Wolfenbüttel. Wie islamisiert ist das Abendland? Ist das Kopftuch einer Lehrerin vergleichbar mit einem Kruzifix an der Klassenzimmerwand? Und wie sollte der Staat mit Religion umgehen? Auf Einladung des FDP-Kreisverbandes sprach am Montagabend der religionspolitische Experte Sven Speer über solche Fragen.
Die Angst vor der viel zitierten Islamisierung nahm Speer anhand einfacher Zahlen auseinander. "Aktuell sind etwa 2,4 bis 5,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland Muslime", sagte er. Weder durch eine hohe Geburtenrate (aktuell 2,2 Kinder pro Frau) noch durch massive Zuwanderung werde sich dieser Anteil in Zukunft erhöhen: Die überwiegende Mehrzahl der Einwanderer nach Deutschland stamme aus EU-Ländern, Russland, den USA und Serbien. Allerdings steige die Zahl der Flüchtlinge aus mehrheitlich islamischen Staaten deutlich an. Speer betonte aber: "Diese Menschen flüchten vor dem Islamismus in ihrer Heimat. Wer bei uns Zuflucht sucht, ist meist moderater Muslim, Jeside oder Christ."
Auch das Kopftuch, das manche muslimische Frauen tragen, ist laut Speer weit davon entfernt, eine wie auch immer geartete Gefahr für unsere Gesellschaft zu sein. "Auch wenn in den Medien das Bild von der Muslima mit Kopftuch dominiert: nur knapp ein Drittel der muslimischen Frauen tragen eines." Kopftuchtragende Lehrerinnen seien also entsprechend selten. "Und diese Frauen entsprechen ja ganz und gar nicht dem Klischee der ungebildeten Frau, die sich nur um Kinder und Haushalt kümmern", sagte Speer. Ein Berufsverbot für Frauen mit Kopftuch würde sie aber in genau diese Rolle drängen.
Der Vergleich mit dem Verbot von Kruzifixen in Klassenräumen hinke: "Das religiöse Bekenntnis einer Person ist etwas anderes als die gesetzliche Pflicht, religiöse Symbole anzubringen." Sven Speer zufolge dürfe der Staat weder eine bestimmte Religion noch die Nichtreligiosität gezielt fördern. Es sei an der Zeit, dass die Politik sich endlich damit beschäftige, wie eine Gleichbehandlung von Religionen und Weltanschauungen zu erreichen sei. Ängsten in der Gesellschaft, da waren sich die Diskussionsteilnehmer einig, begegne man am besten mit persönlichem Kontakt, Gesprächen auf Augenhöhe und mit einem klischeeärmeren Journalismus.
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