Erdbeersaison in Gefahr - Frost und Corona setzen Obsthöfen zu

Trotz der teilweisen Aufhebung des Einreiseverbotes für Erntehelfer mangelt es an Arbeitskräften - Der Frost ende März sorgte dafür, dass große Teile des Obstbestandes einfach erfroren sind.

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Auch die heimischen Obsthöfe haben unter der Pandemie zu Leiden - Nach den Frostschäden ende März drohen auch Ausfälle bei den Erntehelfern.
Auch die heimischen Obsthöfe haben unter der Pandemie zu Leiden - Nach den Frostschäden ende März drohen auch Ausfälle bei den Erntehelfern. | Foto: Pixabay

Braunschweig. Die Temperaturen steigen, die Bäume schlagen aus, und die Erdbeerernte steht bevor - Den Obstbauern stehen schwere Wochen bevor. Denn nicht nur die Corona-Krise könnte laut Renate Riess, die mit ihrem Mann den gleichnamigen Obsthof in Braunschweig führt, für dramatische Ernteausfälle sorgen. Neben dem befürchteten Mangel an Hilfskräften für die Ernte hat auch der plötzliche Frost im März für dramatische Einbußen gesorgt.


Ähnlich wie bei der Spargelernte sind auch Obstbauern größtenteils auf Erntehelfer aus dem Ausland angewiesen, vorwiegend Rumänien und Polen. In zwei bis drei Wochen werde laut der Obsthofinhaberin Riess das Problem der mangelnden Erntehelfer auch bei der Erdbeerernte akut.

Das Einreiseverbot für Erntehelfer, welches die Bundesregierung zunächst zur Eindämmung der Corona-Pandemie erlassen hatte, wurde zumindest teilweise wieder aufgehoben - Unter strengen Voraussetzungen. So müssen die Erntehelfer mit dem Flugzeug einreisen und von den Betrieben am Flughafen abgeholt werden. Die Ankommenden werden ärztlich untersucht und müssen von den bereits vor dem Einreisestopp Ende März eingereisten Arbeitern für 14 Tage getrennt werden - Die Unterbringung stellt die Obsterzeuger vor Herausforderungen, wie Riess schildert: "Für die Erntehelfer bedeutet das alles mehr Abstand, mehr Hygienemaßnahmen und unter Umständen müssen wir ja auch Infizierte separieren. Die Unterbringung wird eine ganze Ecke teurer." Normalerweise reichen die Unterkünfte auf dem Hof für die bis zu 40 Erntehelfer, die Saisonal in dem Braunschweiger Obstgarten arbeiten. Dieses Jahr habe laut der Hofinhaberin bislang lediglich die Hälfte der Erntehelfer zugesagt: "Trotzdem mussten wir dieses Jahr Unterkünfte anmieten wegen der Vorschriften, die einzuhalten sind."

Die Angst geht um


Denn trotz der teilweisen Aufhebung des Einreisestopps hält die Angst die Arbeiter fern: "Sie denken, wenn ich hier erkranke und im Krankenhaus isoliert werde, keine Angehörigen da sind und die Sprache nicht einmal spreche, dann bleibe ich lieber zu Hause. Das ist das, was die unsere Stammarbeiter derzeit bewegt."

Etwa 90 Prozent der Erntehelfer auf dem Obsthof Riess stammen aus dem EU-Ausland. Vorwiegend Polen. "Wir haben eigentlich unsere Stammpflücker mit denen wir gut unsere Arbeit bewältigen können, aber die haben Angst. Dann kam im Laufe der letzten Tage noch der Frost dazu", berichtet Riess und geht ins Detail: "Viele unserer Kulturen sind jetzt schon erfroren, Kirschen, Aprikosen, und Teile des Apfelbestandes. Bei den Erdbeeren ist man immer wieder mit abdecken und aufdecken beschäftigt, damit sie tagsüber Sonne kriegen und Nachts nicht erfrieren. Das ist eine Menge Arbeit." Doch trotz aller Mühen sei auch bei den Erdbeeren mit Einbußen zu rechnen.

"100 Prozent des Aprikosenbestandes sind verloren. Bei den Äpfeln hoffen wir darauf, dass es nur 30 bis 40 Prozent sind, das kann man jetzt noch nicht sagen, das wird man sehen müssen wenn die Früchte da sind."

- Renate Riess, Co-Inhaberin des Obsthofes Riess in Braunschweig



Die Arbeit wird unterschätzt


"Ganz allgemein wird das schwierig mit der Ernte", prognostiziert Riess: "Da werden wir was stemmen müssen". Viele deutsche hätten sich ebenfalls bereit erklärt, bei der Ernte zu helfen. "Schüler und Studenten haben sich in vielzahlen gemeldet um zu helfen, da sind wir auch unglaublich dankbar für", freut sich Riess, kann sich aber ihrer Skepsis nicht entbehren: "Ich glaube die wissen nicht ganz worauf sie sich einlassen. Es ist wirklich eine schwere Arbeit. Acht Stunden in gebückter Haltung, das Unterschätzen glaube ich viele." Zu Berücksichtigen sei auch die Zeit zur Einarbeitung, sowie die Hygienemaßnahmen "Und die mehr denn je", betont Riess dazu.

Doch wozu benötigt es überhaupt so zwingend die Erntehelfer aus dem Ausland? Möchten die Deutschen nicht? Riess hat auf diese Frage eine eindeutige Antwort: "Möchten schon, aber wenn sie dabei sind merken Sie, dass das tatsächlich Schwerstarbeit ist. Die Ernte läuft ja auch an Samstagen und Sonntagen. Da mussten wir schon oft sagen: 'Wir haben leider noch keine Züchtung erfunden, die am Wochenende nicht wächst'", schildert die Obstbäuerin und fasst zusammen: "Arbeiten am Wochenende, das frühe Aufstehen, die anstrengende Arbeit. Das schreckt viele ab." Polnische und rumänische Menschen hätten da eine andere Arbeitsmentalität. "Wir zahlen natürlich den Mindestlohn. Für Unterkunft und Krankenkasse wird nur ein ganz kleiner Teil berechnet. Das sind zumeist kurzfristige Beschäftigungen, also haben die Erntehelfer das Geld effektiv Brutto für Netto." Zu D-Mark Zeiten sei es sogar noch lukrativer gewesen, da der polnische Zloty beispielsweise einen ganz anderen Wechselkurs hatte. Am Ende gehe es um ein Monatsgehalt von 1.800 Euro, mit nur geringfügigen Abzügen. Probiert habe man es wirklich: "Wir haben auch früher schon mit deutschen Arbeitslosen versucht, die Ernte einzufahren. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass es nicht geht"

Hochkonjunktur im Hofladen


Während es an der einen Stelle hakt, brummt der Laden an anderer Stelle - im wahrsten Sinne. Der Hofladen des Obsthofes verzeichnet seit Beginn der Pandemie wachsende Kundenzahlen. Die Inhaberin weiß auch, woran das liegt: "Die Leute meiden die großen Supermärkte, wenn die Leute aus dem Dorf kommen kaufen sie bei uns ein. Wir versuchen jetzt gerade noch einen Lieferservice aus dem Boden zu stampfen."

Um diesen Menschen möglichst alles bieten zu können, habe man in "Null Komma nichts" das Angebot erweitert. Ohnehin habe das Bewusstsein für regionale Produkte in den vergangenen Jahren zugenommen, betont Riess. Hofläden würden davon profitieren. Von diesem Konzept weiche man trotzdem erweiterten Angebots auch nur in Ausnahmefällen ab: "Soweit es möglich ist, ist alles, was wir aufgestockt haben von Höfen aus der Region." Ein Konzept, das möglicherweise auch über die Krise hinaus bleiben könnte.

Kann der Obsthof die Krise überleben?


Angesichts der aktuellen Situation stehen viele Fragen im Raum. Riess hofft, dass die Erntehelfer die zugesagt haben auch tatsächlich kommen - und durchhalten. "Was nicht geerntet werden kann, muss dann einfach geschreddert werden", konstatiert Renate Riess sorgenvoll und schildert: "Wie hoch die Einbußen sein werden, ist schwer zu sagen. Wir leben ja nicht nur von den Erdbeeren, sondern hauptsächlich von den Äpfeln." Ihre Zuversicht lasse sich die Hofinhaberin trotz allem nicht nehmen.

Man sei zuversichtlich, die Krise zu überstehen: "Was das ganze nicht leichter macht ist, dass die Ernte in den letzten drei Jahren schon ziemlich miserabel war. 2017 hatten wir genau so Frost wie dieses Jahr, und danach nur Regen, 2018 und 2019 dann die Trockenheit, jetzt kommt Frost und Corona und die finanziellen Reserven sind natürlich irgendwann aufgebraucht." Deshalb sei man auch am Überlegen, einige Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken - jedoch nur für den Monat April: "Wenn die Ernte losgeht, brauchen wir schließlich jeden für die Erntehilfe. Aber vielleicht können wir die Kurzarbeit auch noch abwenden." Man könne einfach nur auf baldige Besserung der Lage hoffen - Ein klimatisch "normales" Jahr wäre laut Riess auch mal wieder hilfreich. Die Hofinhaberin lacht: "Man hat ja früher immer gesagt, es kommen sieben schlechte und dann sieben gute Jahre, dann hätten wir noch drei vor uns, das wäre dann doch sehr schlecht."

Mehr Akzeptanz für Erzeuger


In Sachen Agrarpolitik positioniert sich Renate Riess eindeutig: "Was ich mir wünschen würde von der Politik ist tatsächlich mehr Akzeptanz der Erzeuger. Also wirklich die Leute, die die Lebensmittel unter schwersten Bedingungen - wie dem unvorhersehbaren Wetter - produzieren." Auch aktuell vermisse sie die Landwirte im Fokus: "Es werden alle gelobt, zum Beispiel Pflegekräfte und Verkäufer. Das finde ich auch gut. Die machen einen guten, wichtigen und schweren Job. Aber wenn wir als Erzeuger wegfallen würden und wir komplett vom Ausland abhängig wären, würde es auch düster aussehen." Dabei müsse man sich auch wieder an die Saisonalität von Produkten gewöhnen können: "Ich finde, nicht dass es im Winter Erdbeeren geben muss. Aber solange der Einzelhandel es anbietet, wird es natürlich auch gekauft." Ein Zirkelschluss sei das, immer wieder - Der Verbraucher schiebe es auf den Einzelhandel, der Einzelhandel auf die Politik und die wiederum auf den Verbraucher. Letzten Endes würden so die Preise für Lebensmittel gedrückt werden - Auch in der jetzigen Situation ein Problem, so das Fazit der Hofinhaberin Renate Riess.


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