Sinkt das Piratenschiff nach Heises Rücktritt vom Kreisverband? Die Piraten befinden sich zumindest auf stürmischer See... Foto: Archiv
"Der Schritt tut weh", sagt Werner Heise. Heute Morgen um 10.07 Uhr erreichte unsere Redaktion, zeitgleich mit den Kreismitgliedern der Piraten-Partei sein offizielles Rücktrittsschreiben. Eine Nacht hatte er noch darüber geschlafen, seinen Schritt aber gestern Abend bereits, bei der Aufstellungsversammlung zur Wahl eines Kandidaten für den Landtagswahlkampf im Wahlkreis 10, angekündigt. Er sieht seine Partei in die rechtsextreme Nähe gerückt, und tritt deshalb mit sofortiger Wirkung vom Amt des Kreisvorsitzenden der Piraten-Partei Wolfenbüttel-Salzgitter zurück. Das Mandat als Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Wolfenbüttel will er behalten. Auch in der Partei bleibe er aktiv.
Sein bisheriger Stellvertreter Florian Schmidt aus Salzgitter wird nun das Amt des Kreis-Vorsitzenden kommissarisch wahrnehmen, bis ein Nachfolger gewählt sei. Für eine Neuwahl wird wohl ein Kreisparteitag einberufen werden, bei dem Heise nicht erneut für den Vorsitz kandidiert. "Das ist kein Warnschuss, sondern mein fester Entschluss", so der bisherige Piratenchef im Kreisverband Wolfenbüttel-Salzgitter. Er schloss aber nicht aus, sich bei folgenden Wahlen wieder um den Kreisvorsitz zu bewerben.
Heise ist in Wolfenbüttel ein Pirat der ersten Stunde. Seit Juli 2009 ist er für die Piraten der Lessingstadt aktiv, organisierte die ersten Treffen vor Ort, Informationsstände, Wahlkämpfe und Parteitage. Den Aufbau des Wolfenbütteler Kreisverbands der Partei hatte er anfangs als stellvertretender Vorsitzender und seit Januar 2011 als Vorsitzender aktiv und maßgeblich mitgestaltet.
[image=5e1764bf785549ede64ccd06]Heise wirkt ernüchtert, wenn er beklagt, dass momentan eine Phase der Inaktivität herrsche und die Arbeit innerhalb der Partei auf den Schultern Einzelner lasten würde. "Vielleicht rappeln sich alle wieder auf, packen mit an und helfen die neue und andere Politik der Piratenpartei im Land zu verbreiten", so der Kommunalpolitiker.
Diese Ernüchterung ist allerdings nicht der Grund seines Entschlusses. Heise wirft seiner Partei indirekt die „Nähe zum rechten Gedankengut“ vor. Im Gespräch mit unserer Online-Zeitung nimmt er damit Bezug auf seinen Parteikollegen Carsten Schulz aus Hannover, der gestern Abend in Abwesenheit aus den Reihen des Vorstands als Direktkandidat für den Wahlkreis 10 zur Landtagswahl im Januar 2013 vorgeschlagen worden war. Carsten Schulz gilt als Holocaust-Verharmloser und setzt sich aktiv für die Straffreiheit von Holocaust-Leugnern ein. Damit erregte Schulz bereits mehrfach bundesweites öffentliches Interesse.
Schulz hatte zwar keine einzige Stimme erhalten, trotzdem zieht Heise bereits aus dem Kandidaten-Vorschlag seine persönlichen Konsequenzen: "Die Piraten-Partei steht zwar für Meinungsfreiheit, aber das, was da gestern Abend passierte, entspricht nicht meinen Vorstellungen. Es darf doch einer demokratischen Patei nicht passieren, dass ein den Holocaust relativierendes Mitglied der Piratenpartei durch ein Vorstandsmitglied des Kreisverbands als Direktkandidat im Wahlkreis 10 für die Landtagswahl 2013 vorgeschlagen wird.“ Heise weiter: "In so einem Vorstand kann ich keine konstruktive Arbeit mehr leisten."
Als Direktkandidat für den Wahlkreis wurde gestern Abend schließlich Michael Leukert mit vier von fünf Stimmen gewählt worden. Der Wolfenbütteler bildet im Kreistag gemeinsam mit dem Linken Victor Perli eine Gruppe. Eine Stimme entfiel auf Kevin Price aus Osnabrück, der offenbar nur angetreten sei, um die Wahl von Schulz zu erschweren. Den Wahlkreis 9 deckt der Stadtratsabgeordnete Arne Hattendorf ab.
Der Rechtsextremismus-Vorwurf beschäftigt den Kreisverband schon sehr lange. So ist Sven Knurr deshalb als Landtagskandidat der Piraten zurück getreten und so sei die Aufstellungsversammlung gestern Abend überhaupt angesetzt worden.
Unsere bisherige Brichterstattung zu diesem Thema:
Wolfenbüttel: Nach Rechtsextremismus-Vorwurf – Sven Knurr als Landtags-Kandidat der PIRATEN zurückgetreten ***aktualisiert***
Wolfenbüttel: Vorstandsmitglied und Direktkandidat der Piratenpartei in der Kritik – 26-Jähriger unterschrieb Freilassungspetition für Holocaust-Leugner
Wolfenbüttel: Rechtes Gedankengut bei den PIRATEN?
Wolfenbüttel: Piratenpartei vertagt Aufstellungsversammlung
Chaos in Wolfenbüttel: “Es ist zum Mäuse melken!” – Piratenpartei wiederholt Akkreditierungsfehler
Wolfenbüttel: PIRATEN-Landesparteitag lähmte sich mit Formalitäten – “Nur die Sache ist verloren, die man aufgibt!”
Wir veröffentlichen das Rücktrittsschreiben ungekürzt und unkommentiert im Originalwortlaut:
Liebe Piraten des Kreisverbandes Wolfenbüttel-Salzgitter,
seit Juli 2009 bin ich für die Piratenpartei und für die Piraten im Landkreis Wolfenbüttel sowie später auch für die Piraten in der Stadt Salzgitter aktiv.
Ich habe die ersten Treffen vor Ort, Informationsstände, Wahlkämpfe, Parteitage und vieles mehr organisiert und durchgeführt. Unseren Kreisverband habe ich anfangs als Stellv. Vorsitzender und später als 1. Vorsitzender auf- und ausgebaut.
All dies habe ich immer mit viel Herzblut und Liebe getan, meine Zeit gerne geopfert und mich mit den mir möglichen Kräften für die Ziele und Visionen der Piratenpartei stark gemacht.
Um so mehr verletzt es mich zu sehen, was in letzter Zeit hier vor Ort mit unserem Kreisverband geschieht.
Vielleicht kann man es überstehen, dass momentan eine Phase der Inaktivität zu herrschen scheint. Vielleicht rappeln sich alle wieder auf, packen mit an und helfen die "neue und andere Politik" der Piratenpartei im Land zu verbreiten. Vielleicht begreift man, dass die Last nicht auf den Schultern Einzelner hängen bleiben darf und man gemeinsam aktiv werden muss und jeder seinen Beitrag hierfür zu leisten hat. Vielleicht hält der Gedanke "einfach mal machen" oder neuerdings "machen statt labern" endlich wieder Einzug in die Köpfe der Piraten. Vielleicht ändert sich diese beschriebene Mentalität wieder - ich wünsche es dem Kreisverband und der Piratenpartei, alles andere wäre traurig.
Mag all dies auch nur als eine Befindlichkeit meinerseits aufgefasst werden, so bitte ich um euer Verständnis, dass ich es mit mir selbst nicht vereinbaren kann, einen Kreisverband zu leiten, aus dessen Vorstandsebene heraus die Nähe zum "rechten Gedankengut" aufrecht erhalten wird und man das selbst gelegte Feuer nicht sichtbar zum erlöschen bringt. So kann und darf es also meiner Meinung nach nicht sein, dass ein den Holocaust relativierendes und sich dazu öffentlich bekennendes Mitglied der Piratenpartei, durch ein Vorstandsmitglied des Kreisverbandes auf der gestern Abend abgehaltenen Aufstellungsversammlung als Direktkandidat im Wahlkreis 10 für die niedersächsische Landtagswahl 2013 vorgeschlagen wird.
Es ist mir nicht gestattet und es läge mir auch fern das Vorschlagsrecht zu unterbinden oder andere Mittel gegen jemanden einzusetzen der von eben jenem Recht Gebrauch macht.
Es ist und sei mir jedoch das Recht gestattet unter der Betrachtung all jener beschriebenen Umstände und Vorkommnisse von meinem Amt als Vorsitzender des Kreisverbandes Wolfenbüttel/Salzgitter mit sofortiger Wirkung zurückzutreten.
Ein Schritt der weh tut.
Ich bleibe der Partei und dem Kreisverband weiterhin als aktives Mitglied erhalten. Ich werde mein Mandat als Abgeordneter im Rat der Stadt Wolfenbüttel und die Funktion des dortigen Fraktionsvorsitzenden der Piratenpartei aufrecht erhalten und mich damit für meine Heimatstadt engagieren.
Ich glaube nach wie vor an eine neue Art der Politik mit der Piratenpartei, mahne jedoch eindringlich zur Vorsicht Ziele, Visionen aber auch Ideale nicht aus dem Auge zu verlieren.
Ich bedanke mich für euer entgegengebrachtes Vertrauen und wünsche uns als Kreisverband für die Zukunft alles Gute
Werner Heise
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