Das Deutsche Rote Kreuz feiert in diesem Jahr ein rundes Jubiläum: Bereits seit 150 Jahren setzt sich der Wohlfahrtsverband für das Wohl des Menschen ein. Aus diesem Anlass lädt der DRK-Kreisverband Wolfenbüttel am Samstag, 1. Juni, zum großen Sommerfest auf dem Gelände Am Exer in Wolfenbüttel ein. Ab 13 Uhr erwartet die Besucher ein buntes Programm für die ganze Familie. Ob musikalische Darbietungen oder Zaubertricks auf der Bühne, Demonstrationen von Rettungsübungen oder Ponyreiten - allerlei Attraktionen sorgen für Unterhaltung von Alt und Jung. Der Eintritt ist frei!
Doch der DRK-Kreisverband hat noch weiteren Grund zum Feiern: Seit mehr als zehn Jahren engagiert sich das DRK Wolfenbüttel äußerst erfolgreich in der Behindertenhilfe: Das Integrations- und Therapiezentrum (ITZ) vom DRK bietet von der Autismusambulanz über die Schulbegleitung und dem ambulant betreuten Wohnen hin zum Familienentlastenden Dienst (FED) ein weites Spektrum an Hilfs- und Beratungsangeboten für Menschen mit Behinderung und deren Angehörige.
Auch international sorgt diese Erfolgsgeschichte für Furore: Der Leiter des ITZ, Thomas Stoch, empfängt im September kommenden Jahres als Präsident der International Short Break Association (ISBA) etwa 300 Gäste aus aller Welt. Denn dann findet die 9. ISBA-Konferenz in Wolfenbüttel statt. Mehr dazu erfahren Sie im folgendem Interview.
Redaktion: Herr Stoch, als Leiter des Integrations- und Therapiezentrums (ITZ) Wolfenbüttel wählte man Sie letztes Jahr im Rahmen der ISBA-Konferenz in Toronto zum Präsidenten der International Short Break Association. ISBA – was genau verbirgt sich dahinter?
Stoch: Die ISBA ist ein internationaler Zusammenschluss von Einrichtungen der Behindertenhilfe, die Unterstützungsangebote für Familien mit behinderten Angehörigen anbieten. Bei uns nennen sich diese Einrichtungen Familienentlastender Dienst (FED), in den USA respite care und in anderen Ländern spricht man von Short Breaks, also Angeboten, die pflegenden Angehörigen kurze Pausen ermöglichen.
Die erste Short-Break-Konferenz fand 1995 in Ontario, Kanada statt. Formiert hat sich die Assoziation schließlich auf der 5. ISBA-Konferenz 2006 in Paris. Seitdem treffen sich alle zwei Jahre rund 300 Fachleute und Betroffene aus der ganzen Welt zum Gedankenaustausch über familienunterstützende Angebote. Die ISBA hat zwar eine Satzung, aber es handelt sich dabei um einen losen Zusammenschluss von Einrichtungen, dem ein internationales Komitee aus 19 Personen vorsteht. Einige Komiteemitglieder leiten, wie ich selbst, kleinere Einrichtungen der Behindertenhilfe. Die Mehrzahl arbeitet allerdings in landesweiten Einrichtungen und ist gut mit der jeweiligen Politik der Länder vernetzt.
Redaktion: Die nächste Konferenz wird 2014 in Wolfenbüttel stattfinden. Sie erwarten bis zu 300 Gäste aus aller Welt. Warum fiel die Wahl auf Wolfenbüttel?
Stoch: Zum einen hängt die Wahl des Konferenzortes mit der Ernennung meiner Person zum Präsidenten der ISBA zusammen. Andererseits wollten die auswärtigen Kollegen gerne mal nach Deutschland, vor allem nach Berlin. Nun konnte ich sie direkt in die Lessingstadt locken und ich freue mich, dass wir mit Wolfenbüttel genau den richtigen Tagungsort für die Veranstaltung gefunden haben.
Redaktion: Welche Chancen ergeben sich durch die Ernennung Wolfenbüttels als nächsten Konferenzort für die Region, insbesondere für das ITZ?
Stoch: Sowohl unser regionales als auch das nationale Netzwerk innerhalb der Behindertenhilfe erweitert sich im Zuge der Konferenz. Außerdem profitiert unsere Arbeit im ITZ von neu gewonnenen Impulsen, die von außen kommen. Das ist bereits in der Vorbereitungsphase zu spüren und macht Lust auf Veränderungen. Natürlich wird auch der Bekanntheitsgrad unseres DRK Kreisverbands gesteigert, eine der wenigen Einrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes, die sich in der Behindertenhilfe engagieren.
Redaktion: Die Arbeit des Familienentlastenden Dienstes (FED) vom DRK Wolfenbüttel findet international Anerkennung und stößt in der Region und im gesamten Bundesgebiet auf großes Interesse. Was ist das Besondere des FED vom ITZ?
Stoch: Das Besondere des FED ist im Grunde genommen die Einfachheit unseres Angebots. Wir unterstützen Familien durch zahlreiche und vor allem flexible Betreuungsmöglichkeiten. Von der Einzelbetreuung im vertrauten Zuhause über interessante Tagesausflüge hin zu Urlaub im Rahmen einer betreuten Freizeit ist alles möglich. Gleichzeitig erfahren die Kinder dadurch eine Chance auf Weiterentwicklung. Außerdem bieten wir pflegenden Angehörigen wichtige Beratung an – sei es zu Fragen rund um eine Antragsstellung oder im Zusammenhang mit Problemen mit der Krankenkasse oder einer Behörde. Die Maxime lautet in jedem Fall: Alles kann, aber nichts muss. Betreuungsangebot und Beratung richten sich stets individuell nach den Wünschen der uns nachfragenden Familien. Wir ermöglichen pflegenden Angehörigen, sich in ihrem eigenen Tempo an eine Unterstützung heranzutasten.
Redaktion: Short Breaks, kurze Pausen. Warum ist es für Familien mit behinderten Angehörigen so wichtig, kurze Pausen einzulegen?
Stoch: Menschen die ihre Angehörigen pflegen, sind im Dauereinsatz. 24 Stunden am Tag abrufbereit zu sein, 7 Tage die Woche, das ist körperlich äußerst anstrengend. Dazu erfahren Familien mit behinderten Angehörigen nicht selten negative Rückmeldungen aus ihrem Umfeld. Mit unserem Betreuungsangebot schaffen wir Inseln. Für den einen bedeutet das, einfach einmal durchzuatmen, auf andere Gedanken zu kommen oder sich selbst zu reflektieren. Andere pflegende Angehörige entspannen bei einem Kinobesuch, einem Einkaufsbummel oder nutzen die „kurze Pause“ einfach nur für den Hausputz.
Zudem kommt durch die intensive Pflege oft der eigene Partner oder Geschwister zu kurz. Auch hier kann der FED einen wichtigen Teil zur Bewältigung des Alltags leisten. Und davon profitiert ebenso das betreute Kind. Nicht nur, weil die Eltern neue Energien sammeln können, sondern auch weil es selbst eine Pause in der immer wiederkehrenden Spirale aus Schule, Therapie, Pflege einlegen kann. Es handelt sich quasi um einen short break im doppelten Sinne.
Redaktion: Für die ISBA-Konferenz 2014 ist ein Planungsteam eingerichtet. Womit beschäftigt sich das Team aktuell? Welcher Meilenstein steht als nächstes an?
Stoch: Zeitraum und Lokalität der Konferenz stehen nun fest. Damit ist ein großer Meilenstein erreicht. Jetzt geht es darum, die Inhalte der Zusammenkunft auszuarbeiten und konkrete Themen zu entwickeln. Gleichzeitig suchen wir derzeit Netzwerkpartner, die an der Tagung teilnehmen oder uns bei der Durchführung unterstützen möchten. Dabei wenden wir uns nicht ausschließlich an bereits bestehende Netzwerkpartner wie beispielsweise den Landkreis, die Stadt oder die Fakultät Soziale Arbeit der Ostfalia. Wir sind dabei, unsere Kontakte zu erweitern und neue Interessenten zu gewinnen. Damit sind wir bisher auf positive Resonanz gestoßen. Natürlich spielt auch die finanzielle Unterstützung eine bedeutende Rolle. Aus diesem Grund bemühen wir uns einerseits deutschlandweit um Sponsoren, loten aber auch staatliche Fördertöpfe aus.
Redaktion: Ziel der ISBA-Konferenzen ist es, über den Tellerrand hinauszublicken und durch das Gespräch mit Fachleuten aus aller Welt neue, innovative Ideen entstehen zu lassen. Was hat Ihnen an ausländischen Modellen eines familienentlastenden Dienstes besonders imponiert? Was halten Sie für nachahmenswert?
Stoch: In keinem Land wird so viel reglementiert wie in Deutschland. Im Ausland ist es gang und gäbe, dass junge Menschen mit Behinderung auch zeitweise in adäquaten Einrichtungen „Urlaub“ machen können. In Irland beispielsweise ließen einige Landwirte ihre Höfe barrierefrei umbauen und nehmen – staatlich gefördert – Kinder auf. In unserem Land hingegen sind fast alle anerkannten Kurzzeitpflegeeinrichtungen Heime für Senioren.
Gern würde ich auch im ITZ Kurzzeitpflege anbieten. Leider ist dies bislang aus finanziellen Gründen nicht umsetzbar gewesen. Ein weiteres nachahmenswertes Beispiel stammt aus Dänemark. Dort ermöglichen es die Kollegen aus dem Raum Kopenhagen, Ausflüge mit dem „Dream Bus“ zu unternehmen. Kinder mit Behinderung schildern ihre Träume, und das Team des Traumbusses versucht, diese soweit es geht zu realisieren. Möchte jemand fliegen, wird er sicherlich kein Flugzeug steuern, aber vielleicht in einem mitfliegen oder zumindest einen Flughafen besichtigen. Entscheidend ist, dass in diesem Projekt Menschen mit ihren Träumen ernst genommen werden. Diese Beispiele zeigen, dass im Ausland vieles in Hinsicht auf die Behindertenhilfe als selbstverständlich angesehen wird. Also muss es auch hier bei uns möglich sein. Das motiviert ungemein.
Redaktion: Zum Stichwort Inklusion: Es ist an der Zeit, dass sich etwas bewegt. Wo verorten Sie den größeren Handlungsbedarf: beim Staat oder in der Gesellschaft, also bei jedem einzelnen?
Stoch: Aus dem Bauch heraus: beim Staat. Denn Akzeptanz steckt prinzipiell in jedem Menschen. Der Staat trägt in Hinsicht auf die Inklusion große Verantwortung. Seine Aufgabe muss es sein, politische Rahmenbedingungen dahingehend zu ändern, dass Inklusion zur Selbstverständlichkeit wird.
Dazu zählt meiner Meinung nach in erster Linie ein radikaler Umbau der Verwaltung. In keinem anderen Land gibt es so große Schwierigkeiten wie bei uns, dass berechtigte Ansprüche von Menschen mit Behinderungen durch Behörden blockiert werden, Antragsverfahren werden verschleppt, die Angehörigen unter Druck gesetzt. Nicht nur dies muss sich ändern, sondern die Schulen müssen Kindern mit und ohne Behinderung gleichermaßen offenstehen. Nur so wird es kommenden Generationen möglich, ein Miteinander als Normalität anzusehen. Inklusion entsteht erst dann, wenn sie gelebt und nicht nur besprochen wird. Der Schlüssel dazu lautet also, Begegnungen zu schaffen. Dafür muss der Staat die konsequente Trennung aufbrechen, indem er Menschen mit Behinderung nicht in Spezialeinrichtungen separiert.
Auch das ITZ sehe ich als einen Ort der Begegnung. Senioren, die z.B. unser Therapiebad nutzen, oder Patienten unserer Praxis für Ergotherapie im ITZ treffen hier ganz ungezwungen auf Menschen mit Behinderung – ein kleiner Beitrag zur Inklusion.
Redaktion: Wie kann sich die Gesellschaft konkret in die Arbeit des FED einbringen?
Stoch: Jeder Interessierte kann sich gern melden. Ehrenamtliche Tätigkeit ist – je nach Erfahrung und Möglichkeit – im Kontakt mit Behinderten und/oder Senioren möglich. Spenden jeglicher Art sind natürlich auch willkommen, ob es sich nun um finanzielle Unterstützung oder Sachspenden handelt. Über eine Bank für den Außenbereich beispielsweise würden wir uns sehr freuen.
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