Berlin. Verfahren vor deutschen Strafgerichten dauern immer länger, sodass immer häufiger Tatverdächtige aus Untersuchungshaft entlassen werden müssen. Das beklagt der Deutsche Richterbund unter Verweis auf die neue Jahresstatistik.
Ursache sei der seit Jahren zunehmende Personalmangel in der Justiz, sagte der Bundesgeschäftsführer des Richterbundes, Sven Rebehn, dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". "Die seit Jahren steigende Verfahrensdauer und die wachsende Zahl von U-Haft-Entlassungen wegen unverhältnismäßig langer Verfahren sind Symptome einer hohen Arbeitsbelastung der Strafjustiz", sagte er. Die durchschnittliche Dauer von erstinstanzlichen Strafverfahren vor Landgerichten habe einen neuen Höchstwert erreicht, sagte Rebehn unter Berufung auf neue Daten des Statistischen Bundesamtes: Sie lag demnach im vergangenen Jahr bei 8,2 Monaten. Damit hat sich die Dauer von Strafprozessen vor den Landgerichten im Zehnjahresvergleich um fast zwei Monate verlängert.
Auch bei Amtsgerichten steigt die Verfahrensdauer an
Nicht nur vor den Landgerichten ziehen sich die Prozesse immer länger hin: Auch bei den Amtsgerichten lag die Verfahrensdauer 2021 durchschnittlich bei 5,8 Monaten und damit fast zwei Monate höher als zehn Jahre zuvor. Ein Grund dafür ist laut Rebehn neben dem Personalmangel auch der steigende Aufwand, "weil internationale Bezüge zunehmen, die Komplexität des Rechts stetig steigt und die auszuwertenden Datenmengen in der digitalen Welt sprunghaft wachsen". Eine Konsequenz daraus ist, dass immer häufiger Tatverdächtige wegen zu langer Verfahrensdauer aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, kritisierte der Richterbund. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlange, dass Strafverfahren schnellstmöglich durchgeführt werden, während Tatverdächtige in Untersuchungshaft sind.
Das sei in den vergangenen fünf Jahren vermehrt nicht der Fall gewesen, fast 300 Tatverdächtige wurden deshalb freigelassen. Allein 2021 seien es mindestens 66 Tatverdächtige gewesen, bei denen das Verfahren zu lange dauerte. Im Jahr davor hätten die Länder dagegen nur 40 Fälle gemeldet. Auch in diesem Jahr sei mit einer hohen Zahl zu rechnen: So seien zum Beispiel in Berlin nach Angaben der Justizbehörde bereits sieben dringend Tatverdächtige wegen Verfahrensverzögerungen wieder auf freien Fuß gesetzt worden, die Bremer Justiz habe drei des Mordes Verdächtige wegen zu langwieriger Verfahren aus der Untersuchungshaft entlassen.
"Bundesregierung muss endlich konkrete Vorschläge auf den Tisch legen"
Der Deutsche Richterbund forderte schnelle Gegensteuern der Ampelkoalition: "Ein Dreivierteljahr nach ihrem Amtsantritt muss die Bundesregierung endlich konkrete Vorschläge auf den Tisch legen, wie sie die Neuauflage des Bund-Länder-Pakts zur Stärkung der Justiz ausgestalten will." Dabei sieht Rebehn auch insbesondere die FDP und Bundesjustizminister Marco Buschmann in der Verantwortung. Es brauche "jetzt das groß angelegte Investitionspaket von Bund und Ländern", das die Ampel den Bürgern im Koalitionsvertrag versprochen habe.
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