Salzgitter. Ende Oktober hatten Polizei und Stadt Salzgitter das Konzept "Salzgitter sicher und sauber 2.0" vorgestellt, mit dem nicht zuletzt das Sicherheitsgefühl der Bürger gestärkt werden soll. Doch offenbar wurde beim Erstellen des Konzepts eine Person außen vor gelassen: Gleichstellungsbeauftragte Simone-Jeanine Semmler. Das kritisiert diese in einer Stellungnahme, die dem Ausschuss für Feuerwehr und Öffentliche Ordnung am heutigen Mittwoch zur Kenntnis gegeben wird.
Mit maximalem Befremden stelle Semmler fest, dass ein umfassendes Konzept, das die ganze Stadtgesellschaft betrifft, veröffentlicht worden sei, ohne dass die Rechte und Pflichten einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten zur Mitwirkung beachtet worden seien. Laut Niedersächsischer Kommunalverfassung hätte dies geschehen müssen. Entsprechend seien einige gleichstellungsrelevante Aspekte übersehen worden. Semmler fordert, das Konzept nachzuarbeiten.
"Catcalling nicht ausreichend berücksichtigt"
Die Gleichstellungsbeauftragte sieht vor allem das "Catcalling" nicht ausreichend berücksichtigt. Catcalling bezeichnet sexuell anzügliches Rufen, Reden, Pfeifen oder Gestikulieren gegenüber einer Person in der Öffentlichkeit. Zum einen seien die Ergebnisse des Anti-Catcalling-Projekts des Jugendparlamentes mit dem Gleichstellungsreferat nicht berücksichtigt worden. Belästigungen von Frauen und Mädchen fänden, wie es mit Kreide auf den Wegen aufgemalt zu sehen gewesen sei, in Salzgitter schwerpunktmäßig vom Bahnhof entlang der Albert-Schweitzer-Straße am Rathausvorplatz vorbei, durch beide Teile der Fußgängerzone und dann die Berliner Straße hinauf statt. Weil die sexuell konnotierten Pöbeleien nicht strafbar seien, würden diese Bereiche nicht vollständig in der Polizeistatistik erscheinen, die als Konzeptgrundlage gedient habe.
Daran anschließend kritisiert Simone-Jeanine Semmler, dass bei Belästigungen im öffentlichen Raum (aggressives Betteln, Pöbeln oder ähnlichem) zwar künftig bis zu 400 Euro statt bisher bis zu 200 Euro drohen, Catcalling aber nicht genannt wird. Es sei erstaunlich, dass wenn „Pöbeln“ zukünftig geahndet wird, die Belange der überwiegend jungen Frauen und Mädchen nicht eines weiteren Stichwortes würdig gewesen seien. "Sollte im Konzept unter Pöbeln auch verbale, sexuelle Belästigung, also Catcalling gemeint sein, dann gebietet es die Klarheit, dies mit einem zusätzlichen Wort zu erwähnen", so die Gleichstellungsbeauftragte. Diese Klarheit sei sowohl für die Handlungssicherheit der Kollegen vom Kommunalen Ordnungsdienst nötig, als auch als klares Signal an "sexistische Pöbler".
Belebung von Aufenthaltsräumen
Weitere Kritik bezieht sich auf den Bereich der „Angstraumbeseitigung“. Hier fehlten konzeptionell einige elementare Aspekte, wie zum Beispiel Licht und Belebung von Aufenthaltsräumen, die der Prävention zuzuordnen wären, so Semmler. Auch im Bereich Wohnraumschutzgesetz fehle die weibliche Sicht. "Zu den Menschen, die auf sehr günstigen Wohnraum angewiesen sind, gehören zum Beispiel auch viele Alleinerziehende und Rentnerinnen mit sehr kleinen Renten", so die Gleichstellungsbeauftragte. Ein Teil der erwähnten Überbelegung gehe auf sogenannte „Monteurs-Wohnungen“ zurück, die als „Ferienwohnungen“ ausgewiesen und vermietet werden. Es gehe also um mehr als nur „Überbelegung“, die Lärm und Schmutz verursacht: Frauen berichteten von Belästigungen und Angst im eigenen, engsten Wohnumfeld.
Auch die Prävention dürfe laut Simone-Jeanine Semmler nicht vergessen werden. Hier solle das vom Rat mit dem Konzept zur Umsetzung der Istanbul-Konvention beschlossene partizipative Jungenprojekt schnellstmöglich umgesetzt werden. Ein partizipatives Konzept für Jungen oder junge Männer wie „Heroes“ in Berlin oder „Brothers“ in Göttingen adressiere gezielt eine der im "Salzgitter sicher und Sauber 2.0."-Konzept als problematisch ausgewiesenen Gruppen von Menschen.