Goslar. Der Verkehrsgerichtstag (VGT) und Goslar sind seit 61 Jahren untrennbar verbunden – „ein Tandem“, so sein Präsident Prof. Dr. Ansgar Staudinger. So bekannt, wie der VGT in Expertenkreisen auch ist, – was stellen sich aber junge Leute darunter vor? Eine erste Veranstaltung des 61. Verkehrsgerichtstages richtete sich deshalb gleich zum Veranstaltungsbeginn an die junge Generation, berichtet die Stadt Goslar am heutigen Donnerstag.
Prof. Staudingers Idee: die Goslarer Jugend über das alljährliche Event zu informieren und ihnen die Inhalte näher zu bringen. Im Christian-von-Dohm-Gymnasium begrüßte dazu zunächst Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner die Jahrgangsstufen 12 und 13 in der Aula. Denn eines haben die Schülerinnen und Schüler mit der Oberbürgermeisterin mindestens gemeinsam, wie sie sagte: „Auch ich habe hier – genau wie mein mittlerweile erwachsener Sohn - mein Abitur gemacht. Schwerdtner, die sich auf „interessante 90 Minuten“ freute, übergab gleich an Prof. Dr. Ansgar Staudinger, der über seinen Werdegang und die Themen des Verkehrstages anhand anschaulich untermalter Beispiele referierte. Auch die Schülerinnen und Schüler konnten Fragen stellen, die aktiv diskutiert wurden.
Junge Generation gewinnen
Den Bogen zu seinem Ansinnen, jungen Menschen den VGT näher zu bringen, schlug er gleich von sich selbst: „Früher waren die Präsidenten eher im Rentenalter und darüber.“ Prof. Staudinger, der bereits mit 34 Jahren seine Professur erhalten hatte, ist gerade erst 54 Jahre alt und „schon seit ein paar Jahren“ der Präsident. Mit vielen Anekdoten gespickt, referierte er über die Themen des Verkehrsgerichtstages und das Drumherum. Gerne wollte er zunächst erklären, warum gerade über 1.500 Menschen in die Heimatstadt der Anwesenden „einfallen“: Die Veranstaltungsthemen interessieren und sind „Denkanstöße“ für den Gesetzgeber. Ein Rückblick auf die letzten zehn Jahre – quasi als Qualitätskontrolle – habe ergeben, dass die jährliche Veranstaltung keine „Quasselbude“ ist, sondern der Gesetzgeber an vielen Stellen die Vorschläge des Verkehrsgerichtstages aufgegriffen hat.
Das richtige Thema finden
Die Themenfindung ist dabei immer ein einjähriger Prozess. Mit Fingerspitzengefühl müsse herausgefunden werden, was wohl im nächsten Jahr von Interesse sein könne. Dieses Jahr hat der Verkehrsgerichtstag acht Arbeitskreise: Neben Haftungsthemen – für Halter bei Verkehrsverstößen, Schadenshöhe bei Reparaturkosten und dem künftigen autonomen Fahren mittels künstlicher Intelligenz – ging es auch um die Datensammlung durch moderne Kraftfahrzeuge und ihre weitere Verwendung. Eine vielleicht besonders spannende Frage für den Personenkreis potenzieller E-Scooter-Nutzer: Welche Promillegrenzen gelten hier – gerade, wenn das moderne Fahrzeug als Ersatz zum Auto für die nächtliche Heimfahrt nach der Party genutzt wird oder noch gar kein Führerscheinbesitz vorliegt. Die Antwort erstaunte die meisten: Es gelten dieselben Promillegrenzen, wie für das Auto.
Ein weiteres spannendes Thema – hier konnte der Referent auf das familiäre Umfeld seiner Zuhörenden zurückgreifen – war die Fahrtüchtigkeit der Großelterngeneration. Anschaulich analysierte Prof. Staudinger dazu auch die einzuhaltende Schweigepflicht der behandelnden Ärzteschaft und verdeutlichte darüber hinaus einen gravierenden Unterschied zwischen des Deutschen liebsten Kindes – dem Auto – und dem Menschen: „Das Auto geht routinemäßig zum TÜV – der Mensch nicht.“ In seiner karikierten Geschichte fahren dann beispielhaft über 80-jährige Menschen in ihrem alten Daimler 190 durch die Gegend. Gesundheitlich sind sie in der Erzählung nicht mehr zum Schulterblick in der Lage, halten, neusprachlich ausgedrückt, die „fingers crossed“ – in der Hoffnung, dass schon nichts passiert. Falls doch, und damit war Staudinger wieder bei den Fakten, geht es vom Materialschaden bis zum Personenschaden. Die Höhe des Schadensanspruchs variiert – ist beim Personenschaden gegebenenfalls sogar abhängig von der Einordnung in das Bildungs- und Gehaltsgefüge des familiären Umfelds. Nur beim Autoschaden gibt es aktuell eine festgeschriebene Grenze: Maximal 130 Prozent des realen Wiederbeschaffungswertes. Ob das noch zeitgemäß ist, bespricht unter anderem der größte Arbeitskreis der dreitägigen Veranstaltung.
Wer überhaupt am Verkehrsgerichtstag teilnimmt
Neben Juristen auch medizinisches Personal, Sachverständige, aber auch Versicherungsgesellschaften, die Bandbreite ist weit gefächert. Den größten Zulauf in den Arbeitskreisen gibt es bei dem zuletzt genannten monetären Thema. Mit 500 Personen ist hier die Maximalgrenze erreicht. Für die Schülerinnen und Schüler waren indes nachhaltige Themen in der Diskussion weit vorne: Zwar zeigten sie Verständnis für die beschriebene Besorgnis bei Autofahrten alter Menschen. Aber eine ihrer wichtigsten Fragen lautete: „Wie soll sich der Personenkreis fortbewegen, wenn der öffentliche Nahverkehr nicht ausreichend ausgebaut ist?“ Auch das Thema Gleichbehandlung war ihnen wichtig. „Warum sollen sich nur ältere Menschen einer Fahrtüchtigkeitsprüfung unterziehen? Sollen doch alle regelmäßig untersucht werden. Jüngere in größeren Abständen und ältere engmaschiger“, gaben sie Prof. Dr. Ansgar Staudinger mit auf den Weg.
Der Verkehrsgerichtstag findet an unterschiedlichen lokalen Orten zum 61. Mal in Goslar statt. An drei Tagen diskutieren insgesamt 1.600 Teilnehmende in acht Arbeitskreisen zu unterschiedlichen Themen. Die Abstimmungsergebnisse werden dann an die Gesetzgebung als Empfehlung weitergegeben.
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