Region. Die Praxisgebühr – schon einmal eingeführt, gescheitert und abgeschafft – könnte wiederkommen. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) bestätigte, dass die von ihr eingesetzte Expertenkommission zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auch dieses Modell prüfen wird.
Zwischen 2004 und 2012 mussten Patientinnen und Patienten zehn Euro pro Quartal beim Arzt bezahlen. Offiziell sollte das die Zahl unnötiger Termine senken. Geblieben sind Erinnerungen an endlose Diskussionen am Empfang und zusätzlichen Papierkram – bei gleichzeitig fragwürdiger Wirkung. Nun denkt Berlin über eine Neuauflage nach. Bei Ärzten und Krankenkassen stößt die Idee auf entschiedene Ablehnung.
Hausärzte warnen vor neuer Bürokratie
Für Dr. med. Ilka Aden, Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Braunschweig, ist das Kapitel längst erledigt: „Wir lehnen die Praxisgebühr 2.0 ab, denn weder das Bundesgesundheitsministerium noch die Krankenkassen zahlen die Verwaltungstätigkeit.“ Schon damals habe die Regelung die Praxisteams massiv belastet – und kaum Einfluss auf das Verhalten der Patienten gehabt.
Die Ärztin warnt zugleich vor sozialen Folgen: „Besonders gefährlich ist eine Praxisgebühr für Menschen mit geringem Einkommen und für Patientinnen und Patienten mit psychischen Erkrankungen. Schon der Weg in die Praxis ist für viele eine enorme Hürde – zusätzliche finanzielle Belastungen könnten dazu führen, dass notwendige Behandlungen nicht mehr in Anspruch genommen werden.“
Anstatt über neue Gebühren zu sprechen, verweist Aden auf bereits vorhandene Stellschrauben. „Würde der Koalitionsvertrag konsequent umgesetzt – also der Grundsatz, dass Patientinnen und Patienten zunächst den Hausarzt aufsuchen und nicht gleichzeitig mehrere Ärzte wegen desselben Problems konsultieren –, könnte das eine große Entlastung bringen. Ebenso würde der Abbau von Bürokratie, für die wir aktuell rund 60 Arbeitstage im Jahr aufwenden, mehr Zeit für die eigentliche Behandlung der Patientinnen und Patienten schaffen.“
AOK: „Keine Steuerungswirkung“
Auch die AOK Niedersachsen, mit rund 2,4 Millionen Versicherten die größte Krankenkasse des Landes, hält von einer Wiederbelebung nichts. Vorstandsvorsitzender Dr. Jürgen Peter fällt ein eindeutiges Urteil: „Die alte Praxisgebühr hat nicht die gewünschte Steuerungswirkung gebracht und war mit großem bürokratischem Verwaltungsaufwand für Praxen verbunden. Diese zusätzlichen Belastungen würden auch bei einer Neuauflage in Form einer Kontaktgebühr drohen und damit auch das Ziel der Koalition zur Entbürokratisierung konterkarieren.“
Peter setzt stattdessen auf eine Neuordnung der Versorgung: „Wir teilen die Einschätzung der Arbeitgeberverbände, dass eine bessere Steuerung der Versorgung notwendig ist. Das geht aus unserer Sicht allerdings besser mit einem Primärarztmodell, in dem die Hausarztpraxis eine Lotsenfunktion übernimmt, unter anderem für Facharzttermine. Zudem brauchen wir eine fundierte Ersteinschätzung und eine Reform der Notfallversorgung.“
Milliardenfrage für die Zukunft
Die finanzielle Schieflage der gesetzlichen Krankenkassen ist unbestritten. Ab 2027 rechnen Experten mit Defiziten im zweistelligen Milliardenbereich. Für Peter ist klar, dass die Lösung nicht bei den Versicherten gesucht werden darf: „Zur Stabilisierung der Finanzen müsste der Bund auf der Einnahmeseite endlich Verantwortung für die versicherungsfremden Leistungen übernehmen. Damit dürfen die Beitragszahlenden nicht belastet werden.“
Nach seinen Berechnungen lasten allein die Behandlungskosten für Bürgergeldbeziehende mit fast zehn Milliarden Euro jährlich auf den Kassen. Eine Summe, die den Beitragssatz um 0,5 Punkte senken könnte, wenn sie aus Steuermitteln finanziert würde. Weitere Milliarden sieht Peter durch Reformen bei Arzneimitteln und Kliniken erreichbar – von einer reduzierten Mehrwertsteuer über höhere Herstellerrabatte bis hin zu strengeren Rechnungsprüfungen.
Stabilisierung des Systems
Während die Expertenkommission in Berlin noch nach Wegen sucht und erst 2026 konkrete Vorschläge vorlegen soll, ist das Urteil in Braunschweig längst gesprochen. Mehr Bürokratie, keine Steuerung, falsches Signal. Ärzte und Krankenkassen in der Region halten eine neue Praxisgebühr für den falschen Weg – und fordern Reformen, die das System tatsächlich stabilisieren, ohne Patientinnen und Patienten zusätzlich zu belasten.