Vom Deserteur zum Kämpfer

von Jan Borner


Robert Baumann vor seiner Stele in der Ausstellung "Was damals Recht war..." in der Kommisse. Foto: Jan Borner
Robert Baumann vor seiner Stele in der Ausstellung "Was damals Recht war..." in der Kommisse. Foto: Jan Borner | Foto: Jan Borner



Wolfenbüttel. „Wir haben die Wochenschauen gesehen. Dieser kalte Winter [...]. Wir wollten diesen Krieg nicht mitmachen. Wir wollten leben.“ Robert Baumann ist Deserteur. Er hat sich selbst als Werkzeug in einem der größten menschlichen Verbrechen der Geschichte verweigert. Selten erscheint eine Tat in einem so klaren moralischen Licht und trotzdem (oder gerade deshalb) konnte sein Lebenskampf einen demütigenden Widerspruch im Moralverständnis der deutschen Politik aufzeigen. In der Kommisse hat er gestern im Rahmen der Ausstellung "Was damals Recht war..." von seinem Leben erzählt.

Das Urteil


„Der Angeklagte Baumann wegen Wachverfehlung im Felde, wegen schweren Diebstahls und wegen Fahnenflucht im Felde zum Tode und zu insgesamt 1 Jahr und 2 Monaten Gefängnis“, so wurde Robert Baumann im Jahr 1942 vom Gericht des Marinebefehlshabers Westfrankreich zum Tode verurteilt. Er und ein paar seiner Kameraden hatten sich entschieden, nichts mehr mit dem Krieg zu tun haben zu wollen. Bei dem Fluchtversuch über eine unbewachte Grenze stießen sie allerdings auf eine deutsche Zollstreife. Was von da an passierte, ist Geschichte, und zwar eine Geschichte, die auf das Selbstverständnis der heutigen Bundesrepublik Deutschland noch einen wichtigen Einfluss ausübte.

Die Strafe


10 Monate verbrachte Robert Baumann in der Todeszelle in Bordeaux. An Händen und Füßen gefesselt, gefoltert, dafür, dass er seine französischen Freunde nicht verraten wollte, die ihm bei dem Fluchtversuch geholfen hatten. Dank einflussreicher Freunde konnte sein Vater bewirken, dass die Todesstrafe in 12 Jahre Zuchthaus umgewandelt werden, auch wenn Robert Baumann selbst davon erst gar nichts erfahren hatte. Nach 10 Monaten Todeszelle folgte das Wehrmachtsgefängnis in Torgau und schließlich die Versetzung in ein Strafbataillon an der Ostfront. Mehr als 100.000 Opfer der NS-Militärjustiz haben KZ, Straflager und Strafbataillon nicht überlebt, ganz abgesehen von den 23.000 Hinrichtungen. Robert Baumann aber überlebte und nach dem Kampf ums Überleben folgte der Kampf um Rehabilitierung, der noch weitaus länger dauern sollte.

Die Demütigung


Mit dem Ende des Krieges, war die Stigmatisierung als Feigling und Verräter noch lange nicht mit besiegt. Die Machtverhältnisse hatten sich verändert, aber die alte Gesinnung schwang noch viel zu lange unterschwellig mit. Wehrmachtsdeserteure und sogenannte Kriegsverräter wurden noch lange als Feiglinge und Kriminelle beschimpft, wurden gedemütigt und entwürdigt. Und selbst bis in das neue Jahrtausend, wo Menschen, wie Robert Baumann, die sich von der Wehrmacht und dem Nationalsozialismus abgewendet haben, längst als moralische Helden gefeiert werden, galten sie rechtlich noch immer als Verräter.

Der Erfolg


1990 gründete Robert Baumann mit 37 weiteren Mitstreitern die „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz“. Mit viel Engagement und Aufklärungsarbeit gelang es ihm dann im Jahr 2002, genau 60 Jahre nach seiner Verurteilung durch die NS-Militärrichter, dass der Bundestag das Urteil für nichtig erklärte und auch die Rehabilitierung der „Kriegsverräter“ sollte nach starkem Widerstand mehrerer deutscher Regierungen im Jahr 2009 endlich gelingen. Und heute, mit 93-Jahren, steht der ehemalige und letzte überlebende Kriegsdeserteur noch immer auf Bühnen und hinter Rednerpulten und kämpft für das, was ihm vor über 70 Jahren im zweiten Weltkrieg genommen werden sollte: die Würde.

Die Lesung von Robert Baumann fand im Rahmen der Ausstellung „Was damals Recht war...“ statt, die noch bis zum 2. August in der Kommisse zu besichtigen ist.


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