Gifhorn. Landrat Tobias Heilmann (SPD) steht nach wie vor wegen seines Fernsehinterviews zu Übergriffen in der Flüchtlingsunterkunft Ehra-Lessien in der Kritik. Hier hatte er Übergriffe mit "Döneken" verglichen und sich in einem Zeitungsgespräch später damit gerechtfertigt, dass der Videoausschnitt aus dem Zusammenhang gerissen worden sein soll. Der NDR hat auf seiner Homepage zwischenzeitlich das komplette und ungeschnittene Interview veröffentlicht. Und das zeigt: Heilmann wusste sehr wohl, dass es bei der Frage um Gewaltübergriffe auf vulnerable Gruppen ging.
Bereits nur eine Frage zuvor wollte die Panorama 3-Reporterin wissen: "Was machen Sie denn jetzt speziell für vulnerable Gruppen, um die zu schützen, vor Gewalt beispielsweise, in der Unterkunft?" Hier gibt Heilmann die Antwort, dass man schon versuche "alleinreisende Mütter", alleinreisende Männer oder Familien häuslich getrennt voneinander unterzubringen. Komplikationen seien ihm nicht bekannt, worauf die Reporterin die entscheidende Frage stellt, auf deren Antwort jetzt der Fokus in der öffentlichen Diskussion liegt. "Haben Sie da einen Überblick, zu wie vielen Übergriffen es da so kommt?" Heilmann antwortet: "Gut, jetzt müssen wir unterscheiden, was sind Übergriffe? Also, wenn wir alleinreisende Männer haben…das sage ich von mir selber: Wenn man mich mal länger mit Männern zusammen in eine Unterkunft bringt, dann kommen wir auch auf Döneken...". Dabei grinst der Landrat.
Heilmann bereut seinen Döneken-Spruch
Gegenüber unserer Redaktion teilte Heilmann am gestrigen Mittwoch mit: "Zu Beginn des Gesprächs mit Frau Struckmeier ging es um (Gewalt)-Schutzmaßnahmen im Allgemeinen. In diesem Zusammenhang ist das Zitat zu den 'Dönekens' – welches ich aus heutiger Sicht sehr bereue – gefallen. Erst im Anschluss wurden die Fragen von der Interviewerin konkreter und konfrontierte mich mit den Vorwürfen der Frauen. Diese haben mich unvorbereitet getroffen, da uns als Kreisverwaltung und auch nach Rücksprachen mit der Polizei hier in Gifhorn, solche Fälle in dieser Anzahl nicht bekannt geworden bzw. angezeigt worden sind."
Es stellt sich die Frage, ob der Landrat überhaupt auf dieses Interview des Investigativ-Fernsehformates vom NDR vorbereitet war. Auf viele Fragen der Reporterin, die man jetzt im vollen Interview sieht, hat der SPD-Mann gar keine Antworten parat und ist sichtlich überfordert. Hierzu teilt der Landkreis Gifhorn mit, dass die NDR-Reporterin vorab lediglich darüber informiert habe, dass sich das Interview um Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften drehen solle. "Dabei führte sie aus, dass dem NDR zahlreiche Beschwerden vorliegen würden, die u. a. auch Sexualstraftaten betreffen. Daraufhin hat die Pressestelle der Kreisverwaltung ausdrücklich darum gebeten, konkrete Fragen zur Vorbereitung zu übersenden. Dies wurde seitens des NDR abgelehnt. Es wurde ausgeführt, dass die Vorwürfe, die den NDR erreicht hätten, sich u. a. um Quarantäneanordnungen und das Betreten von Zimmern durch Sicherheitsmitarbeiter drehen würden", heißt es in der Antwort an unsere Redaktion.
Flüchtlingsunterkunft Ehra-Lessien sei kein Brennpunkt
Der Landkreis Gifhorn betont weiterhin deutlich, dass es sich bei der Flüchtlingsunterkunft in Ehra-Lessien um keinen Brennpunkt handele. Zu dieser Einschätzung kommt auch die zuständige Polizei Gifhorn. Sie antwortet hierzu auf Anfrage von regionalHeute.de: "Die Wahrnehmungen der dort lebenden Menschen vor Ort wollen wir nicht in Abrede stellen. Auf Grundlage der Bewertung der uns bekannten Sachverhalte kamen und kommen wir zu keinem Zeitpunkt zu der Bewertung, dass es sich bei der Flüchtlingsunterkunft Ehra-Lessien um einen Brennpunkt handeln könnte." Und weiter: "Im Rahmen der Prävention waren wir in der Vergangenheit bereits mit Programmen wie 'Sicherheit für Frauen' aktiv und befinden uns aktuell in weiteren Terminabstimmungen. Unser Präventionsangebot und auch die Hilfeangebote des Landkreises vor Ort sollen Betroffene von Gewalt und auch Zeugen im Zusammenhang mit Zivilcourage dazu ermutigen, jegliche Form von Gewalt bei der Polizei zur Anzeige zu bringen. Diesen Impuls können wir auf diesem Weg erneut unterstreichen."
Von Beginn dieses Jahres bis zum 17. Mai kam es in der Unterkunft Ehra-Lessien zu 29 Polizeieinsätzen, aus denen eine gleich hohe Anzahl an Eingängen im polizeilichen Vorgangsbearbeitungs- und Informationssystemen resultiere. "Dabei handelt es sich sowohl um Straftaten wie Körperverletzungen, Diebstähle oder Sachbeschädigungen, als auch um sonstige Vorgänge wie Aufenthaltsermittlungen, Maßnahmen zum Infektionsschutzgesetz und Unterstützungen des Sicherheitspersonals bei bspw. der Schlichtung einer Streitigkeit", teilt die Polizei Gifhorn mit.
Erst Anfang Mai hatte der Landkreis Parteien und andere zu einer Besichtigung nach Ehra-Lessien eingeladen, damit diese sich selbst ein Bild von der Situation vor Ort machen können. Die Bürger-Interessen-Gemeinschaft Sassenburg kam in einer Momentaufnahme nach diesem Termin zu dem Urteil, dass die Unterkunft einen guten Eindruck, mit ruhigen und geordneten Verhältnissen mache. "Dies ist selbstverständlich auch den vielen ehrenamtlichen Helfern zu verdanken", heißt es auf der Homepage der Interessengemeinschaft.
Personal vor Ort hat keine Informationen weitergegeben
Erkenntnisse über die im NDR-Beitrag erhobenen Vorwürfe hatte der Landkreis Gifhorn nicht. "Seitens der Sozialarbeiter*innen, der Ehrenamtlichen oder anderen vor Ort tätigen Personen wurden dem Landkreis Gifhorn keine Informationen zu mangelndem Sicherheitsgefühl der Frauen weitergegeben", heißt es an unsere Redaktion. Es gebe jedoch eine Vielzahl an Ansprechpartnern, denen sich anvertraut werden könne und die regelmäßig auf der Anlage sind und somit den Geflüchteten auch bekannt und vertraut seien. "Der Sicherheitsdienst ist rund um die Uhr auf dem Gelände und ansprechbar. Das Betreiberpersonal sowie das Personal des Landkreise Gifhorn ist zu den Kernzeiten von 8:00 – 20:00 Uhr vor Ort. Es besteht eine 24/7 Rufbereitschaft des Betreibers. Darüber hinaus ist der Betreiber seitens der Kreisverwaltung dazu verpflichtet worden, dafür Sorge zu tragen, dass Sozialarbeiter*innen zur Betreuung der Bewohner*innen vor Ort sind, um für die Betreuung, Beratung und Unterstützung der Bewohner*innen zu sorgen", schreibt der Landkreis und fügt hinzu: "Außerdem sind auch Mitarbeitende der Kreisverwaltung aus diversen Fachbereichen vor Ort. Alle vor Ort arbeitenden Personen sind gemäß ihrer Tätigkeiten qualifiziert. Für die die Sozialarbeit wird der Betreuungsschlüssel soziale Arbeit 1 der Niedersächsischen Landesaufnahmebehörde erfüllt."
Zudem würden in der Gemeinschaftsunterkunft neben einer Kinderbetreuung und speziellen Sprechstunden auch Deutschkurse stattfinden, die sowohl allen Bewohnern als auch nur für Frauen offen stünden. Auch darüber hinaus liefert der Landkreis Gifhorn auf unsere Anfrage hin weitere umfassende Informationen über Angebote und Sicherheitsvorkehrungen in der Flüchtlingsunterkunft Ehra-Lessien. Umso fragwürdiger erscheint der Auftritt Heilmanns vor der Kamera.
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