"Keine Corona-Diktatur": Politiker widersprechen kruder Kritik an neuem Gesetz

Linke, CDU und SPD waren heute im Bundestag nicht immer einer Meinung - Vergleiche mit dem "Ermächtigungsgesetz" aus der NS-Zeit gingen aber zu weit.

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(Symbolbild) | Foto: Rudolf Karliczek

Berlin. Das dritte Bevölkerungsschutzgesetz mit weitreichenden Änderungen auch im Infektionsschutz wurde am heutigen Mittwoch durch Bundestag und Bundesrat gebracht (regionalHeute.de berichtete). Dazu erreichten unsere Online-Zeitung bislang drei Stellungnahmen aus den Bundestagsfraktionen der CDU der SPD und der Linken, die geschlossen gegen die Änderungen stimmte. Auch bei politischen Differenzen eint sie alle der Widerspruch gegen Vorwürfe von scharfen Kritikern, welche die Gesetzesnovelle im Vorfeld teils mit dem Handeln einer Diktatur verglichen.


Carsten Müller (CDU), Bundestagsabgeordneter aus Braunschweig, begrüßt den heutigen Beschluss des dritten Bevölkerungsschutzgesetzes: "Damit werden die Maßnahmen, die von Bund und Ländern zur Eindämmung von epidemischen Lagen getroffen werden können, konkretisiert." Müller mahnt: "Die Behauptung, dass das Gesetz das Parlament entmündigen und demokratische Rechte aushebeln könnte, weise ich entschieden zurück". Handlungsbedarf sehe der Abgeordnete jedoch bei der Konkretisierung von Entschädigungsbedingungen: "Denn potenziell angeordnete Schutzmaßnahmen können Eingriffe in die Berufsausübung darstellen. Diese Eingriffe sind stets angemessen und gesetzlich verankert zu entschädigen. Hierfür werde ich mich im Rahmen der weiteren Diskussion innerhalb meiner Fraktion einsetzen."

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller. (Archivbild)
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller. (Archivbild) Foto: Sina Rühland



"Die Behauptung, dass das Gesetz das Parlament entmündigen und demokratische Rechte aushebeln könnte, weise ich entschieden zurück"

- Carsten Müller, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Braunschweig



Die Schutzmaßnahmen, die im Gesetz in siebzehn Punkten konkretisiert werden, könne der Bund nur bei Feststellung einer epidemischen Lage durch den Deutschen Bundestag erlassen. Der Bundestag habe somit zu jeder Zeit die Möglichkeit, die Feststellung der epidemischen Lage wieder aufzuheben. "Das Parlament behält damit stets die volle und souveräne Kontrolle über die Möglichkeit des Bundes, per Rechtsverordnung Schutzmaßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie zu erlassen. Es werden, auch das ist ein dieser Tage weit verbreiteter Irrglaube, keinesfalls dauerhaft Befugnisse auf die Bundesregierung übertragen. Die in diesem Zusammenhang angestellten kruden und abstoßenden Vergleiche mit der NS-Diktatur oder dem DDR-Unrechtsstaat halte ich daher für absolut unangebracht", stellt Müller klar.

Eine epidemische Lage nationaler Tragweite komme zudem nur in Betracht, wenn es sich um eine bedrohliche übertragbare Krankheit handelt, die von der Weltgesundheitsorganisation als solche ausgerufen wurde. "Ein einfacher Schnupfen, auch das ist ein Irrglaube, erfüllt diese Voraussetzungen keinesfalls und führt damit auch nicht zur Feststellung einer epidemischen Lage", schlussfolgert der CDU-Politiker.

"Die Parlamente müssen regelmäßig unterrichtet werden"


Der SPD-Bundestagsabgeordnete Falko Mohrs aus dem Wahlkreis Helmstedt/Wolfsburg. (Archivbild)
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Falko Mohrs aus dem Wahlkreis Helmstedt/Wolfsburg. (Archivbild) Foto: Anke Donner



"Bei allen 17 möglichen grundrechteeinschränkenden Maßnahmen, die das Gesetz aufzählt, wird der Gesetzgeber zu einer strikten Wahrung der Verhältnismäßigkeit gezwungen.

- Falko Mohrs (SPD), Bundestagsabgeordneter für Wolfsburg/Helmstedt



Der Bundestagsabgeordnete Falko Mohrs (SPD) aus dem Wahlkreis Wolfsburg/Helmstedt sieht mit dem neuen Gesetz sogar einen effektiveren Grundrechtsschutz, als es ihn bislang gegeben hat: "Bisher gab es nur eine Generalklausel - also eine pauschale Regelung, diese differenzieren wir mit dieser Neufassung des Gesetzes und regeln die Voraussetzungen dafür klarer. Dabei müssen jetzt auch soziale und wirtschaftliche Folgen stärker berücksichtigt werden. Alle Maßnahmen müssen auf maximal vier Wochen begrenzt werden, dann sind neue Entscheidungen notwendig und die Parlamente müssen regelmäßig unterrichtet werden", erklärt Mohrs und fährt fort: "Bei allen 17 möglichen grundrechteeinschränkenden Maßnahmen, die das Gesetz aufzählt, wird der Gesetzgeber zu einer strikten Wahrung der Verhältnismäßigkeit gezwungen. Alle Verordnungen müssen begründet werden. Ich sehe also in dem überarbeiteten und heute verabschiedeten Gesetz eine Verbesserung und habe entsprechend zugestimmt."

"Die sozialen Härten nehmen zu"


Der Linken-Bundestagsabgeordnete Victor Perli
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Victor Perli Foto: Alexander Dontscheff



"An die Bevölkerung wurde viel appelliert, aber die eigene Aufgaben wurden nicht erledigt."

- Victor Perli, Linken-Bundestagsabgeordneter aus Wolfenbüttel



Andere Töne schlägt hingegen der Wolfenbütteler Bundestagsabgeordnete Victor Perli (Die Linke) an, der mit seiner Fraktion gegen das Gesetz stimmte: "Wir kritisieren, dass die Parlamente bei der Pandemiebekämpfung nicht im Zentrum der Debatten und Entscheidungen stehen. Jeder Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte muss vom Parlament debattiert, entschieden und kontrolliert werden. Das ist ein demokratischer Grundsatz, der verteidigt werden muss." Die Bevölkerung habe ein Recht darauf, dass öffentlich um bestmögliche Entscheidungen gerungen werde, meint Perli und fügt hinzu: "Stattdessen haben wir immer noch eine Bund-Länder-Runde, die hinter den Kulissen Entscheidungen vorbereitet, die von Öffentlichkeit und Parlamenten de facto nur kommentiert werden können."

Perli habe kein Verständnis dafür, wie "schlecht vorbereitet Bund und Länder in die zweite Corona-Welle geschlittert sind." Es sei zu viel appelliert und zu wenig getan worden. "Die Bundesregierung hätte dafür sorgen müssen, dass keine Pflegekraft länger auf einen Schnelltest warten muss als ein Bundesliga-Profi. Alle Kultureinrichtungen sind zu, aber verkaufsoffene Sonntage sind erlaubt. Das ist doch gaga!", kritisiert der Linken-Politiker. Seine Fraktion fordere deshalb, dass alle Maßnahmen der Pandemiebekämpfung regelmäßig auf ihre Verhältnismäßigkeit und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft geprüft werden. "Die sozialen Härten nehmen zu. Es ist nicht akzeptabel, dass etwa Pflegekräfte, Solo-Selbständige, Gastronomen, Kulturschaffende, Ausbildungsplatzsuchende, SchülerInnen und Studierende die Kosten für diese Krise zahlen. Das werden wir nicht akzeptieren. Das Infektionsschutzgesetz ist aber kein "Ermächtigungsgesetz", es wird keine Impfpflicht eingeführt, das Grundgesetz wird nicht abgeschafft und es gibt auch keine "Corona-Diktatur". Solch eine Kritik ist nicht nur voll neben der Spur, sie verhöhnt auch die Opfer von Diktaturen, die gefoltert und ermordet wurden", stellt der Parlamentarier abschließend klar.

Mohrs dankt der Polizei


Der SPD-Abgeordnete Falko Mohrs dankte im Hinblick auf die Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen in Berlin der Polizei. "Es gehört zur Demokratie und ist wichtig, dass Menschen ihre Meinung äußern und auch demonstrieren können", stellt der Politiker fest. "Aber auch dabei muss man sich an Abstands- und Masken-Regeln halten. Dicht gedrängte Menschenmassen sind aus meiner Überzeugung nicht verantwortbar", so Mohrs weiter.

"Das Reichstagsgebäude stürmt man nicht - man wird hineingewählt."

- Falko Mohrs (SPD), Bundestagsabgeordneter für Wolfsburg/Helmstedt



Da sich an die Vorgaben über Stunden nicht gehalten worden sei, musste die Demonstration aufgelöst werden. Mohrs berichtet: "Auch wurde sich geweigert, die Anweisungen der Polizei zu befolgen und einige Demonstranten haben Gewalt angewendet. Darauf musste die Polizei reagieren. Den Beamtinnen und Beamten gilt mein ganz großer Dank, denn sie haben heute sichergestellt, dass das Parlament seine Arbeit machen kann." Mohrs stellt fest: "Schlimm genug, dass sie das tun muss, aber das Reichstagsgebäude stürmt man nicht - man wird hineingewählt."


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