Spektakulärer Fund in Wolfenbüttel - Gräberfeld früher Siedler entdeckt

Die Ausgrabungen wurden lange geheimgehalten und erst jetzt öffentlich gemacht.

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 Dr. Michael Geschwinde, Referatsleiter der Bezirksarchäologie Braunschweig, im Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege stellte die Funde vor.
Dr. Michael Geschwinde, Referatsleiter der Bezirksarchäologie Braunschweig, im Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege stellte die Funde vor. | Foto: Werner Heise

Wolfenbüttel. Muss die Stadtgeschichte Wolfenbüttels, die im 12. Jahrhundert beginnt, neu geschrieben werden? Auf dem Gelände Am Exer haben Archäologen sterbliche Überreste und Grabbeigaben einer Siedlergemeinschaft aus dem frühen Mittelalter, mutmaßlich dem 8. und 9. Jahrhundert nach Christus freigelegt. Die Funde sind in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich.



Die Stadt Wolfenbüttel beabsichtigt Am Exer, gegenüber der Lebenshilfe und der Mansfeld-Löbbecke-Stiftung an der Mascheroder Straße, ein neues Baugebiet für Soziales und Wissenschaft auszuweisen. Genau in dem Bereich, von dem bereits acht Grabstellen aus dem frühen Mittelalter bei der Bezirksarchäologie Braunschweig im Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege dokumentiert sind. Man fand diese, als 1936 die dortige Kaserne erbaut wurde.

Ausgrabung wurde geheim gehalten


In einer Geheimoperation zwischen der Stadt Wolfenbüttel und dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, starteten daraufhin Sondierungen und letztendlich im Sommer dieses Jahres die Ausgrabungen. Der Öffentlichkeit sollte dies zum Schutz der Gräber und Funde bis zum heutigen Tage verborgen bleiben. Unter der Leitung des Archäologen Dr. Michael Geschwinde gelang es, Funde freizulegen, die so im Braunschweiger Land einmalig sein sollen und zudem ein neues Bild auf die Ausbreitung des Christentums im frühen Mittelalter liefern.

Die Ausgrabungen wurden im November vollständig beendet und die ersten Ergebnisse am heutigen Donnerstag vor Pressevertretern präsentiert. Im Ratssaal blieb es während des Vortrages von Dr. Michael Geschwinde vor Spannung mucksmäuschenstill. Immer wieder untermauert der Bezirksarchäologe die Seltenheit oder auch Einzigartigkeit der Funde, die im "Gräberfeld Auf dem Exer" freigelegt wurden. Insgesamt 82 Bestattungen konnte man dokumentieren. Skelette, die im unterschiedlichen Zustand vorgefunden wurden. Teils durch damalige Grabplünderungen gezeichnet, teils aber auch durch den Pflug der Landwirtschaft geschädigt. Und letztendlich auch völlig unberührte, wie das Skelett eines Kindes, in dessen Rachenraum ein Kreuz aus Bronze lag. Zu dessen Deutung müssten in der weiteren Forschung Theologen befragt werden.

"Die Frau" wirft Fragen auf


Unter der Fundnummer 147.2 und unter dem Namen "Die Frau" wurde ein weibliches Skelett mit ganz besonderen Grabbeigaben dokumentiert. So gab es hier eine Nadelbüchse mit Nähnadel und eingefädelten Faden sowie eine äußerst prunkvolle Fibel, eine Gewandnadel. Zudem trug die unbekannte Frau eine Halskette mit Perlmutt-Pailletten und Glasperlen. Der Fund sei so selten, dass Restauratoren noch nicht genau wüssten, wie damit umzugehen sei. Die Fibel solle nun zunächst mit einem Computertomografen (CT) untersucht werden, bevor die restlichen Arbeiten dann Jahre in Anspruch nehmen würden.

Im Gräberfeld Auf dem Exer konnten die Archäologen zahlreiche Grabbeigaben auffinden.
Im Gräberfeld Auf dem Exer konnten die Archäologen zahlreiche Grabbeigaben auffinden. Foto: (Abfotografie Präsentation) Werner Heise


Trotz der frühen Plünderungen konnten die Archäologen zahlreiche Grabbeigaben auffinden, die alle in mühevollster Kleinstarbeit freigelegt werden mussten. Mit Blick auf die bevorstehende Weihnachtszeit kommentierte Dr. Michael Geschwinde: "Jetzt gibt uns die Geschichte ein Geschenk." In drei bis vier Jahren könnte man vielleicht erste Forschungsergebnisse präsentieren, denn es ergeben sich nun viele Fragestellungen.

Ganz neue Blick auf die Christianisierung


Erstmals habe die Bezirksarchäologie Braunschweig bei diesem Gräberfund DNA-Proben von den Bestatteten nehmen können. So wolle man die Verhältnisse der Verstorbenen zueinander entschlüsseln. Aufgrund der Anordnung mutmaßt man, dass es sich um Familien handeln könnte. Die Anordnung der sterblichen Überreste liefert den Experten aber auch einen ganz neuen Blick auf die Christianisierung, also die Ausbreitung des Christentums im frühen Mittelalter. Zum ersten Mal habe man diese Phase in der Region jetzt untersuchen können und es scheint sich abzuzeichnen, dass es sich um keinen harten Schnitt, sondern um einen fließenden Übergang gehandelt haben könnte. "Wir müssen uns die Christianisierung im Braunschweiger Land anders vorstellen, als bislang", sagt Geschwinde. Während die Gräber der Christen mit Blick gen Osten ausgerichtet seien, lag dieser bei heidnischen Bestattungen in Richtung Süden. Etwa ein Viertel der Funde Am Exer entsprach der heidnischen Art.

Bei den Verstorbenen muss es sich allem Anschein nach um wohlhabende Menschen gehandelt haben. Darauf ließe die Art und die ungewöhnliche Häufigkeit der Grabbeigaben schließen. Es sei davon auszugehen, dass es die Bewohner einer nahen Siedlung waren. Auch Reste des äußeren Bereichs einer Siedlung habe man bei den Grabungen gefunden. Muss also die Stadtgeschichte Wolfenbüttels, die derzeit erst im Jahre 1118 beginnt, neu geschrieben werden?

"Das war eine Siedlergemeinschaft"


"Geschichte muss immer neu geschrieben werden, sonst wären Historiker arbeitslos", sagt Dr. Michael Geschwinde. Seiner Meinung nach ist der Fund des Gräberfeldes unabhängig von der Stadtgeschichte zu betrachten. Er sagt aber auch: "Das war eine Siedlergemeinschaft", und eine dichte Besiedelung sei immer eine gute Voraussetzung für eine Stadtgründung gewesen. Möglicherweise wird es in Zukunft noch mehr Funde geben, wenn an jener Stelle das geplante Baugebiet entsteht. Gesucht werde nämlich immer nur anlassbezogen und nicht aktiv auf Vermutung. Wer sich im Übrigen dafür interessiert, wie Wolfenbüttel zu seinem Namen kam, dem sei unser Artikel "'Wahrzeichen der Stadt' - Das hat der Wolf mit Wolfenbüttel zu tun" empfohlen.

Forscher brauchen Geld


Mit den aktuellen Funden steht den Forschern jetzt erst einmal eine spannende Zeit bevor. Wann und ob diese allerdings starten können, ist auch vom Geld abhängig, denn zunächst müssten entsprechende Gelder akquiriert werden. Eine Summe konnte Geschwinde nicht nennen. Die Skelette jedenfalls sind alle geborgen und werden als Forschungsquelle über Jahre hinweg dienen. "In 20 Jahren wird es neue Forschungsmöglichkeiten geben, die es heute nicht gibt", sagt Geschwinde und verdeutlicht damit die Wichtigkeit der Archivierung. Überhaupt gebe es noch viele "tolle Funde aus Wolfenbüttel", die irgendwo in Magazinen schlummern und bis heute noch nicht erforscht wurden. Es bleibt also spannend.

In welcher Form die Funde den Wolfenbüttelern präsentiert werden können, stehe heute noch nicht fest. Zunächst müssten die Forscher und Restauratoren ran. In ein paar Jahren dann könne man sich darüber Gedanken machen. Wolfenbüttels Bürgermeister Ivica Lukanic, der ebenfalls völlig fasziniert von den historischen Funden und dessen Bedeutung war, zeigte sich im Pressegespräch mehr als offen dafür: "Es waren ja sozusagen Bürger von Wolfenbüttel, also wäre das Bürger Museum vielleicht ein guter Ort dafür."

Die Funde der Grabungen aus dem Jahr 1936 jedenfalls können nicht mehr begutachtet werden. Diese seien, so Geschwinde, trotz Intervention aus Wolfenbüttel seinerzeit in Braunschweig verwahrt und dort bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg im Jahr 1943 zerstört worden.


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