Braunschweig. Heute vor 10 Jahren wurde der damals 17-jährigen Tom-Finn Knorz schwer verletzt unter der sogenannten Graffiti-Brücke gefunden. Wenig später starb der Teenager an seinen schweren Verletzungen. Die Geschehnisse dieser Nacht sind bis heute nicht ganz geklärt. Für Polizei und Staatsanwaltschaft ist der Fall auf Eis gelegt worden, Tom-Finn-Knorz ist zu einem Cold Case geworden. Und während die Ermittlungsakte geschlossen ist, versuchen Familie und Freunde jede Erinnerung an den Teenager wach zu halten.
Es ist der 4. November 2014, als Passanten Tom-Finn Knorz gegen 4 Uhr auf der Straße unter einer Brücke an der Broitzemer Straße finden. Der Teenager ist schwer verletzt. Am Abend werden die lebenserhaltenen Maschinen abgestellt. Der Teenager stirbt nur wenige Tage nach seinem 17. Geburtstag. Der Fall wirft viele Fragen auf: War es ein Unfall oder ein Verbrechen? War Tom-Finn allein unterwegs, und warum war der Teenager halb entkleidet? Fragen, die bis heute unbeantwortet bleiben.
Der 4. November 2014
Tom-Finn ist am Vorabend mit einem Kumpel unterwegs, bis sie sich gegen zirka 3.30 Uhr verabschieden. Um 3.58 Uhr schreibt Tom-Finn noch eine Nachricht an seinen Bruder. Sieben Minuten später, um 4.05 Uhr, finden ihn zwei Passanten. Der Teenager liegt mit freiem Oberkörper und schwersten Verletzungen an Kopf und Oberkörper auf der Straße. Seine Kleidung liegt neben ihm auf der Straße. Sein Fahrrad steht mit abgesprungener Kette wenige Meter entfernt, sein Handy wird später in einem Gebüsch gefunden. Was in den sieben Minuten geschah, die zwischen SMS und Auffinden des Jugendlichen liegen, konnte bis heute nicht geklärt werden.
Warum war Tom-Finn halb entkleidet?
Zwar konnte die Polizei den Abend weitestgehend rekonstruieren, doch was sich wirklich in dieser Novembernacht unter der Graffiti-Brücke zugetragen hat, ist nach wie vor ist völlig unklar. Fakt sei, so der Braunschweiger Oberstaatsanwalt Christian Wolters, dass der Jugendliche sehr schwere Verletzungen an Kopf und Rumpf erlitten hatte. Möglicherweise wurde der Junge angefahren. "Aber das ist nur eine Theorie. Vielleicht ist auch etwas ganz anderes passiert. Keine Erklärung haben wir auch für den Umstand, dass das Opfer einen freien Oberkörper hatte und die Kleidungsstück um ihn herumlagen. Die Alkoholisierung des Opfers kann dabei gegebenenfalls mitverantwortlich sein, erklärt aber auch nicht, wann das Opfer die Kleidung ausgezogen haben soll. Nach dem Sturz kann es nicht gewesen sein."
Davon, dass Tom-Finn in dieser Nacht von einem Fahrzeug erfasst wurde, waren die Ermittler recht schnell überzeugt. Doch alle Ermittlungen liefen ins Leere. Unzählige Handydaten wurden ausgewertet, Fahrzeuge überprüft, Spuren analysiert und Zeugen befragt. Rund 2.000 Personen, die sich im fraglichen Zeitraum rund um den Tatort aufgehalten haben und die man mittels einer Mobilfunkzellenauswertung ermittelt hatte, wurden überprüft. Nichts.
Fraglich ist auch, ob ein Einbruchsalarm, der beinahe zeitgleich in unmittelbarer Nähe zur Brücke in einem Möbelhaus ausgelöst wurde, mit den Ereignissen an der Graffitibrücke zusammenhängt.
Freund erinnert sich nicht
Tom-Finns Freund, mit dem er den Abend verbrachte, konnte sich nicht mehr an die Nacht erinnern. Blackout, sagt der Junge. Eine Hypnose, die später bei ihm durchgeführt wurde, bestätigt seine Angaben. Doch was ist mit den Anrufen, die es zwischen Tom-Finn und seinem Freund gegebene haben soll, nachdem diese sich gegen 3.30 Uhr getrennt hatten? So berichtet es der damals zuständige Ermittler, Polizeioberkommissar Holger Kunkel, in verschiedenen Interviews. Acht Anrufe, beziehungsweise versuchte Anrufe, soll es zwischen den beiden Jugendlichen zum Zeitpunkt des Einbruchsalarms um 3.46 Uhr gegeben haben haben. Aber auch an die Anrufe kann sich Tom-Finns Freund später nicht mehr erinnern. Eine Funkzellenauswertung habe ergeben, dass die Handys der Freunde jedoch nicht in einem Funkmasten eingeloggt waren. Dies, so Kunkel, würde aber nicht zwangsläufig ausschließen, dass sich die Jugendlichen nicht doch an ein und demselben Ort befanden.
Auch die Aussage eines Obdachlosen brachte die Ermittler nicht weiter. Dieser hatte nach dem Unglück angegeben, etwas beobachtet zu haben. "Die bekannten Zeugen wurden alle mehrfach vernommen. Das gilt auch für den Obdachlosen. Leider konnte kein einziger Zeuge etwas zum eigentlichen Hergang sagen. Auch der Obdachlose will lediglich durch ein lautes Geräusch aufgewacht sein und einen weißen Kastenwagen gesehen habe. Ob das aber überhaupt zur mutmaßlichen Tatzeit war, ist unklar", so Wolters.
Interview mit Polizeioberkommissar Holger Kunkel 2018
Aufklärung wäre ein kleines Wunder
Zehn Jahre sind vergangen, seitdem ein junges Leben auf ebenso tragische wie rätselhafte Weise beendet wurde. Zehn Jahre, in denen Polizei und Staatsanwaltschaft alles Erdenkliche getan haben um etwaige Zeugen zu finden, sagt Oberstaatsanwalt Wolters. "Bedauerlicherweise konnte aber kein einziger Zeuge ermittelt werden, der wirklich etwas gehört oder gesehen hat, was die schweren Verletzungen erklären würde. Dass dies jetzt noch gelingen sollte, würde an ein kleines Wunder grenzen. Gleichwohl haben wir die Hoffnung nicht gänzlich aufgegeben. Für sachdienliche Hinweise ist nach wie vor eine Belohnung in Höhe von 3.000 Euro ausgelobt."
Vielleicht, so eine Theorie, wurde Tom-Finn in dieser Nacht unbewusst von einem großen Fahrzeug erfasst. Sollte ein Unfallbeteiligter tatsächlich nichts vom Zusammenstoß bemerkt haben, läge laut Wolters keine Unfallflucht vor. Die wäre ohnehin verjährt. "Verfolgbar wäre allenfalls ein bewusstes Anfahren als Tötungsdelikt wie Körperverletzung mit Todesfolge oder Totschlag."
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