seit einigen Jahren die Möglichkeit, sich als Pflegebedürftiger die Dienste sogenannter Sexualassistentinnen – zertifizierter Prostituierter – bezahlen zu lassen. Per Attest müssen die Betroffenen dort nachweisen, dass sie sich nicht anders befriedigen können und selbst nicht für die Dienste bezahlen können.
mehr News aus Wolfenbüttel