Wolfenbüttel. Die Grünen im Wolfenbütteler Stadtrat fordern in ihrem Wahlprogramm 2021 "die Verlängerung der Stadtbahn von BS-Stöckheim nach Wolfenbüttel [zu] prüfen", wobei ein konkreter Plan hingegen fehlt. Wie also stellen sich die Grünen eine solche Straßenbahn vor? Was ist die Motivation für diesen Vorschlag und wie würde sie verlaufen? Ist so eine Verlängerung überhaupt möglich und welche Schwierigkeiten könnten auftreten? Wir haben nachgefragt, bei der Fraktionsvorsitzenden der Grünen Ulrike Krause.
regionalHeute.de: "Frau Krause, warum soll die Straßenbahn verlängert werden?"
Ulrike Krause: "Es gibt viele Vorschläge, die in diese Richtung gehen, wie etwa im "Konzept 2030" des Regionalverbands Großraum Braunschweig, in dem angedacht ist, die Linie 1 von Stöckheim fortzuführen Richtung Wolfenbüttel, um möglichst viel an die Linie anzubinden. Es gab auch mal die Idee, Salzgitter-Thiede mit anzubinden. Da gibt es durchaus verschiedene Ideen. Braunschweig und Wolfenbüttel sind zudem historisch stark miteinander verwurzelt, sodass damals auch eine Verbindung mit dem ÖPNV hergestellt werden sollte. Die Linie führte durch die Fußgängerzone und zum Bahnhof.
Jetzt im Hinblick auf die Verkehrswende und den Ausbau des ÖPNV und die Vernetzung bietet sich diese Idee gerade zu an. Außerdem: Wenn die Straßenbahn schon bis nach Stöckheim fährt, ist es ohne hin nur noch ein kurzes Stück. Damit entsteht, neben den Busverbindungen und der Regionalbahn, eine weitere Verbindung zwischen Innenstadt und Innenstadt sowie zwischen Hauptbahnhof und Hauptbahnhof. Das ist ein gutes Konzept; ein guter Gedanke. Darüber hinaus arbeiten viele Bürgerinnen und Bürger in Braunschweig und Wolfsburg. Wenn schnelle und viele Verbindungen im Gesamtkonzept integriert werden, dann fällt es dem ein oder anderen sicher leichter, auf das Auto zu verzichten. Der Ausbau des ÖPNV, zusammen mit der Ausweitung von Radwegen, ergibt weniger motorisierten Individualverkehr und erhöht die Aufenthaltsqualität in Innenstädten."
regionalHeute.de: "Wo soll diese Linie lang führen?"
Ulrike Krause: "Da gibt es mehrere denkbare Möglichkeiten. Ich könnte mir die direkte Verbindung von Stöckheim über den Neuen Weg vorstellen, die irgendwie am Kreisel vorbei in die Breite Herzogstraße einbiegt. Es muss aber ein Endpunkt oder eine Schleife gefunden werden und da scheitert es zum Beispiel an der Komissstraße, die viel zu eng ist. Da würde es nicht gehen. Vielleicht wäre ein Verlauf am Harztorwall eine Möglichkeit. Allerdings haben die Straßenbahnen von heute andere Anforderung, weswegen es nicht einfach umzusetzen wäre, sie durch die Innenstadt zu führen. Es müssen aber Verknüpfungen zu anderen öffentlichen Verkehrsmittel gefunden werden."
regionalHeute.de: "Welche Baumaßnahmen wären dafür nötig?"
Ulrike Krause: "Straßenbahnschienen mit Bett bedeuten eine Verkleinerung der vorhandenen Fahrbahn, außer man denkt es ganz neu oder anders. Dann müsste man außen herumfahren und das wäre nicht sinnvoll: Man möchte so viele Gäste wie möglich aufsammeln. Also geht es nur, wenn man vorhandene Flächen dem Verkehr wegnimmt und Ein- sowie Ausstiegsmöglichkeiten schafft."
regionalHeute.de: "Wie würde man über die Autobahn gelangen?"
Ulrike Krause: "Das war auch beim Radschnellweg ein Problem. Es gibt ja die Untertunnelung für Radfahrer. Ich könnte mir denken - ich weiß nicht, ob das möglich ist - die Straßenbahn unter der Autobahn zu führen. Das wäre doch sehr umfangreich, weil auch Fragen der Entwässerung und auch die Stabilität der Autobahn daran hängen. Ebenso eine Brücke, wie zwischen dem Heidberg und Melverode, wäre denkbar. Es wäre auf jeden Fall ein Großprojekt."
regionalHeute.de: "Wäre eine Führung links des Lechlumer Holzes für Sie denkbar, also zwischen dem Wald und den Häusern, wo heute ein Feldweg verläuft?"
Ulrike Krause: "Das ist die Strecke des Radschnellweges. Das könnte man sich jedoch auch überlegen, aber es bleibt die Frage, wie man dann in den Neuen Weg kommt. Den Alten Weg sehe ich nicht als mögliche Route für die Straßenbahnlinie. Außerdem würde da viel Wald zum Opfer fallen. Also ich würde keine neuen Trassen schlagen, sondern so viel möglich bereits vorhandene Verkehrsfläche nutzen und keine Natur opfern. Je besser und günstiger die Anbindungen sind, desto weniger Individualverkehr ist vorhanden. So kann ich auch Raum dafür wegnehmen und stattdessen für den ÖPNV nutzen. Wenn ich an das Sternhaus und den Neuen Weg denke, wo die Bahn früher verlief, da waren andere Voraussetzungen und Vorgaben. Heute muss etwa das Ein- und Aussteigen gefahrlos funktionieren. Als Braunschweigerin kenne ich das noch, dass das an manchen Stellen mitten auf der Fahrbahn geschah. Auch die Anforderung an das Gleisbett sind heute andere."
regionalHeute.de: "Was kann von der alten Strecke genutzt werden? Gibt es nach mehr als 60 Jahren etwas, was nutzbar ist?"
Ulrike Krause: "Das Wichtigste ist, dass man die Idee nutzt. Dieser Gedanke, die beiden Städte miteinander zu verbinden, die historisch miteinander verwurzelt sind. Von der alten Strecke ist kaum etwas geblieben und wäre für die modernen Ansprüche nicht nutzbar. Was geblieben ist, sind die "Haken" an den Häusern, die für die Oberleitung genutzt worden."
regionalHeute.de: "Wer soll die Kosten für den Bau tragen?"
Ulrike Krause: "Es gibt für den Regionalverband, sofern ich das richtig in Erinnerung habe, dieses Förderprogramm in Höhe von 14 Millionen Euro, bei dem angedacht ist, dass viele Städte mitmachen. Ich gehe davon aus, dass das Projekt nicht kostenlos wird, aber ein Teil davon finanziert werden könnte und die beteiligten Kommunen ihren Teil dazu beitragen."
regionalHeute.de: "In Japan führen die Infrastrukturen der Bahn dazu, dass sich die teuersten Wohnungen in der Nähe von Bahnhöfen befinden. Wenn diese Bahn kommt, würde sich diese auf die Immobilienpreise auswirken, wo es ohne hin viel Leerstand gibt?"
Ulrike Krause: "Eine Verbindung zum ÖPNV gilt als Standortvorteil für den Einzelhandel, für die Gastronomie sowie für Kultureinrichtungen und Anwohner. Bei der Konzipierung des Stadtbusses war die Entfernung einer Haltestelle auch eine Frage und es ist immer ein Vorteil, wenn in der Nähe eine Verbindung zum ÖPNV besteht. Von daher hat das einen Einfluss auf die Attraktivität einer Immobilie. Die Straßenbahn bringt auch immer etwas mit sich wie Geräusche und Menschenansammlungen, aber das gehört dazu. Ich glaube jedoch nicht, dass sich das negativ auf den Wert von Immobilien auswirkt, sondern, dass sie teurer werden. Für die Innenstadt, aber insbesondere für den Einzelhandel wäre die Anbindung ein Plus. Ich bin in Braunschweig am Bohlweg aufgewachsen und für mich war das immer ein Plus, einfach mit der Straßenbahn und dem Bus fahren zu können. Von daher ist das eine Bereicherung und definitiv nichts Negatives."
"Das Auto, auch die Elektromobilität, sind keine Alternativen"
regionalHeute.de: "Was wäre die Alternative, sollte das Projekt scheitern?"
Ulrike Krause: "Wir Grüne sehen die Minimalisierung des Individualverkehrs durch den Ausbau des ÖPNV als alternativlos, um die Verkehrswende zu schaffen und umzusetzen. Da muss man dranbleiben, damit es umgesetzt wird. Vielen Metropolen, wie Berlin, haben ein gutes und nutzerfreundliches ÖPNV-Netz. Es ist faszinierend, wie schnell ich da von A nach B komme. Das ist attraktiv und so sollten wir das auch hier gestalten. Das Auto, auch die Elektromobilität, sind keine Alternativen. Denn ein Auto bleibt ein Auto: Es nimmt den Menschen viel Platz und Aufenthaltsqualität weg. Wer mag schon das Ambiente eines belegten Parkplatzes oder der parkenden Autoreihe neben sich, wenn er im Café sitzt? Es wäre schöner, wenn dort weniger stehen würde."
regionalHeute.de: "Und einen konkreten Plan als Ersatz für das Projekt?"
Ulrike Krause: "Wenn die Stadtbahn nicht kommt, sind weitere Busverbindungen denkbar, wie etwa eine direkte Busverbindung zwischen Wolfenbüttel und dem Arbeitsplatz in Wolfsburg. Allerdings wäre es erfolgreicher, wenn die Bahn umgesetzt wird, da das Fahren mit der Straßenbahn als angenehmer empfunden wird als das Busfahren."
regionalHeute.de: "Wäre eine stadtinterne Straßenbahn in Wolfenbüttel denkbar?"
Ulrike Krause: "Ich denke, dass die Stadt dafür nicht ausgelegt ist; sie ist zu "historisch". Das ist ein Vorteil, aber für die moderne Verkehrsführung ein Nachteil. Wir haben viele enge Straßen, wodurch es erhebliche Einschränkungen gebe. Man könnte jedoch in den Landkreis hinein alte Bahnstrecken reaktivieren. Da gibt es auch einige Vorschläge, die man weiterverfolgen kann. Es geht auch immer darum, Ressourcen zu schonen und somit weniger neu bauen zu müssen."
Die alte Straßenbahn fuhr noch bis 1954 durch Wolfenbüttel, von deren Infrastruktur heute noch einige Überbleibsel im Stadtbild zu sehen sind. Im Rahmen der Perspektive Innenstadt wurde zudem vorgeschlagen, zu Ehren des 125. Jubiläums der alten Straßenbahn eine Veranstaltung stattfinden zu lassen (regionalHeute.de berichtete).
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