Diskussion um Aufwandsentschädigung im Kreistag - Försterling: "Unterstellung der Selbstbedienungsmentalität hängt mir zum Hals raus!"

von Marc Angerstein




[image=5e1764b8785549ede64ccb82]Es ging ums Geld, genauer um die Aufwandsentschädigungen der gewählten Kreistagsmitglieder: "Ich habe damit Schwierigkeiten den Menschen, die erleben mussten, wie lange sich Politiker um eine Hartz-4-Regelsatzerhöhung von zehn Euro gestritten haben, diese Erhöhung zu erklären", sagte Victor Perli, Vorsitzender der Fraktionsgruppe DIE LINKE - PIRATEN in der Kreistagssitzung gestern Abend.

[image=5e1764b3785549ede64cca60]Die Landkreisverwaltung hatte in einer Beschlussvorlage die monatliche Aufwandsentschädigung für die Abgeordneten um 25 Euro von 105 Euro auf 130 Euro erhöht und außerdem bei Verzicht auf die Zusendung von Papiervorlagen weitere 20 Euro "Papiergeld" für die Kosten des Selbstausdrucks vorgesehen.

Bisher war die Entschädigung für die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker in der Niedersächsischen Landkreisordnung (NLO) geregelt. Seit November gelten nun die Paragraphen des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) und es galt nun entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Ein formaler Akt, könnte man meinen, gäbe es da nicht den Redebeitrag Perlis.

[image=5e1764c8785549ede64ccee6]"Ich verstehe die ganze Diskussion nicht. Das Geld was ich hier bekomme, bekommt meine Partei. Und was meine Partei nicht bekommt, muss ich bei meiner Frau abliefern."


Oliver Ganzauer, Vorsitzender des Kreistages

Der Linke bekannte sich zwar dazu, dass es für die Demokratie wichtig sei, dass Abgeordnete entsprechend entschädigt werden, doch mit dieser Erhöhung hatte er so seine Probleme.

Verwunderung im Kreistag. Hatte doch zuvor eine überparteiliche Entschädigungskommission diese Vorschläge erarbeitet und waren vom Finanzausschuss und vom Kreisausschuss zuvor gebilligt worden.

[image=5e1764c6785549ede64cce6d]"Wir sollen mal darüber reden, welche Kosten ein ehrenamtlicher Abgeordneter so hat", sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Oesterhelweg, der als erster für alle das Wort ergriff. "Ich selbst habe gerade eine Druckerpatrone gekauft. Ich weiss, was die kostet." Oesterhelweg warf dem Linken Populismus vor.  "Das was die Fraktionen hier ausgehandelt haben, ist eine moderate Erhöhung".

[image=5e1764bf785549ede64ccd1c]Dieser Meinung schloss sich Marcus Bosse (SPD) an. "Ich wundere mich schon, dass gerade Ihre Fraktion diese Position ergreift, wo Sie doch am meisten davon profitieren." Damit spielte er offenbar auf den gewählten Gruppen-Fraktionsstatus an, der den beiden Abgeordneten Perli und Michael Leukert (PIRATEN) nämlich eine Fraktionszuweisung von 6.300 Euro ermöglicht. "Von 25 Euro Erhöhung wird niemand reich, die Aufwandsentschädigungen sind zehn Jahre nicht erhöht worden und entsprechen den Richtlinien des Niedersächsischen Innenministeriums", sagte Bosse.

[image=5e1764ba785549ede64ccc04]Da sich Perli, Oesterhelweg und Bosse als Landtagsabgeordnete auch beruflich in Hannover streiten, verwies als "vierter hauptamtlicher Redner", wie er sich selbst bezeichnete, Landrat Jörg Röhmann auf die externe Expertenmeinung, nach der die Erhöhung der Aufwandsentschädigung für Ehrenamtliche angemessen sei.

[image=5e1764c5785549ede64cce56]"Auch als Berufpolitiker stehe ich als Ehrenamtlicher hier im Kreistag", sagte der fünfte Hauptamtliche im Bunde: Björn Försterling (FDP). Als ehrenamtlicher Kommunalpolitiker habe er nicht nur Zeitaufwand sondern auch hohen Materialeinsatz, war er sich mit Oesterhelweg einig. "Wenn wir auch künftig noch engagierte Menschen wollen, die freiwillig Verantwortung übernehmen, dann müssen wir sie zumindest entsprechend ihres Aufwands entschädigen", meinte der Liberale. "Und diese ewige Unterstellung der Selbstbedienungsmentalität hängt mir zum Halse raus."  Er schlug der Fraktion der LINKE-PIRATEN-Gruppe vor, nicht nur die Erhöhungsdifferenzen, sondern gleich auch die Fraktionszuweisung einem guten Zweck zu spenden.

Die Erhöhung wurde dann mehrheitlich beschlossen.


Victor Perli reagierte direkt nach der Veröffentlichung auf unseren Beitrag. Da er nicht die dafür vorgesehene Kommentar-Funktion gewählt hat, veröffentlichen wir seine E-Mail nicht nur unter unserer Rubrik "LeserMeinung", sondern - unserer journalistischen Sorgfaltspflicht folgend - zusätzlich hier:

Sie schreiben in Ihrem Artikel:

“(...) Verwunderung im Kreistag. Hatte doch zuvor eine überparteiliche Entschädigungskommission diese Vorschläge erarbeitet und waren vom Finanzausschuss und vom Kreisausschuss zuvor gebilligt worden.”
(...)
“Ich wundere mich schon, dass gerade Ihre Fraktion diese Position ergreift, wo Sie doch am meisten davon profitieren.” Damit spielte er offenbar auf den gewählten Gruppen-Fraktionsstatus an, der den beiden Abgeordneten Perli und Michael Leukert (PIRATEN) nämlich eine Fraktionszuweisung von  6.300 Euro ermöglicht.

Dazu stelle ich fest:

1.    An der Erarbeitung der Vorschläge waren weder die Gruppe DIE LINKE & PIRATEN noch ich persönlich involviert. Vielmehr hat diese unter unserem Ausschluss stattgefunden.
2.    Meine Kritik habe ich im Vorfeld allen Fraktionen und Gruppen übermittelt. Darüber wurde in meiner Anwesenheit auch im nichtöffentlich tagenden Kreisausschuss diskutiert, in dem ich aufgrund des Grundmandats kein Stimmrecht habe. Die Kritik war somit weder neu noch überraschend.
3.    Ich habe betont, dass eine geringfügige Erhöhung nach 10 Jahren aus meiner Sicht nicht zu kritisieren wäre. Eine Erhöhung von 24 bzw. 43 Prozent ist jedoch überzogen. Dem Kreis entstehen durch die Erhöhung Mehrausgaben von 24.000 Euro. Von “Selbstbedienungsmentalität” habe ich nicht gesprochen, die diesbezügliche Unterstellung in der Überschrift läuft somit ins Leere.
4.    In Ihrem Artikel fehlt der Hinweis, dass zuzüglich zur Aufwandsentschädigung ein Sitzungsgeld in Höhe von jetzt 30 Euro pro Sitzung (von Fraktion, Ausschuss und Kreistag) gezahlt wird. Bisher betrug das Sitzungsgeld 28 Euro. Bei durchschnittlich drei Sitzungen im Monat erhält ein Kreistagsabgeordneter somit 220 Euro zzgl. der optionalen “Papierfrei-”Pauschale von 20 Euro.
5.    Unerwähnt bleibt, dass der Kreistag noch im September 2010 die Papierfreiheit für Abgeordnete eingeführt hat, um jährlich 100 Euro pro Abgeordnetem zu sparen. Jetzt erhält jeder Abgeordnete, der auf Papier verzichtet, jährlich 240 Euro. Das sind pro Legislaturperiode 1.200 Euro und weit mehr als die tatsächlichen Mehrkosten für den Einzelnen. Darauf hatte ich in meinem Redebeitrag hingewiesen.
6.    Die Fraktionskostenzuschüsse waren nicht Gegenstand vorliegender Anträge. Darüber wurde im Oktober 2011 entschieden, damals waren weder LINKE noch PIRATEN im Kreistag vertreten. Herr Bosse hat dem Beschluss, den er offenbar kritisiert, selbst zugestimmt. Unsere zweiköpfige Gruppe erhält die selbe Summe wie die zweiköpfige FDP-Fraktion in der letzten Legislatur und damit erheblich weniger als alle anderen Fraktionen. Da dies eine Frage der Transparenz ist, nenne ich Ihnen die jährlichen Zuschüsse der anderen Fraktionen: SPD: 26.100, CDU/FDP: 25.200 Euro, Grüne: 12.300 Euro.

Da diese Informationen aus meiner Sicht zu einer vollständigen Berichterstattung gehören, wäre ich Ihnen für eine Veröffentlichung der sechs Feststellungen sehr dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

Victor Perli




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