Wenzel zur Regierungserklärung zum Thema Energiewende

von Marc Angerstein


| Foto: Ado



Folgend die Rede des Grüne-Faktionsvorsitzenden Stefan Wenzel zur Regierungserklärung “Der Energiekonsens und die Bedeutung für Niedersachsen/Erwiderung” im Original-Wortlaut:


“Anrede,

dass Sie heute morgen nicht wie vorgesehen über die Bilanz von einem Jahr Regierung McAllister und den Zustand der Regierungen in Berlin und Hannover sprechen wollen, verstehe ich gut, Herr Ministerpräsident. Dass Sie dabei die Geflogenheiten dieses Hauses über den Haufen werfen und mit immer kürzeren Fristen Ihre Regierungserklärungen anmelden, ist nicht zu akzeptieren. Ein selbstbewusstes Parlament und ein selbstbewusster Präsident sollten sich dagegen verwahren! Wir werden so etwas in Zukunft nicht mehr mitmachen.

Sieben Regierungserklärungen gab es seit Ihrem Amtsantritt. Wir stellen fest: ein Erklärungsdefizit gibt es in dieser Regierung nicht. Ein Ideen- und Handlungsdefizit aber sehr wohl.

Bezeichnend ist auch, dass die Regierungserklärung zur Schule von Herrn Althusmann gehalten wurde; zur Landwirtschaft sprach Herr Lindemann und zum Haushalt Herr Möllring. Aber zur Energiepolitik und zu Atom spricht nicht Herr Sander. Vielleicht ist das ja auch ein Hoffnungsschimmer!

Keine Frage: Fukushima, Atomausstieg und Energiewende sind zentrale Themen.

Im Bundestag und im Landtag gibt es die Chance auf breite Mehrheiten – ob daraus auch ein Konsens werden kann, steht noch nicht fest.

Acht AKW gehen vom Netz. Die Laufzeitverlängerung wird rückgängig gemacht. Die übrigen AKW bekommen maximal zulässige Abschalttermine.

Jetzt wird sich zeigen, ob Sie sich auch bei anderen Eckpunkten für Atomausstieg und Energiewende bewegen:

Bei der Verschärfung der Sicherheitsstandards und der Nachrüstung aller AKW mit Restlaufzeiten
Bei einem entsprechenden Passus im Atomgesetz für ein Endlagersuchgesetz

Anrede,

die einstimmige Entschließung des Bundesrates ist bemerkenswert. Entscheidend ist jetzt aber, ob Sie auch zum Einspruch bereit sind, wenn Teile des Beschlusses nicht gesetzlich verankert werden.

Entscheidend wird sein, ob sie bereit sind die notwendige Konsequenz für Gorleben folgen zu lassen: Der Beschluss des Bundesrates lässt nur eine Konsequenz zu: Einen Bau- und Transportstopp für Gorleben.

Diesen Satz hätten Sie heute sagen müssen. Das fordern wir und alle Niedersachsen heute von Ihnen ein!

Sie können doch nicht allen Ernstes eine neue ergebnisoffene Suche nach alternativen Endlageroptionen beginnen und in Gorleben so weiter machen wie bisher.

Sie können doch nicht allen Ernstes neue geologische Eignungskriterien suchen und in Gorleben nach dem Rahmenbetriebsplan von 1983 weitermachen.

Anrede,

nach dem Asse-Skandal – dieses Stichwort kommt bei Ihnen nicht einmal vor – ist ein Neubeginn bei der Endlagersuche zwingend.

Herr Ministerpräsident, Sie haben darauf verwiesen, dass die SPD nach Tschernobyl ihre Energiepolitik neu ausgerichtet habe und die CDU nach Fukushima. Dazwischen liegen aber 25 Jahre hemmungsloser Atomlobbyismus! Nach Fukushima kommt Ihre Kurskorrektur. Das lässt nur einen Schluss zu Herr McAllister: Sie führen eine DANACH –Partei.

Sie ändern Ihren Kurs erst nach der Katastrophe.

Das reicht nicht. Es galt viel zu lange das Prinzip der politischen Willkür, das Primat der Stromkonzerne und das Dogma der offensiven Vertuschung.

Damit muss jetzt Schluss sein.

Sie haben heute wieder eine Chance verstreichen lassen. Wenn in Gorleben weiter Fakten geschaffen werden, dann geht alles so weiter wie bisher. Wer den Konsens will, muss aber den Ausnahmezustand im Wendland beenden. Das wollen wir heute von Ihnen hören.

Anrede,

und noch eins: Nach Fukushima gelten andere Spielregeln für Atomkonzerne. Wir werden die Energiewende nur schaffen, wenn wir zu einem Paradigmenwechsel – zu einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel bereit sind. Zukunftsfähige Demokratien zeichnen sich durch ein fundamentales Merkmal aus: Es sind lernfähige Gesellschaften und das heißt: wir brauchen nicht die alte Welt in neuer Verpackung – keine fossilen Ersatzkraftwerke, sondern die Erneuerbaren ohne Wenn und Aber. Keine alten und neuen Konzernstrukturen, sondern Bürgergenossenschaften und Bürgerkraftwerke, keine neue “Bundesnetzraumordnungsplanungsnetzundfeststellungsverwaltungsbehörde”, sondern Transparenz und offene Daten.

Anrede,

die energieintensive Industrie in Deutschland wird nicht von der Energiewende bedroht, sondern von monopolartigen Machtstrukturen der Stromkonzerne, die jede Hemmung vermissen lassen, wenn es um die Durchsetzung ihrer Interessen geht. Die zentrale Frage für Stahlwerke und energieintensive Betriebe ist längst, wie wir den Emissionshandel weiter gestalten. Hier versagt Ihr Energiekommissar Oettinger und gibt allein den Steigbügelhalter für die großen Stromkonzerne.

Anrede,

nicht zufällig steht heute die einjährige Bilanz Ihrer Regierungszeit auf der Tagesordnung, Herr Ministerpräsident. Deshalb will ich diesen Termin nicht verstreichen lassen ohne einige grundsätzliche Bemerkungen. Glauben Sie im Ernst, dass wir Ihrer Regierung und der in Berlin die Gestaltung des Wandels zutrauen? Wie tief ist der Wandel in Ihrer Partei verankert? Warum trauen Sie sich eigentlich keinen Parteitag zu?

Anrede,

wer nach Berlin guckt, wird vom nackten Grauen geschüttelt. Der Spiegel schreibt in dieser Woche über die “Nichtregierung”. Seit Monaten präsentiert sich Schwarz-Gelb als zerstrittener Haufen, der den Euro, die europäische Einigung und die Haushaltsstabilität in Gefahr bringt. Jetzt droht uns noch eine Steuersenkung auf Pump – trotz maroder Haushalte bei Bund, Land und Kommunen. Sie kämpfen nicht für das Land, sie kämpfen allenfalls um das Überleben eines siechen Koalitionspartners.

Anrede,

das Bildungspaket ist gefloppt, den Fachkräftemangel kriegen Sie nicht in den Griff, die Bundeswehrreform, die Gesundheitsreform – alles auf der Kippe. Das Regierungsschiff in Berlin geht unter. Und die Bundesländer sollen die Rettungsboote sein. Aber Nordrhein-Westfalen ging Ihnen verloren, Hamburg und Baden-Württemberg auch. Sie rudern, aber es geht nicht voran, sondern nach unten. Ihre Politik hat zu viele Lecks.

Ich hätte in diesen Tagen ein klares Wort erwartet: Zu Gorleben, zur Nachrüstung von Atomkraftwerken, zur Beschleunigung der Energiewende, zu Steuersenkungen auf Pump oder auch zu Demografie, Zuwanderung und Flüchtlingspolitik. Und auch zum Klimaschutz.

Anrede,

heute kommt es mehr denn je darauf an, nicht erst nach den Katastrophen die richtige Politik zu machen.

Sie haben Ihre Regierungserklärung mit der Behauptung begonnen, dass die Entwicklung in Japan bei uns in Deutschland ein intensives Nachdenken über die Risiken der Atomkraft ausgelöst hat.

Das will ich korrigieren: bei Ihnen in der CDU ist das intensive Nachdenken erst da losgegangen.

Doch bei den Bürgern, in den Initiativen, in der Anti-Atiom-Bewegung gibt es dieses intensive Nachdenken schon seit 25 Jahren. Und nicht nur das. Es gibt auch den Protest, den politischen Widerstand und den Kampf. Das ist der Unterschied zwischen einer Politik des Davor und Danach.

Der Wandel beginnt jetzt – aber für den Wandel brauchen wir mutige Gestalter, aber die können wir in Ihrer Koalition nicht entdecken.”


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