"Braunschweiger Mobilitätskonzept ist klimaschädlich"

Dr. Ralf Utermöhlen, Vorstandsmitglied des Arbeitgeberverbandes, kritisiert in einem offenen Brief an Stadtbaurat Heinz-Georg Leuer das Mobilitätsentwicklungskonzept der Stadt massiv. Dies sei nicht nur kontraproduktiv in Sachen Umweltschutz, sondern auch bevormundend und ausschließend.

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Bedeutet mehr Platz für Radfahrer gleichzeitig mehr Umweltschutz? Archivbild
Bedeutet mehr Platz für Radfahrer gleichzeitig mehr Umweltschutz? Archivbild | Foto: Alexander Dontscheff

Braunschweig. In der Stadt Braunschweig wird seit 2019 an einem Mobilitätsentwicklungskonzept für die Mobilität in Braunschweig bis 2035 und darüber hinaus gearbeitet. Einer große Zahl von Wissenschaftlern, Bürgern und Politikern sind beteiligt. Der finale Beschluss soll in diesem Sommer erfolgen. Doch nun gibt es fundamentale Kritik durch Dr. Ralf Utermöhlen, Vorstandsmitglied des Arbeitgeberverbandes Region Braunschweig, an den bisher bekannten Ergebnissen.



In einem offenen Brief an Stadtbaurat Heinz-Georg Leuer und die Vorsitzenden aller Fraktionen im Rat der Stadt kritisiert Utermöhlen, dass das Mobilitätskonzept nicht nur kontraproduktiv in Sachen Umweltschutz sei, sondern auch bevormundend und ausschließend.

"Vermutlich eher klimaschädlich"


"Das Mobilitätskonzept leistet zwar an einigen Stellen durch bessere Durchlässigkeit und größere Sicherheit für Fahrradfahrer einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung, an anderen Stellen konterkariert es das aber und ist meines Erachtens in der opportunen Gesamtschau vermutlich eher klimaschädlich", schreibt Dr. Ralf Utermöhlen in dem Brief, der unserer Redaktion vorliegt. Er berufe sich dabei auf seine eigene berufliche Expertise als der dienstälteste zugelassene Umweltgutachter dieses Landes.

"Es hat mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit wenig zu tun, wenn man ohne Differenzierung zwischen Verbrennungsantrieben und Elektrofahrzeugen den motorisierten Individualverkehr mit vierrädrigen, wettergeschützten Fahrzeugen zu Gunsten von Zweiradfahrern behindert", betont Utermöhlen weiter. Eine nachhaltige Transformation im Sektor Mobilität erreiche man, in dem man klimawirkungsreduzierte vierrädrige Fahrzeuge bis zu einer gewissen Gewichtsklasse bevorzuge, zum Beispiel durch günstigere Parkplätze oder Ähnliches und gleichzeitig Durchlässigkeit und Sicherheit für Fahrradfahrer erhöhe. Aber eben nicht durch eine offensichtliche Behinderung von Fahrzeugen, mit denen der gleichzeitige Transport von mehreren Kindern, älteren oder gar beeinträchtigen Menschen und von größeren Einkäufen möglich sei.

"Viele auf Auto angewiesen"


Bevorzugung des Fahrradverkehrs allein sei kein Schritt im Sinne einer nachhaltigen, klimafreundlichen Transformation. Viele soziale Gruppen (alte Menschen, die nicht mehr Fahrrad fahren können, junge Familien mit hohem Zeitdruck und Menschen mit Beeinträchtigungen) seien auf ein Automobil angewiesen. Zur Nachhaltigkeit gehöre es, den regionalen Einzelhandel bequem und kostengünstig anfahren zu können, hier schnell und pragmatisch den täglichen Bedarf zu decken und eben nicht, weil es mit dem Auto schwer zu erreichen ist, im Internet zu bestellen und damit noch mehr Lieferverkehr zu generieren.

"ÖPNV nicht leistungsfähig genug"


Es sei auch geradezu „unnachhaltig“, wenn hochwertiger Wohnraum durch Parkraumvernichtung und -bewirtschaftung noch schlechter vermietbar werde und die Menschen daher in die Peripherie ziehen würden, mal abgesehen davon, dass sie Braunschweig dann als Steuerzahler verloren gingen. Die jüngste Bertelsmann-Stiftungs-Prognose antizipiere diesen Bevölkerungsverlust der Stadt Braunschweig bereits. Diese Menschen müssten mit dem Auto einpendeln, von beispielsweise Cremlingen oder Didderse fahre man nun mal nicht mit dem Fahrrad und der regionale ÖPNV sei im Gegensatz zum ÖPNV in Hamburg, München oder Köln hierzu nicht leistungsfähig und nicht zeiteffizient genug.

Die Stellungnahme der Stadt zu einer ersten Einschätzung des Arbeitgeberverbandes würde aus Allgemeinplätzen und teilweise aus Falschbehauptungen bestehen und die Lebenswirklichkeit zahlreicher Bürger komplett ignorieren. So sei die Bürgerbeteiligung lückenhaft und bewusst ausschließend gewesen. Die angebliche Stärkung der guten Erreichbarkeit durch den ÖPNV sei einfach eine Falschbehauptung ohne Substanz. Als Beispiel nennt Utermöhlen den Weg von der Langen Straße bis zur Firma Perschmann in Wenden, für den man mit dem Auto 14 Minuten benötigen würde. Dagegen bräuchten Arbeitnehmer mit dem Braunschweiger ÖPNV für Dienstbeginn um 8 Uhr 52 Minuten. Mit dem Rad, dass nicht für alle in Frage komme, seien es 29 Minuten.

"Verluste an Lebensqualität egal"


"Es ist den politisch handelnden Personen scheinbar egal, welche Bürden und Verluste an Lebensqualität sie den Bürgern und Händlern auflasten", lautet das Fazit des AGV-Vorstandmitgliedes. Der vorliegende Entwurf des Mobilitätsentwicklungskonzeptes sei bezüglich Nachhaltigkeit in seiner Denkweise ein Irrweg, denn er sei kein Weg zu mehr Klimaschutz, partiell sei er sogar klimaschädlich. "Natürlich wird sich immer ein Gutachter finden, der vorrechnen wird, dass der Plan einen positiven Klimaeffekt hat, weil der Folgeeffekte wie Wegzug in die Peripherie und Geschäftsschließungen herauslässt", nimmt Utermöhlen eine mögliche Reaktion vorweg,

Der Entwurf sei zudem bevormundend. Es könne keine gute Politik sein, Bürgern ein bestimmtes Fortbewegungsmittel aufzuoktroyieren, indem man ein anderes benachteilige. Zudem sei er ausschließend, weil er Menschen, die nicht Zweirad fahren können, die Teilhabe erschwere.


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