Goslar. Ab dem morgigen Mittwoch findet in Goslar der 63. Deutsche Verkehrsgerichtstag statt. Eines der dort behandelten Themen wird sich mit unfallträchtigem Fahrverhalten im modernen Straßenverkehr beschäftigen. Unter dem Motto "Was ist wirklich strafwürdig?" werden die „sieben Todsünden“ des Paragraphen 315c Strafgesetzbuch auf dem Prüfstand gestellt.
Wie es in der Vorankündigung des Verkehrsgerichtstages heißt, nennt besagte Strafvorschrift der Gefährdung des Straßenverkehrs sieben als besonders gefahrenträchtig bewertete verkehrswidrige Verhaltensweisen, die bei grob verkehrswidriger und rücksichtloser Begehung dann strafbar sind, wenn Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden.
Das sind die "Todsünden"
Die dort abschließend aufgezählten „Todsünden“ werden im Gesetz so definiert, wer a) die Vorfahrt nicht beachtet, b) falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt, c) an Fußgängerüberwegen falsch fährt, d) an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt, e) an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält, f) auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder g) haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist.
Katalog seit Jahrzehnten gleich
In Goslar wird nun diskutiert, ob der seit Jahrzehnten unverändert gebliebene Katalog der „Todsünden“ wirklich noch die heute in der Praxis zu beobachtenden unfallträchtigen Fehlverhaltensweisen abdeckt. Bedarf es einer Neubewertung, etwa weil die Vorschrift nur das falsche Fahren am „Fußgängerüberweg“ (das ist allein der Zebrastreifen!) nennt, nicht aber das gleiche Fehlverhalten erfasst, das beim Einbiegen oder an einer mittels Ampel gesicherten Fußgängerfurt auftritt? Was ist mit dem nah auffahrenden Drängler oder dem Temposünder in Schulstraßen? Diese und andere Gesichtspunkte sollen beleuchtet und Lösungsansätze gefunden werden.
Dabei werden die Stimmen der Polizei, eines Fachanwalts für Verkehrsrecht sowie die eines Unfallforschers der Versicherungswirtschaft gehört. Während Polizei und Versicherer geneigt sind, den Katalog zu aktualisieren und zu erweitern, sieht dies der Anwalt anders.
Unfalldaten wurden analysiert
Um zu prüfen, ob die im Gesetz aufgeführten Fehlverhaltensweisen noch dem tatsächlichen Gefährdungspotenzial im Straßenverkehr entsprechen, habe die Unfallforschung der Versicherer einen Datensatz mit 3.235.822 Unfällen analysiert, davon 474.254 Unfälle mit Personenschaden. Im Ergebnis habe sich gezeigt, dass die „sieben Todsünden“ nicht alle wesentlichen Ursachen erfassen, die (mit)ursächlich sind für Unfälle mit Todesfolge. Es werde daher vorgeschlagen, die Auflistung anzupassen und zu erweitern.
Auch seitens der Polizei sieht man einige häufige Handlungen im Straßenverkehr, die für Verkehrsteilnehmer tödlich enden können, die auf der Liste nicht aufgeführt sind. Genannt werden Verstöße rund um die Nutzung elektronischer Geräte, verlorene Ladungsteile und eklatante Parkregelverstöße. Zudem würden einige klare Definitionen fehlen.
Erhöhte Bußgelder gefordert
Skeptisch ist hier dagegen Dr. Philipp Schulz-Merkel, Fachanwalt für Verkehrsrecht. Dieser habe die rechtlichen und praktischen Herausforderungen einer solchen Erweiterung geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass dies aus seiner Sicht nicht zielführend sei. Genannt wird zum Beispiel die Problematik der Nachweisbarkeit solcher Verstöße bei knappen Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden. Auch seien die Voraussetzungen der groben Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit, die für eine strafrechtliche Relevanz erforderlich seien, zweifelhaft. Viele der betrachteten Verstöße, wie die Nutzung eines Mobiltelefons, würden oft eher aus Unachtsamkeit und nicht aus rücksichtslosen oder eigennützigen Motiven begangen und würden daher nicht den Strafrahmen des genannten Paragraphen rechtfertigen.
Schulz-Merkel halte das gegenwärtige Sanktionssystem für ausreichend. Statt einer Strafverschärfung sollten bestehende Maßnahmen durch Präventionsansätze wie verpflichtende technische Fahrassistenzsysteme ergänzt werden. Zudem sollten Verkehrsteilnehmer durch erhöhte Bußgelder und stärkere Aufklärungsmaßnahmen von Verkehrsverstößen abgehalten werden.