Sechs Mal sozial: OB-Kandidaten diskutierten über Mietpreise und Arbeit

von Christina Balder




Braunschweig. Was tun gegen zu hohe Mieten? Wie schafft man es, dass auch Alleinerziehende oder Schwerbehinderte für einen guten Lohn arbeiten können? Ein Patentrezept hatte niemand der sechs Oberbürgermeisterkandidaten, als sie am Donnerstagabend auf Einladung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes über Sozialpolitik diskutierten. Was sie hatten, waren unterschiedliche Meinungen zum Thema Geldausgeben - aber auch die eine oder andere Gemeinsamkeit.



Die Sozialpolitik ist nicht ihre Heimatdisziplin, das geben die meisten der Kandidaten sofort zu. Bis auf Ulrich Markurth (SPD) und Udo Sommerfeld (Linke), die schon jetzt in diesem Bereich tätig sind, müssen sie anders erklären, was sie qualifiziert. "Jeder Mensch ist sozial", warf der Grüne Holger Herlitschke als Argument für sich in die Runde. Merten Herms von den Piraten, seines Zeichens Informatiker bei der Salzgitter AG, betonte die Wichtigkeit von sozialen Kontakten im Projektmanagement. Der Biologe Wolfgang Büchs sagte, Sozial- und Umweltpolitik hätten gemeinsam, dass sie häufig hintenan stünden. Und Hennig Brandes (CDU) habe immerhin seit 1996 über sein politisches Engagement immer wieder locker mit der Sozialpolitik zu tun gehabt, sagte er. Markurth als Sozialdezernent der Stadt nutzte seine Redezeit, um darauf hinzuweisen, dass das Thema "soziales Miteinander" in der Stadt noch "optimierungsfähig" sei.

Auf diesen Standpunkt konnten sich wohl alle Anwesenden einigen. Der Paritätische hatte drei Themenkomplexe vorbereitet, zu denen die Kandidaten sich äußern sollten: die kommunale soziale Daseinsvorsorge und die Bedeutung der Freien Träger, bezahlbarer Wohnraum für sozial Benachteiligte und Wege in Arbeit für Menschen, die schwer in Jobs zu vermitteln sind. Wir haben die Statements der Kandidaten für nach Themengebieten in Redereihenfolge für Sie zusammengefasst:

1: Soziale Daseinsvorsorge, das Angebot an sozialen Diensten und Gütern zur Vorsorge gegen Risiken und zur Grundsicherung des Lebens



  • Herlitschke: Wenn Kommunen all diese Themen alleine bewältigen wollte, wäre das eine Riesenaufgabe. Die Freien Träger seien oft auch kompetenter. Die Stadt müsse die Freien Träger vor allem in finanzieller Hinsicht unterstützen und Ansprechpartner sein.

  • Herms: großer Kritiker von Private-Public-Partnerships. "Wenn alles privat ist, ist nicht mehr gewährleistet, dass es wirklich läuft." Die Stadt müsse gerade im Bereich der Daseinsvorsorge mehr Aufgaben selbst übernehmen.

  • Markurth: Das Geld der Stadt ist endlich, ein Wunschkonzert ist nicht zu bedienen. "Wir müssen uns entscheiden, wo wir Prioritäten setzen." Der Bund sei gefordert, die Kommunen finanziell zu unterstützen, gerade bei Themen wie der Kinderbetreuung. Besonders die Infrastruktur müsse finanziert werden.

  • Brandes: "Ich bin nicht zu neuen Schulden bereit. Die Stadt kann nur solide finanzierte Aufgaben übernehmen". Die Freien Träger seien eine starke Säule der Sozialpolitik; der Staat könne nicht alles selbst machen. "Wenn es der Stadt gut geht, kann sie auch Sozialpolitik machen."

  • Sommerfeld: "Wir müssen sehen: Was müssen wir machen? Was kostet das? Dann müssen wir das Geld irgendwie zusammenkriegen." Sozialpolitik müsse oberste Priorität haben. "Manche Aufgaben übernimmt die Stadt und manches übernehmen die Freien Träger."

  • Büchs: "Wir müssen den Gürtel schon verdammt enger schnallen." Die Freien Träger hätten eine immens wichtige Funktion bei der Erledigung sozialer Aufgaben.


2: Bezahlbarer Wohnraum, Unterbringung von Wohnungslosen und anderen sozial Benachteiligten




Der Paritätische fordert hier mehr sozialen Wohnungsbau als langfristige Lösung. Als Soforthilfen solle die Stadt Belegrechte kaufen, das heißt, die Stadt zahlt an private Wohnungseigentümer Geld, damit diese ihre Wohnungen für sogenannte "Sozialmieter" zur Verfügung stellen. Auch Probewohnen soll mehr möglich sein, als es das momentan ist. Außerdem solle mehr leer stehender Wohnraum genutzt werden, notfalls ohne Sanierung. Die Stadt müsse zudem stärker Wohnungen vermitteln. Auch eine Mietobergrenze hält der Paritätische für ein gutes Mittel.

  • Brandes: "Ich kann nicht immer gleich mit dem Portemonnaie werfen." Die oberste Aufgabe sei es, neuen Wohnraum zu schaffen. Dadurch komme der Markt wieder in Schwung und die Preise würden sich anpassen. "Wenige Wohneinheiten städtisch zu subventionieren, ist der falsche Weg." Leerstehender Wohnraum müsse energetisch saniert werden, um die Nebenkosten niedrig zu halten.

  • Büchs: Die vom Paritätischen vorgeschlagenen Maßnahmen könne er allesamt unterstützen. In der Schuntersiedlung etwa ständen etliche Häuser leer. "Die Stadt muss 1000 Wohnungen finanzieren."

  • Herms: "Baugebiete sind schön und gut, aber es fehlen keine Einfamilienhäuser, sondern bezahlbarer, barrierefreier Wohnraum." Mit Fördergeldern von Land, Bund und EU müsse man sich an innovative Konzepte wagen. Die Stadt könne zum Beispiel die Einrichtung von Senioren-WGs organisatorisch unterstützen, "es muss ja nicht immer mit Bargeld sein."

  • Herlitschke: Ein kommunales Wohnraumprogramm sei nötig. "Wir müssen Wohnungen mit niedriger Einstiegsmiete bauen; wir können uns nicht nur auf private Investoren verlassen." Belegrechte seien außerdem ein wichtiges Instrument. Man könne auch Wohnungen sanieren, müsse diese dann hinterher aber mit Zuschüssen auf das Mietniveau von vor der Sanierung drücken.

  • Markurth: "Wir können dem Vermietermarkt nur durch die Förderung von Wohnungsbau begegnen." Sozialer Wohnungsbau sei aber Ländersache: "Wir müssen das Land dazu auffordern." Er fordert nicht nur ein Beleg-, sondern ein Besetzungsrecht. "Das heißt, die Stadt macht einen Vorschlag für einen Mieter, und der kommt dann in die Wohnung." Das Probewohnen sei zwar aufwändig und teuer, müsse aber von 15 Probewohneinheiten auf 50 erhöht werden.

  • Sommerfeld: "Warum findet sozialer Wohnungsbau immer nur in den Brennpunkten statt? Warum nicht mal sozialer Wohnungbau in Mascherode oder am Zuckerberg?" Er wolle keine Ghettoisierung. Probewohnen hält auch Sommerfeld für eine gute Lösung.


3. Arbeit für Menschen mit "multiplen Vermittlungshemmnissen", also Alleinerziehende ohne Kinderbetreuung, Schwerbehinderte oder Menschen ohne Schulabschluss, mit Vorstrafen oder ähnlichem.



  • Sommerfeld: "Es ist ein Unding, dass die Kommunen mit den Auswirkungen der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland belastet werden." Beschäftigungszuschüsse seien möglich. Und: "ich bin nicht für mangelnde Kritik bekannt, aber im Bereich der Krippen sind wir auf einem guten Weg, auch etwas für die Alleinerziehenden zu tun."

  • Markurth: "Wir müssen weniger schauen, was der Arbeitsmarkt braucht, sondern: Was können die Menschen, was kann man tun, um sie zu fördern?" Alleinerziehende hätten allerdings bereits jetzt das Recht auf einen Betreuungsplatz. "Gebt den Kommunen das Geld und wir legen kommunale Beschäftigungsprogramme auf!" Dauerhafte, sozialversicherungspflichte Beschäftigung auch für schwer Vermittelbare sei das Ziel.

  • Büchs: "Wir müssen die Bürgerarbeit ausbauen und Bildungsangebote finanzieren."

  • Herms: "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass behinderte Mitarbeiter genauso gut oder sogar besser arbeiten als nichtbehinderte Kollegen." Die Stadt müsse mehr dafür werben, dass Behinderte in Unternehmen eingestellt werden.

  • Herlitschke: In weiten Teilen schließe er sich Herms, Markurth und Sommerfeld an. "Auch Menschen, die in der Regel nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt kommen, brauchen eine Perspektive für ein geregeltes Leben."

  • Brandes: Die Betreuung der Kinder von Alleinerziehende sei ein Problem, da sie oft mit der Einschulung ende. "Ich setze mich für eine durchgehende Kinderbetreuung ein." Man müsse die Freien Träger einbinden, auch bei der Entwicklung sinnvoller Arbeiten. "Auf Dauer ist es nicht befriedigend, nur Unkraut aus Fugen zu kratzen."













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