Politik diskutiert den Lockdown - Das sagen die regionalen Abgeordneten

Alle Parlamentarier sind sich einig, dass die beschlossenen Hilfen für Unternehmen und Soloselbstständige unbürokratisch erfolgen müssen. Vereinzelt wurden auch Zweifel an der Gewichtung der Maßnahmen laut.

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Wie leergefegt - Solche Bilder der Innenstädte könnten in der Region ab Montag wieder Alltag werden. (Archivbild)
Wie leergefegt - Solche Bilder der Innenstädte könnten in der Region ab Montag wieder Alltag werden. (Archivbild) | Foto: Julia Seidel

Region. "Das ist kein Alarmismus, das ist die nüchterne Konsequenz aus harten Zahlen", so Ministerpräsident Stephan Weil in seiner Regierungserklärung zur Sondersitzung im Niedersächsischen Landtag am heutigen Freitag. regionalHeute.de hat die regionalen Abgeordneten nach Ihrer Meinung zur heutigen Debatte befragt. Es herrscht große Einigkeit über die Notwendigkeit der Maßnahmen, aber auch großer Dissenz darüber, dass sie die Richtigen treffen. Auch die angekündigten Finanzhilfen für betroffene Unternehmen und Solo-Selbstständige standen zur Debatte.


Die Corona-Infektionszahlen sind in den letzten Wochen drastisch angestiegen, während gleichzeitig auch die Belegungszahlen auf den Intensivstationen der Krankenhäuser zugenommen hat. "Es war also unumgänglich, dass ein weiteres Maßnahmenpaket folgen muss, um die Pandemie einzudämmen", berichtet uns Immacolata Glosemeyer, SPD-Landtagsagbeordnete aus Wolfsburg. "Wir müssen uns vor Augen führen, dass die meisten Infektionen im Privaten geschehen – und hier kann man nicht genau sagen, wo sich die Menschen anstecken, da es keine eindeutige Datenlage gibt. Deshalb müssen wir jetzt konsequent handeln und unsere Kontakte reduzieren."

Diskussion im Parlament notwendig


Auch der Gifhorner Landtagsabgeordnete Tobias Heilmann (SPD) und seine Wolfenbütteler Kolleginnen und Kollegen Dunja Kreiser und Marcus Bosse meldeten regionalHeute.de zurück, dass sie die beschlossenen Maßnahmen mittragen. Bosse erklärt aber: "Es ist wichtig, dass der Staat und damit auch unsere Landesregierung in solchen Krisensituationen schnell handeln können, auch wenn dies, das sage ich deutlich, keine Dauerlösung sein kann. Für mich ist wichtig, dass künftig zu beschließende Maßnahmen durch eine zuvor geschaltete parlamentarische Beteiligung eine breitere Zustimmung erhalten."

Der SPD-Landtagsabgeordnete Marcus Bosse.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Marcus Bosse. Foto: Archiv



"Ganz ohne Bürokratie wird es jedoch auch diesmal nicht funktionieren, da ansonsten Betrügern Tür und Tor geöffnet wird. Ähnliches konnte man bereits im Frühjahr beobachten."

- Marcus Bosse (SPD), Landtagsabgeordneter aus Wolfenbüttel



Heilmann hebt insbesondere das angekündigte Hilfsprogramm des Bundes hervor, laut dem den betroffenen Unternehmen 75 Prozent des Jahresumsatzes für November erstattet werden sollen. Gerade zu diesem Punkt gab es aber offenbar Gesprächsbedarf, vor allem im Hinblick auf die Überbrückungshilfen aus dem Frühjahr. "Ich habe differenzierte Feedbacks bekommen aus meinem Wahlkreis. Ja, am Anfang war es sehr hakelig. Ich habe in dieser Zeit vielen Unternehmen aus meinem Wahlkreis direkt helfen können. Nach einer gewissen Zeit habe ich mehrheitlich positive Feedbacks erhalten für die schnelle Abwicklung. Da auf bestehende Systeme aufgesetzt werden soll, erhoffe ich mir eine schnelle unbürokratische Hilfe", so Heilmann. Auch Dunja Kreiser verspricht unbürokratische Hilfen: "insbesondere kleinere Unternehmen, Soloselbstständige, Kultur- und Veranstaltungswirtschaft erhalten mit 75 Prozent der Einnahmen aus dem Monat November 2019 oder dem Jahresdurchschnitt eine schnelle Finanzhilfe. Gegenüber dem Frühjahr ein großer Wurf!" Marcus Bosse fügt hinzu: "Ganz ohne Bürokratie wird es jedoch auch diesmal nicht funktionieren, da ansonsten Betrügern Tür und Tor geöffnet wird. Ähnliches konnte man bereits im Frühjahr beobachten."

"Ein Armutszeugnis für die Landesregierung"


Der Fraktionslose AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Wirtz
Der Fraktionslose AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Wirtz Foto: Werner Heise



"Die neuen Maßnahmen werden also zahlreiche Existenzen beenden unter dem Anspruch, Leben retten zu wollen. An diesem Gesamtziel gibt es keinen vernünftigen Zweifel."

- Stefan Wirtz (AfD), Landtagsabgeordneter aus Braunschweig



"Die Landesregierung ist weitgehend ahnungslos, woher die stark steigenden positiven Testergebnisse und die steigende Zahl von Infektionen und Erkrankungen herrührt", so der fraktionslose AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Wirtz aus Braunschweig. Vor diesem Hintergrund erscheine Wirtz der "pauschale" Lockdown der Gastronomie und Hotelerie nicht plausibel: "kaum jemand geht zum Beispiel häufiger zum Friseur oder ins Restaurant, als zum Einkaufen: überall in den Geschäften sind aber doch ausreichende und großenteils identische Maßnahmen getroffen worden." Wirtz hätte sich in dieser Angelegenheit ein weniger pauschalisierendes Vorgehen gewünscht: "Schon die Sperrstunde war juristisch nicht haltbar: ein Armutszeugnis für die Landesregierung." Zweifel hegt der Parlamentarier auch am Sinn und Zweck der Maskenpflicht ab der 5. Klasse: "Die Maskenpflicht und weitere Regeln in Braunschweiger Schulen ab der 5. Klasse sind dann sinnlos, wenn längere Fahrten in überfüllten Schulbusse vor oder nach der Schulzeit diese Vorsorge wieder aufheben würden.

"Aus dem Frühjahr gelernt"


Die Helmstedter CDU-Landtagsabgeordnete Veronika Koch stellt ebenfalls klar, dass sie die getroffenen Entscheidungen vor dem Hintergrund der "dramatischen Infektionsentwicklung" unterstütze.

"Mein Eindruck ist, dass aus den Fehlern vom Frühjahr gelernt wurde. Die neue außerordentliche Wirtschaftshilfe des Bundes wird als einmalige Kostenpauschale ausbezahlt, um rasch und unbürokratisch helfen zu können."

- Veronika Koch, CDU-Landtagsabgeordnete aus Helmstedt



Zur Frage, ob die angekündigten Wirtschaftshilfen ähnlich problematisch werden wie die häufig als bürokratisch empfundene Überbrückungshilfe im Frühjahr erklärt sie: "Man darf nicht vergessen, in welchem kurzen Zeitraum die Rechtsgrundlagen und dementsprechend die technischen Voraussetzungen geschaffen wurden – unter normalen Umständen hätten die Verfahren um Vielfaches länger gedauert." Ihr Eindruck sei jedoch, dass man aus den Fehlern des Frühjahres gelernt habe: "Die neue außerordentliche Wirtschaftshilfe des Bundes wird als einmalige Kostenpauschale ausbezahlt, um rasch und unbürokratisch helfen zu können." Koch sei zuversichtlich, dass sich die Nutzung der bundeseinheitlichen IT-Plattform der Überbrückungshilfe weiter bewähren wird. "Und ich biete an: da, wo es dennoch knatscht, hake ich gerne nach", so Koch abschließend.

Konsequenteres Handeln gegen Verstöße


Der Wolfenbütteler Landtagsabgeordnete Frank Oesterhelweg.
Der Wolfenbütteler Landtagsabgeordnete Frank Oesterhelweg. Foto: Alexander Dontscheff



"Generell würde ich mir konsequenteres Handeln gegen diejenigen wünschen, die sich nicht an die gängigen Regeln (...) halten und somit letztendlich dafür verantwortlich sind, dass sich nun die Lage wieder verschärft."

- Frank Oesterhelweg, CDU-Landtagsabgeordneter aus Wolfenbüttel



Der Wolfenbütteler CDU-Landtagsabgeordnete und Landtagsvizepräsident Frank Oesterhelweg halte die Maßnahmen seiner persönlichen Ansicht nach "überwiegend" für sinvoll und notwendig. "Einige Dinge sind allerdings wieder nicht eindeutig und klar geregelt. Wer mit offenen Augen unterwegs ist, der kann sich das anschauen." Oesterhelweg fährt fort: "Andererseits ist mir beispielsweise die Schließung der Gastronomie und kultureller Einrichtungen zu pauschal, da sehr viele Betriebe die Anforderungen in hervorragende Weise umgesetzt haben - mir wird hier zu wenig differenziert."

Angesprochen auf die Skepsis gegenüber der angekündigten Finanzhilfen antwortet der Abgeordnete: "Ich gehe davon aus, dass die zuständigen Stellen aus Fehlern und Erfahrungen generell gelernt haben. Im kurzen Telefonat mit Minister Dr. Althusmann war ich mir mit ihm einig, dass das schnell und ohne allzu großen bürokratischen Aufwand gehen muss. Ich selbst werde das genau beobachten und bitte um Hinweise, wenn das nicht vernünftig funktioniert."

"Die zweite Welle brechen"


"Ohne strikte Maßnahmen kann es nicht gelingen die zweite Welle zu brechen", meint die SPD-Landtagsabgeordnete Annette Schütze aus Braunschweig. "Alle nicht dringend notwendigen sozialen Kontakte müssen deshalb für eine begrenzte Zeit heruntergefahren werden. Dazu gehören insbesondere Freizeitaktivitäten. Nur so kann eine Schließung von Kindergärten und Schulen und damit einhergehend eine vollständige Lähmung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens verhindert werden", so die Abgeordnete. Als jugendpolitische Sprecherin sei ihr besonders wichtig gewesen, dass Kindergärten und Schulen möglichst geöffnet bleiben. 

"Als Abgeordnete haben wir zahlreiche Möglichkeiten, die Landesministerien auf Missstände hinzuweisen. Das heißt aber leider nicht, dass wir alle auch beheben können."

- Annette Schütze, SPD-Landtagsabgeordnete aus Braunschweig.



Die beschlossenen Finanzhilfen bezeichnet Schütze als "beispiellosen Schritt." Auch sie geht davon aus, dass man hinsichtlich dieser Hilfen aus den vergangenen Monaten gelernt habe und eine "unbürokratische" Leistungsgewährung möglich sei. Sie bietet an, betroffenen nötigenfalls auch zu helfen: "Als Abgeordnete haben wir zahlreiche Möglichkeiten, die Landesministerien auf Missstände hinzuweisen. Das heißt aber leider nicht, dass wir alle auch beheben können. Dieses liegt unter anderem auch daran, dass es sich um Bundesgesetze handelt. Zudem würde ich mir auch eine umfassende Landeshilfe für Soloselbstständige aus der Kulturbranche wünschen, die aber leider nicht mit dem Koalitionspartner zu verhandeln war."

"Es ist wichtig, sozialen Härten zu begegnen"


Die regionale Grünen-Landtagsabgeordnete Julia Willie Hamburg gehörte in der heutigen Plenarsitzung zu den großen Kritikerinnen der geplanten Finanzhilfe: "Angesichts des drohenden Teil-Lockdowns ist es wichtig, den damit einhergehenden sozialen Härten zu begegnen. So müssen die Entschädigungshilfen für die betroffenen Bereiche wirklich unbürokratisch zur Verfügung stehen und müssen auch an Künstlerinnen und Künstler gezahlt werden, die etwa im November kein Einkommen hatten, weil sie ihre Aufträge im Sommer hatten", fordert die Abgeordnete. Die Grünen fordern daher die Einrichtung eines Pandemierates, um die Maßnahmen künftig so zu gestalten, dass sie "mit der Realität zusammenpassen" und Hilfen auch wirklich bei den Betroffenen ankommen.

Die Landtagsabgeordnete Julia Willie Hamburg.
Die Landtagsabgeordnete Julia Willie Hamburg. Foto: Frederick Becker



"Es braucht für die Kulturschaffenden und andere Soloselbstständige endlich auch eine dauerhafte Absicherung über den November hinaus – sie werden noch lange betroffen sein."

- Julia Willie Hamburg, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag



"Leider", so Hamburg, "konnte das Parlament die Entscheidungen nicht selbst beeinflussen, sondern heute nur über die bereits fertige Verordnung diskutieren. Wir fordern, dass sich das ändert. Das Parlament ist die gewählte Vertretung der Menschen in Niedersachsen und es ist wichtig, dass die vielen Hinweise und Probleme, die wir als Abgeordnete erhalten, auch in die Gestaltung der Verordnung mit einfließen lassen und Maßnahmen stärker vorab diskutieren können. Das ist für die Akzeptanz entscheidend."


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