Wolfenbüttel: Vorstandsmitglied und Direktkandidat der Piratenpartei in der Kritik - 26-Jähriger unterschrieb Freilassungspetition für Holocaust-Leugner

von Marc Angerstein


| Foto: Piratenpartei



Die Piraten kämpfen erneut mit dem Vorwurf, rechtsdenkende Mitglieder in ihren Reihen zu dulden. Konkret richtet sich der aktuelle Fall gegen das Wolfenbütteler Kreisvorstandsmitglied und den Direktkandidaten des Wahlkreises 10 (Wolfenbüttel-Süd/Salzgitter) für die kommende Landtagswahl, Sven Knurr.

Der 26-Jährige Student aus dem Landkreis Wolfenbüttel soll bereits vor zwei Jahren eine Online-Petition zur Freilassung des ehemaligen NPD-Mitglieds Horst Mahler unterzeichnet haben, welcher unter anderem wegen der Leugnung des Holocaust zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Darüber hinaus sei er aufgrund seiner negativen Äußerungen über eine Pressemitteilung der Piratenpartei Niedersachsen, welche rechtsextreme Tendenzen und Naziaufmärsche auf das Schärfste verurteilt, in die Kritik geraten.

Gegenüber WolfenbüttelHeute.de bestätigt Knurr die Unterzeichnung der Petition und gibt an, dass er die Freilassung Horst Mahlers für erstrebenswert hielt.

Die per E-Mail an Sven Knurr gerichteten und durch ihn beantworteten Fragen veröffentlichen wir unkommentiert und ungekürzt:
WFH: Haben Sie eine Petition, welche die Freilassung Horst Mahlers fordert, unterzeichnet und falls ja welche Absicht hatten Sie dabei?
Was konkret kritisieren Sie an der Inhaftierung Mahlers?

KNURR: "Ja, ich habe diese Petition unterzeichnet. Zwar fand ich, wie ich damals bereits öffentlich in meinem Blog mitteilte, die Formulierung im Text der Petition, die Inhaftierung Mahlers sei gleichzusetzen mit der Willkür chinesischer Zensurbehörden, sehr unangemessen, die Freilassung Horst Mahlers hielt ich jedoch für erstrebenswert.
Dies nicht etwa, weil ich die Leugnung des Holocausts oder den Holocaust an sich so prima finde, sondern aus einem rein rationalen Gesichtspunkt: Indem man Horst Mahler und seine Inhaftierung in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses rückt, wird er als Symbolfigur für nachfolgende Generationen betrachtet, die sich darüber freuen, die Gesellschaft "ärgern" zu können. Dieses Prinzip funktioniert seit Jahrzehnten ähnlich. Dabei ist es in meinen Augen unerheblich, ob er inhaftiert ist oder nicht: Allein der Umstand, dass man ihm ständig ein Mikrofon unter die Nase hält, stigmatisiert ihn bereits zum Märtyrer. Der klügste Umgang mit der Person Horst Mahler ist meines Empfindens die Ignoranz. Sobald er nicht mehr beachtet wird, ist er auch nicht mehr zum Idol tauglich. Das Problem sind nicht Menschen wie Horst Mahler, es sind die, die in ihrem Namen Gewaltverbrechen begehen. Worte und Gedanken töten, so weit ich weiß, niemanden."

WFH: Wie stehen Sie der Leugnung des Holocaust gegenüber und vertreten Sie die Meinung das eine Leugnung des Holocaust straffrei gestellt werden sollte?

KNURR: "Ich habe dazu keine klare Meinung. Persönlich sehe ich keinen Vorteil darin, die Leugnung des Holocausts unter Strafe zu stellen, denn ob man ihn nun leugnet oder nicht, wird nichts, was in der deutschen Geschichte passiert ist, rückgängig machen. Auch Lügen ist bislang nicht verboten.

Kritisch wird es aber dann, wenn sich zur Holocaustleugnung klare antisemitische Tendenzen gesellen. Nach meinem Dafürhalten ist es ein Unterschied, ob jemand sagt, den Holocaust habe es nie gegeben, oder ob er sagt, man solle ihn baldigst wiederholen.

Da diese Grenzen aber verschwimmen, sollte man zumindest ein gewisses Strafmaß aufrecht erhalten, daran aber Bedingungen knüpfen."

WFH: Falls nein, welches Strafmaß empfinden Sie für angemessen.

KNURR: "Ich meine, eine empfindliche Geldstrafe wäre auch in vorliegendem Fall sinnvoller als eine Gefängnisstrafe. Die Holocaustleugner können sich im Gefängnis als "Staatsfeinde" hochstilisieren lassen - mit einer Geldstrafe ginge das nicht."

WFH: Sie sind Direktkandidat für den Wahlkreis 10. Vertreten also Ihre Partei und das Parteiprogramm der PIRATEN in die Öffentlichkeit. Wie verträgt sich dies mit Ihren geäußerten Ansichten. Empfinden Sie sich selbst weiterhin als Direktkandidat tragbar?

KNURR: "Die Grundsätze der Piratenpartei Deutschland beinhalten den Umstand, dass man als Pirat vor allem selbst denken sollte. Siehe auch: http://wiki.piratenpartei.de/Kodex

Selbstverständlich wäre ich, würden meine "geäußerten Ansichten" der Parteisatzung zuwiderlaufen, kein Mitglied der Piratenpartei mehr.

Allerdings setzt sich die Piratenpartei Deutschland klar gegen Extremismus ein, und ich sehe meinen Vorstoß - der ja nun auch schon fast zwei Jahre alt ist, was man nicht vergessen sollte - als Teil dieses Einsatzes an. Extremismus kann man nicht bekämpfen, indem man ihn tabuisiert, im Gegenteil: Er wird dadurch nur stärker. Das hat das Beispiel des NSU, der "Zwickauer Terrorzelle", gezeigt, der trotz höchster Aktivität antifaschistischer Gruppierungen rege aktiv war und offenbar Unterstützung in einschlägigen Gruppen fand.

Eine öffentliche Diskussion statt vorschneller Urteile halte ich also für angemessen.

Ich bin allerdings nicht wegen meiner Meinung zum Links-Rechts-Extremismus Pirat und Kandidat geworden. Ich kam 2009 im Zuge der "Zensursula"-Aktivitten in die Partei und setze mich seither für Transparenz, Datenschutz und Bürgerrechte ein. Der damalige Vorsitzende Jens Seipenbusch erwähnte oft, dass die Piratenpartei andere Ziele habe als den "Kampf gegen Rechts". Mittlerweile sind neue Piratengenerationen hinzugekommen, die das Programm der Partei entsprechend erweitert haben; ich meinerseits bleibe "Kernpirat", wie man die Vertreter der Gründungsthesen parteiintern auch nennt. Ich stehe für die Grundpfeiler der Partei - eben Transparenz, Datenschutz und Bürgerrechte - ein und betrachte alles, was darüber hinausgeht, nicht als Teil meiner politischen Arbeit.

Insofern halte ich meine Kandidatur auch weiterhin für richtig."

WFH: Klaus Peukert zitiert in seinem Blog Äußerungen Ihrerseits als Reaktion auf eine Pressemitteilung indem Sie Ihre Parteikollegen als "linksradikales Populistenpack" bezeichnet haben sollen. Ist dem so und möchten Sie dies so stehen lassen?

KNURR: "Diese Äußerung ist zwar so gefallen, war jedoch etwas unpassend formuliert.

In besagter Pressemitteilung wurde zur Teilnahme an der Demonstration "Bad Nenndorf ist bunt" aufgerufen, in deren Verlauf, wie im Vorfeld mehrfach erwähnt worden war, eine Demonstration der NPD blockiert werden sollte.

Nun ist das Demonstrationsrecht ein wichtiger Teil unserer Nachkriegsgesellschaft. Man muss die politische Weltanschauung der NPD nicht gut finden, aber sie hat selbstverstndlich das gleiche Recht auf ungehinderte Demonstration wie jeder andere Bürger auch, so lange diese Demonstration keine Gesetze verletzt. Wer in dieses wichtige Bürgerrecht eingreift, verhält sich verfassungsfeindlich und damit p.d. extremistisch. Daher meine Bezeichnung als "linksradikal".

Das "Populistenpack" war eine Reaktion darauf, dass ich den Eindruck gewonnen hatte, die Teilnehmer an dieser Demonstration würden prinzipiell "gegen Rechts" auch dann mitmarschieren, wenn selbst mit z.B. Blockaden das Grundgesetz verletzt wird. Ich halte es für populistisch, was unter dem Deckmantel des "Kampfes gegen Rechts" gelegentlich passiert.

Ich hätte für diese Bedenken auch sachlichere Worte finden können, aber nun ist es leider zu spät, sie zurückzunehmen."

WFH: Ihre Partei hat sich in letzter Zeit öfters dem Vorwurf aussetzen müssen "Rechtsdenkenden" einen Raum zu bieten. Sehen Sie diesen Vorwurf unabhängig von Ihrer Person bestätigt?

KNURR: "Keinesfalls. Zwar stimmt es, dass die Piratenpartei Deutschland ehemalige NPD-Mitglieder in ihren Reihen beherbergt, aber das Wort "ehemalige" ist hier, wie ich meine, das entscheidende. Eine faire Chance, dem Extremismus den Rücken zu kehren und für Demokratie und Freiheit einzutreten, hat jeder verdient. Was im Übrigen "rechts" ist, scheint mir eine Definitionsfrage zu sein.

Womit die Piratenpartei ein Problem hat, sind nicht "Rechte", es sind Extremisten. Im klassischen politischen Spektrum, von dem sich die Piratenpartei stets abheben wollte, ist bereits die CDU/CSU eine "rechte" Partei.

Schwierig wird es, wenn die eigene Weltanschauung, sei sie nun religiös oder politisch motiviert, dazu dient, die Bürger- oder gar Menschenrechte Dritter einzuschränken, und so zum Extremismus wird. Die Piratenpartei Deutschland hat sich mehrfach gegen solche Tendenzen ausgesprochen und beinhaltet in ihrer Satzung seit langem die Klausel, extremistische Bestrebungen würden konsequent abgelehnt.

Das ist nach meiner Beobachtung bislang parteiintern auch stets passiert."

WFH: Glauben Sie Ihrer Partei, aber auch den Mandatsträgern hier vor Ort mit dieser Debatte zu schaden?

KNURR: "In den Medien erscheinen die Vorwürfe gegen mich natürlich zunächst wie ein Skandal, der bei weiten Teilen des Volkes für Entrüstung sorgen dürfte. Ich halte diese Debatte auch deshalb für wichtig, denn sie lautet längst - personenunabhngig - "was IST eigentlich Rechtsextremismus?".

Es ist erstrebenswert, dass sie dazu führen wird, dass mit solchen impliziten oder expliziten Vorwürfen künftig besonnener umgegangen wird."

WFH: Wie weit darf die freie Meinung Ihrer Meinung nach gehen? Hat diese Grenzen und würden Sie mögliche Maßnahmen gegen Ihre Person verstehen?

KNURR: "Freie Meinungsäußerung endet meines Empfindens dort, wo sie die Bürger- oder Menschenrechte Dritter verletzt. Dies muss im individuellen Fall neu abgewogen werden, eine Faustregel ist schon wegen unterschiedlicher Persönlichkeiten jedes Menschen nahezu unmöglich aufzustellen.

Maßnahmen gegen meine Person könnte ich aufgrund des öffentlichen Drucks zwar verstehen, fnde es jedoch schade und unangebracht, da sie die Diskussion eher blockieren als voranbringen würden."

WFH: Distanzieren Sie sich ganz klar von rechter Denkensweise?

KNURR: "Man sollte zwischen "rechts" und "rechtsextrem", wie bereits geschildert, einen klaren Unterschied machen. Erlauben Sie mir daher, Ihre Frage etwas abzuwandeln:

Als Pirat und als Privatmann distanziere ich mich klar von extremistischen Denkstrukturen und setze mich dafür ein, dass die Ursachen, die zu diesen Denkweisen führen, bekämpft werden."

Der Kreisvorsitzende der Piratenpartei in Wolfenbüttel, Werner Heise, teilte auf Anfrage unserer Online-Zeitung zur Bewertung Knurrs Stellungnahme mit, dass er die Faktenlage zusammen mit dem Landesvorstand, dem Kreisvorstand und dem Betroffenen zurzeit bespricht und sich die Partei nach einer abschließenden Meinungsbildung entsprechend äußern werde. Heise stellte jedoch klar, dass es sich um eine persönliche Meinungsäußerung eines Mitglieds handle, die er jedoch in "keinster Weise" teile. Zudem verwies er darauf, dass sich die Piratenpartei gegen Extremismus jeder Art stelle und die Partei keinen Platz für Rechtsextreme habe.


mehr News aus Wolfenbüttel


Themen zu diesem Artikel


CDU Landtagswahl Niedersachsen