Region. Der niedersächsische Landtagsvizepräsident Frank Oesterhelweg (CDU) hatte am Montag in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die SPD aufgefordert, ein Parteiausschlussverfahren gegen Altkanzler Gerhard Schröder in Erwägung zu ziehen. Hintergrund ist Schröders Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin. Außerdem kritisiert Oesterhelweg, dass Schröder weiterhin einen Dienstwagen und ein Büro von öffentlichen Geldern finanziert bekomme, obwohl er mit seinen Ansichten Deutschland nicht mehr repräsentiere. regionalHeute.de fragte nun bei den Bundestags- und Landtagsabgeordneten der SPD aus unserer Region nach, ob sie die Forderung für begründet und realistisch halten. Ist ein Parteiausschluss denkbar?
"Aus meiner Sicht ist es unumgänglich, dass Gerhard Schröder seine Posten bei Rosneft und Gazprom niederlegt. Ich sehe hier tatsächlich eine Unvereinbarkeit dieser Tätigkeiten und der Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Entsprechende Aufforderungen sind schon an Gerhard Schröder herangetragen worden. Mir ist auch bekannt, dass Parteimitglieder entsprechende Anträge formuliert haben. Ich unterstütze das", stellt die Wolfenbütteler Bundestagsabgeordnete Dunja Kreiser klar.
Am Sonntag habe Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung eine weitreichende Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Wladimir Putins auf die Ukraine gezeigt. Die Bundesregierung und das Parlament würden jetzt schnell und entschlossen handeln. "Die Amtsausstattung des Bundestagskanzlers a.D. oder ein langwieriges Parteiausschlussverfahren sehe ich gerade nicht als Aufgabe Nummer eins an. Es ist keine Zeit für politische Spielplätze", so Kreiser abschließend.
"Die Menschen haben Angst"
Noch deutlicher wird der Braunschweiger Bundestagsabgeordnete Dr. Christos Pantazis. Zwar schließe er sich der Kritik an Schröder an, derzeit gebe es aber ganz andere Probleme als ein Parteiausschlussverfahren. "Es herrscht seit Donnerstag Krieg in Europa. Die Menschen haben Angst", wird Pantazis im Gespräch mit regionalHeute.de deutlich. Zudem wirft er Frank Oesterhelweg vor, mit zweierlei Maß zu messen. "Wo waren seine Forderungen nach Parteiausschlussverfahren und dienstrechtlichen Konsequenzen bei den Fällen Christian Wulff und Hans-Georg Maaßen?", fragt der Braunschweiger.
"Ausschlussverfahren nicht aussichtsreich"
Der Wolfenbütteler Landtagsabgeordnete Marcus Bosse nimmt zunächst Schröder in die Pflicht. "Ich erwarte von Gerhard Schröder, dass er sich als Ex-Kanzler dieses Landes zuallererst den deutschen Interessen verpflichtet fühlt. Dazu gehört auch, dass sämtliche Geschäfte mit Wladimir Putin beendet werden, solange dieser mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine das Völkerrecht massiv verletzt und schreckliches Leiden zu verantworten hat. Zwar begrüße ich, dass auch Gerhard Schröder diesen Angriff verurteilt hat, jedoch geht mir das nicht weit genug."
Was ein Parteiausschlussverfahren zum jetzigen Zeitpunkt bezwecken soll, erschließe sich ihm allerdings nicht. Zumal er nicht glaube, dass es von Erfolg gekrönt sein würde. "Aus meiner Sicht gibt es derzeit wichtigere Dinge, als über die Mitgliedschaft eines, wenn auch prominenten, Genossen zu diskutieren", so Bosse abschließend.
"Parteigremien sollen Möglichkeit prüfen"
Seine Wolfsburger Kollegin Immacolata Glosemeyer dagegen schließt ein Parteiausschlussverfahren nicht komplett aus. Sie schreibt: "Gerhard Schröder sollte seine Posten bei den russischen Unternehmen abgeben und nicht nur ruhen lassen. Zudem erwarte ich, dass er das Verhalten von Putin als das benennt, was es ist, nämlich ein klarer Bruch des Völkerrechts. Als ehemaliger Bundeskanzler ist er verpflichtet, Positionen zu vertreten, die solch eines Amtes würdig sind. Dazu gehört auch, klare Stellung zu beziehen und nicht noch weiter Lobbyarbeit für das russische Regime zu betreiben. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, sollten unsere Parteigremien dazu angehalten sein, die Möglichkeit eines Ausschlussverfahrens zu überprüfen. Deutschland steht an der Seite des ukrainischen Volkes und wird den Flüchtlingen unbürokratische Hilfe bieten."
"Wir erwarten eine klare Haltung und konsequentes Handeln"
Ähnlich sieht dies die Braunschweiger Landtagsabgeordnete Annette Schütze. Sie schreibt: "Ich erwarte, dass Herr Schröder eine klare Haltung einnimmt und seine Ämter im Aufsichtsrat in russischen Unternehmen aufgibt. Zudem sollte er den russischen Einmarsch in der Ukraine sowie den Bruch des Völkerrechts öffentlich und eindeutig verurteilen. Eine klare Haltung und konsequentes Handeln sind das, was wir von unserem Altkanzler in dieser Situation erwarten können. Sollten diese Handlungen nicht erfolgen, wird die Parteispitze über ein Parteiausschlussverfahren diskutieren müssen. Ich hoffe aber, dass es nicht dazu kommen wird."
"Statthalter russischer Wirtschaftsinteressen"
Christoph Bratmann, ebenfalls Landtagsabgeordneter aus Braunschweig, bringt noch einen weiteren Aspekt in die Diskussion. "Dass es in meiner Partei Politikerinnen und Politiker gibt, die bisher gute Kontakte nach Russland gepflegt haben und seit vielen Jahren versuchen, den Dialog mit Russland auf verschiedenen Ebenen zu führen, finde ich nach wie vor gut und richtig. Sie haben Putin nie für einen lupenreinen Demokraten gehalten und sind jetzt genauso fassungslos wie ich darüber, dass er sich zu einem lupenreinen Despoten entwickelt hat und einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ohne Rücksicht auf Verluste führt." Doch seiner Ansicht nach habe Gerhard Schröder eine rote Linie überschritten.
"Etwas anderes ist es, wenn man sich zum Statthalter russischer Wirtschaftsinteressen macht. Das war von Anfang an problematisch und ist jetzt absolut nicht mehr vertretbar. Gerhard Schröder muss deshalb sein Engagement für russische Staatskonzerne umgehend beenden und sich klar äußern. Jeder weitere Tag ohne eine eindeutige Positionierung schadet in erster Linie ihm selbst, ist aber auch mit Blick auf seine Verantwortung als Altkanzler schwer zu ertragen." Sowohl die SPD in Niedersachsen als auch die Bundes-SPD hätten sich hierzu klar geäußert. Auf freundliche Ratschläge von Frank Oesterhelweg könne man deshalb in dieser Angelegenheit verzichten.
"Parteitaktische Scharmützel sind unpassend"
Philipp Raulfs, Landtagsabgeordneter aus Gifhorn, äußert sich folgendermaßen: "Russland hat die Ukraine angegriffen und einen Krieg mitten in Europa begonnen. Es wäre daher das einzig richtige und angemessene Zeichen, wenn Gerhard Schröder sein Engagement in russischen Energieunternehmen beendet und sich klar zur Position der SPD bekennt. Wir stehen an der Seite der Ukraine. Da gibt es keinen Kompromiss. Unpassend finde ich, diese tragische Situation für vermeintlich parteitaktische Scharmützel zu nutzen. Nein, wir alle sollten uns stattdessen geschlossen gegen den Angriffskrieg Putins stellen.“
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