Debatte über Schuldenbremse nach Urteil zu Nachtragshaushalt

Nach dem Urteil den Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021, wonach ursprünglich für die Bekämpfung der Coronakrise verplante Kredite in Höhe von 60 Milliarden Euro nicht in den Klima- und Transformationsfonds umgeschichtet werden dürfen, diskutieren Regierung und Opposition über das dadurch entstandene Haushaltsloch und die Schuldenbremse.

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Bundesverfassungsgericht (Archiv)
Bundesverfassungsgericht (Archiv) | Foto: Über dts Nachrichtenagentur

Berlin. Nach dem Urteil den Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021, wonach ursprünglich für die Bekämpfung der Coronakrise verplante Kredite in Höhe von 60 Milliarden Euro nicht in den Klima- und Transformationsfonds umgeschichtet werden dürfen, diskutieren Regierung und Opposition über das dadurch entstandene Haushaltsloch und die Schuldenbremse. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, begrüßte das Urteil.


"Das Bundesverfassungsgericht härtet die Schuldenbremse weiter aus und stärkt damit die Generationengerechtigkeit", sagte Vogel dem "Tagesspiegel" am Mittwoch. "Für die vorgesehenen Ausnahmeregelungen, die sowohl diese als auch die Vorgängerregierung genutzt haben, besteht nun verfassungsrechtliche Klarheit." Auch der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, zeigte sich beruhigt. "Karlsruhe fährt der Ampel in die Parade", sagte der CDU-Politiker dem "Spiegel".

"Schattenhaushalte darf es nicht geben." Sein Parteikollege Helge Braun sieht im Urteil eine wichtige Entscheidung für kommende Generationen. "Die kommenden Generationen werden riesige Ausgaben zu schultern haben, zum Beispiel wegen der Anpassung an den Klimawandel", sagte der Haushaltspolitiker dem TV-Sender Phoenix. "Deswegen ist es wichtig, dass wir in normalen Jahren die Schuldenbremse einhalten und nicht eine Dauerausnahme machen."

Die Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Bundestag, Britta Haßelmann und Katharina Dröge, wollen die Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 zunächst fortsetzen. "Wir respektieren die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 und werden sie selbstverständlich beachten. Gleichzeitig ist wichtig, dass die Beratungen zum Haushalt 2024 fortgesetzt werden und der Haushalt planmäßig in Kraft treten kann." Die Auswirkungen des Urteils werde man sorgfältig prüfen.

Die Programme des Klima- und Transformationsfonds seien "extrem wichtig" für Klimaschutz, die Entlastung der Bürger und eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik. "Sie stehen im Kern der Politik dieser Koalition", so die Grünen-Politikerinnen. Achim Post, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, und Dennis Rohde, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, wollen ebenfalls nicht am Zeitplan der Haushaltsberatungen rütteln. "Selbstverständlich wird die Ampel-Koalition dieses Urteil genau beachten und umsetzen. Es ist daher gut, dass die Bundesregierung die unmittelbaren Schlussfolgerungen aus dem Urteil bereits gezogen und die entsprechenden Mittel im KTF zur Sperrung vorgeschlagen hat", sagten sie.

"Im nächsten Schritt wird nun ein neuer Wirtschaftsplan für den KTF zu erarbeiten sein." Die Grüne Jugend plädiert nach dem Urteil für eine Abschaffung der Schuldenbremse. "Die einzige richtige Konsequenz aus Karlsruhe muss sein, dass die Schuldenbremse abgeschafft, zunächst aber mindestens ausgesetzt wird", sagte die Sprecherin der Grünen Jugend, Svenja Appuhn, dem "Tagesspiegel" (Donnerstagausgabe).

Angesichts des Lochs von 60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds, über den die Ampel weitreichende Klimaschutzmaßnahmen finanziert, brauche es nun dringend mehr Geld. "Die Schuldenbremse war schon vorher eine Investitionsbremse", sagte Appuhn weiter. Für die Entscheidung in Karlsruhe machte sie den FDP-Finanzminister verantwortlich. "Dieser Tag zeigt, dass Christian Lindner eine Gefahr für unsere Demokratie, aber auch den ganzen Planeten ist", sagte Appuhn.

"Sollte der Finanzminister jetzt über Steuererhöhungen nachdenken, müssen die Superreichen und ihr Vermögen besteuert werden." Dem "Stern" sagte die Sprecherin der Grünen Jugend, man werde die Klimakrise nur bekämpfen können, wenn man die Verteilungsfrage stelle. "Wir müssen die Steuern für die Superreichen erhöhen, um die notwendigen Investitionen in den Klimaschutz zu tätigen und den sozialen Ausgleich für ärmere Haushalte zu finanzieren." Auch die Linke stellt sich gegen die Schuldenbremse. Die vom Bundesverfassungsgericht gekippten "finanzpolitischen Verrenkungen" seien nur nötig gewesen, "weil Union, SPD, Grüne und FDP die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben und damit Investitionen ausgebremst haben", sagte Janine Wissler, Linken-Vorsitzende und Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages. "Es wird Zeit, diesen Fehler zu beheben. Die Schuldenbremse verhindert Investitionen in den klimagerechten Umbau der Gesellschaft." Das Urteil sei auch eine "schallende Ohrfeige für den Finanzminister, der immer wieder betont, wie wichtig die Schuldenbremse ist und doch jeden denkbaren Trick anwendet, um sie zu umgehen", so Wissler.

"Das rächt sich jetzt mit einer klaffenden Lücke im Haushalt von 60 Milliarden Euro." Der frühere SPD-Chef Norbert Walter-Borjans nannte die Schuldenbremse eine "Zukunftsbremse", weil sie nötige Investitionen verhindere. "Die Regierung muss hier aufräumen", sagte Walter-Borjans dem "Spiegel". FDP-Vize Wolfgang Kubicki stellte sich gegen die Einführung neuer Sondervermögen. Das sei zwar für die Bundeswehr in Ordnung, könne aber "nicht zur Grundlage aller Entscheidungen werden", sagte Kubicki dem TV-Sender "Welt". "Ich höre ja `Ein Sondervermögen Bildung, ein Sondervermögen Innere Sicherheit` - das wird es nicht geben, mit uns nicht. Es wird definitiv bei der Schuldenbremse bleiben, das hat jetzt das Bundesverfassungsgericht auch in Zement gegossen." Die CDU drängt nun auf neue Priorisierungen im Haushalt. Die derzeitige Regierung habe die "höchsten Steuereinnahmen, die wir je hatten", sagte CDU-Haushälter Helge Braun dem TV-Sender Phoenix. Christian Lindner müsse nun klare Prioritäten setzen: "Alles, was Wachstum schafft, unsere innere und äußere Sicherheit und der Klimaschutz." Auch Kubicki setzt auf Priorisierungen. Für das kommende Jahr müsse man zwar noch "niemandem die Pistole auf die Brust setzen", aber für die Zeit danach müsse sich Wirtschaftsminister Robert Habeck schon überlegen, wo das Geld für die Klimaprojekte herkommen soll, sagte er dem TV-Sender "Welt". "Wir können uns das Geld nicht aus den Rippen schneiden. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Paus erklärt, `Wir wollen bei den sozialen Leistungen sparen`." Aus Sicht von Vogel müssen die Kürzungen auch im KTF stattfinden. "Die Koalition muss im Klima- und Transformationsfonds nun priorisieren", sagte er dem "Tagesspiegel". Für den Klimaschutz sei ohnehin Ordnungspolitik entscheidender "Ein dichter Deckel für CO2 und die Bepreisung über den Zertifikatehandel. Dieser gewinnt jetzt noch mehr an Bedeutung." Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, fürchtet Einsparungen beim Klimageld, das aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert und an die Bürger ausgezahlt werden sollte. "Es steht beispielsweise zu befürchten, dass in der Konsequenz die Mittel für das für 2025 geplante Klimageld nicht ausreichen werden", sagte Schnitzer der "Rheinischen Post" (Donnerstagausgabe). "Das ist bedauerlich, denn mit der Einführung der CO2-Steuer sollte ja in erster Linie eine Lenkungswirkung erzielt werden, weg von fossilen Energieträgern, es sollte aber keine Steuererhöhung implizieren", sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Deshalb sollten ihrer Ansicht nach die daraus erzielten Steuereinnahmen an die Bürger zurückgegeben werden. Steuererhöhungen zur Finanzierung der Lücke schloss Wolfgang Kubicki derweil aus. "Es wird nicht dazu kommen, dass in dieser Legislatur die Steuern erhöht werden. Dafür steht die FDP, definitiv", sagte er dem TV-Sender "Welt". Die Deutsche Umwelthilfe verweist derweil auf kostengünstige Wege, das Klima zu schützen. "Nach der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist es zwingend notwendig, dass die Bundesregierung alle Klimaschutzmaßnahmen, die ohne Mehrkosten für den Bundeshaushalt sind oder gar diesen entlasten, sofort ergreift", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. "Ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h außerorts sowie 30 km/h innerorts spart jährlich mehr als 11 Millionen Tonnen CO2." Mit dem Stopp klimaschädlicher Subventionen wie die Dienstwagen- oder Dieselsubventionen könne der Haushalt um viele Milliarden Euro entlastet werden. "Damit lassen sich aufkommensneutral die aktuell diskutierten Unterstützungen für die Menschen bei der Gebäudesanierung und Wärmewende finanzieren", so Resch. "Die Bundesregierung muss das Klimaschutzprogramm endlich anpassen, sonst wird das von uns angeordnete Bundesverfassungsgericht dies einfordern."


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