Goslar. Die lang ersehnte Antwort der Goslarer Stadtverwaltung auf die Frage, weshalb die Stadt trotz der immensen Gefahr durch unkontrolliert austretendes Wasser aus dem Frankenberger Teich so lange untätig blieb, fiel aus Sicht der Anwohner ernüchternd aus. Eine Gruppe betroffener hat sich jetzt zur Interessengemeinschaft (IG) Claustorwall zusammengeschlossen und auf eigene Faust ein Gutachten zu den Gebäudeschäden erstellen lassen. Die Ergebnisse sind erschreckend: In der Antwort der Stadtverwaltung fehlen konkrete Zahlen, das Gutachten errechnete jedoch, dass allein im Juli 2020 über zwei Millionen Liter Wasser aus dem Teich entwichen sind. Schnelles Handeln sei nötig.
regionalHeute.de sprach bereits am 25. August mit dem betroffenen Anwohner Till Liebau, der nach der öffentlichen Antwort der Stadtverwaltung nun für die IG Claustorwall Stellung bezog: "Die Verwaltung hat sich dabei sehr viel Mühe gegeben, alle Fragen möglichst unverfänglich und zum Teil nichtssagend zu beantworten!", stellt Liebau fest und erläutert: "Dass zum Beispiel die Frage nach dem aktuellen Wasserablauf aus dem Frankenberger Teich von der Verwaltung mit dem Hinweis beantwortet wurde, dass der Ablauf 'bei Überschreiten der Einstauhöhe über den Teichablauf in den Regenwasserkanal erfolgt', ist zwar als Tatsachenfeststellung nicht falsch – Fakt ist aber, dass diese Einstauhöhe mit einer Ausnahme im Februar 2020 seit Sommer 2018 nicht mehr erreicht wurde, weil das Wasser vorher durch den undichten Teichdamm verschwindet und dem Gefälle folgend unterirdisch den Claustorwall herabläuft und dort zu den Gebäudeschäden führt." Der Stadtverwaltung seien die Gebäudeschäden bekannt, jedoch wird dies mit dem Hinweis kommentiert, dass die Gebäude auf "bekannt schlechtem Baugrund" errichtet worden seien. Weiter heißt es: "Die Gründe für die Gebäudesetzungen sind im Einzelnen nicht bekannt."
"Sollte die Stadt für diesen unterirdischen Kanal unterhaltungspflichtig sein, wird es ausgesprochen teuer für die Stadt."
Für die Betroffenen seien Antworten "in diesem Stil" laut Liebau wenig hilfreich: "Es geht um Versäumnisse der Verwaltung und damit letztendlich für die Stadt um sehr viel Geld." Das Gutachten sieht den historischen Wallgraben als Hauptverursacher der Gebäudeschäden an der Südseite des Claustorwalles. Die Eigentumsverhältnisse des unterirdischen in zirka fünf Metern Tiefe liegenden Kanals, der am Grunde des ehemaligen Stadtgrabens unter den Häusern des Claustorwalles liegt, müssten laut einer der Forderungen des Gutachtens dringend geklärt werden: "Sollte die Stadt für diesen unterirdischen Kanal unterhaltungspflichtig sein, wird es ausgesprochen teuer für die Stadt. Der Kanal erstreckt sich belegbar ab Höhe Frankenberger Teich über den Claustorwall, den Vititorwall, unter der Rosentorstraße bis unter die Bahnlinie, folgt dann deren Verlauf bis zum Breiten Tor und verläuft dann weiter unter der Kreuzung Okerstraße bis zur Einmündung in die Abzucht im Bereich des ehemaligen Schlachthofes (heutige Goslarer Höfe)", erklärt Liebau dazu.
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Flut und Dürre zerstörten den Damm
Dem Gutachten zufolge gehen die bedenklichen Schäden am Damm des Teiches auf das Hochwasser im Juli 2017 zurück. Der Zulauf sei durch die Wassermassen mit Geröll verstopft worden, sodass nur noch wenig Wasser in den Teich gelangen konnte. Durch die Trockenheit des Jahres 2018 fiel der Teich im Sommer 2018 nahezu vollständig trocken. "Mit dem Austrocknen des Teiches im Juli 2018 trocknete auch der Teichdamm und seine nähere Umgebung aus. Infolgedessen haben Schrumpfungsprozesse im Boden und die damit verbundenen Volumenabnahme zu einer Öffnung und Reaktivierung alter Wasserwegsamkeiten geführt", so das Gutachten. Trotz dass der Zulauf zum Teich und damit die ordnungsgemäße Befüllung wiederhergestellt wurde, erreichte der Teich seinen ursprünglichen Pegel nicht mehr. "Mit Ausnahme von drei bis fünf Tagen Ende Februar 2020 hat seit dem Sommer 2018 kein regulärer Ablauf aus dem Frankenberger Teich mehr stattgefunden", schlussfolgert das Gutachten.
Eigentlich sollte das Wasser aus dem Trüllkebach über das Betonbauwerk (oben links im Teich) wieder abfließen. Stattdessen hat es sich andere Wege gesucht. Foto: Marvin König
Stadt reagierte mit Provisorium auf drohende Gefahr
Als der Zulauf dann im Februar 2020 doch erreicht wurde und das Wasser wieder auf regulärem Wege den Teich verließ, sprudelte jedoch plötzlich Wasser aus einem Wühlmausloch am Fuße des Dammes. Ein Spaziergänger meldete den Vorfall den Ordnungsbehörden. Da hier die Befürchtung bestand, dass der "schadhafte und zwischenzeitlich vollständig durchweichte" Teichdamm brechen könnte, wurde der Teichzulauf mit Bauschaum vollständig verschlossen.
Gutachter wirft Stadt Falschaussage vor
Durch die Verfüllung des Zulaufes sank der Pegelstand bis zum April 2020 erneut auf ein kritisches Niveau. Die SPD-Ratsfraktion stellte hierzu eine Anfrage an die Verwaltung. Das Gutachten erhebt auf Basis der Verwaltungsantwort schwerwiegende Vorwürfe: "Die Verwaltungsantwort suggeriert für den niedrigen Wasserstand als Ursachen 'Trüllke mehrfach trockengefallen', 'Schäden am Zulauf', ohne den tatsächlichen Anlass – Teichzulauf-Absperrung mit Bauschaum wegen befürchtetem Dammbruch nach Wasseraustritt aus dem Dammfuß – zu benennen."
"Eindeutiger Kausalzusammenhang"
Die Recherchen des Gutachters bekräftigen den Verdacht eines "eindeutigen Kausalzusammenhangs" zwischen den neu auftretenden Gebäudeschäden und dem historischen Wallgrabenkanal. "Setzungen an Gebäuden treten in der Regel bereits während der Bauphase auf und klingen häufig, je nach Beschaffenheit des Baugrundes, erst fünf bis sieben Jahre nach Rohbauende allmählich ab. Setzungen und Bewegungen bei bereits lange bestehenden Gebäuden – wie im Bereich Claustorwall – treten nur dann auf, wenn sich die Untergrundverhältnisse infolge von Volumenschwund verändern", konstatiert das Gutachten.
Teils massive Schäden erkennbar
Die Schäden wurden akribisch dokumentiert. So finden sich auf der Nordseite des Claustorwalles (Vom Frankenberger Teich in Richtung Stadt blickend links der Straße) drei Gebäude mit "deutlichen Schäden", und zwei mit "massiven Schäden." Noch deutlich schlimmer sieht es auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus, die direkt über dem Wallgraben errichtet wurde.
Risse wie diese hat das Gutachten unter sehr massiven Schäden aufgeführt. Das Gebäude steht direkt über dem Wallgrabenkanal. Foto: Marvin König
Dort stehen vier Gebäude mit "deutlichen Schäden", eines davon unter Denkmalschutz. Vier weitere Gebäude weisen massive oder sehr massive Schäden auf. Drei davon stehen unter Denkmalschutz. An etlichen weiteren Gebäuden waren weiterhin Feuchteschäden, Setzungsschäden oder Einzelrisse erkennbar. Mindestens zwei Eigentümer mussten infolge wiederholten Wassereintritts sogar eine Pumpe in ihrem Keller installieren.
Stadtverwaltung seit 2019 untätig
Über zwei Millionen Liter Wasser sind auf unbekanntem Wege im Juli 2020 aus dem Frankenberger Teich ausgetreten. Der Damm ist instabil, durchweicht und das Gewässer stagniert und veralgt. Das Gutachten sieht einen eindeutigen Kausalzusammenhang zwischen dem Verlauf des ehemaligen Wallgrabens und den sich verstärkenden Schäden an teils Denkmalgeschützten Gebäuden am Claustorwall. "Die Stadtverwaltung hat seit Mai 2019 Kenntnis von diesen Vorgängen, ist aber seither nicht tätig geworden. Im Februar 2020 kam es nach einer sehr ergiebigenen Niederschlagsperiode zu einem unkontrollierten Wasseraustritt am südwestlichen Dammfuß des Frankenberger Teiches und nur durch Verschließen des Zulaufrohrs mit Bauschaum konnte ein drohender Dammbruch verhindert werden", mahnt der Gutachter abschließend.
Eigentümer drohen mit juristischen Schritten
Die IG Claustorwall fordert auf Basis der Erkenntnisse des Gutachtens von der Stadt eine umgehende fachgerechte Abdichtung und Sanierung des schadhaften Teichdamms und eine Bestandsaufnahme des historischen Wallgrabenkanals zur Klärung von Zustand und Verlauf unter den Privatgrundstücken, sowie eine Klärung der Eigentumsverhältnisse dieses unterirdischen Bauwerks. Weiterhin fordern die Eigentümer die Dokumentation und Beseitigung der durch "Untätigkeit der Stadt trotz bekannter Gefährdungslage" zwischenzeitlich neu entstandenen Gebäudeschäden.
Entsprechende Regressforderungen für die eingetretenen Gebäudeschäden und gegebenenfalls Einleitung juristischer Schritte zur Durchsetzung ihrer Forderungen behalte sich die IG Claustorwall ausdrücklich vor. Sprecher Liebau erklärt abschließend: "Die kommende Ratssitzung am 29. September verspricht ob dieser neuen Faktenlage interessant zu werden." Die aus Sicht der IG Claustorwall dürftig ausgefallene Antwort der Verwaltung auf eine Anfrage der SPD steht für den Dienstag kommender Woche auf der Tagesordnung.
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