Vom Nazi-Opfer zum Stalin-Anhänger: Ein jüdisch-Wolfenbütteler Leben

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Jürgen Kumlehns neuer Band "Jüdische Familien in Wolfenbüttel" ist im Dezember erschienen. Im Mittelpunkt steht der Autor Werner Ilberg. Foto: Alexander Dontscheff
Jürgen Kumlehns neuer Band "Jüdische Familien in Wolfenbüttel" ist im Dezember erschienen. Im Mittelpunkt steht der Autor Werner Ilberg. Foto: Alexander Dontscheff

Wolfenbüttel. Den Folterkeller der Nazis überlebt, zweimal aus der SPD ausgeschlossen und vor der KPD im Westen in die DDR geflüchtet: Der Wolfenbütteler Schriftsteller Werner Ilberg (1896 bis 1978) hatte wahrlich ein bewegtes Leben. Dies sieht auch der Wolfenbütteler "Erinnerer" Jürgen Kumlehn so und hat ihm den zweiten Band seiner Reihe "Jüdische Familien in Wolfenbüttel" gewidmet, der jüngst erschienen ist.


Der Fund des Buches "Die Fahne der Witwe Grasbach" des Wolfenbütteler Autors jüdischen Glaubens in einem Braunschweiger Antiquariat sei quasi der Auslöser für ihn gewesen, sich mit dem Thema jüdische Familien in Wolfenbüttel zu beschäftigen, erklärte Jürgen Kumlehn in einem Pressegespräch am heutigen Freitag. Da die Rechercheergebnisse zu Werner Ilberg besonders ergiebig gewesen seien, habe er - auch auf Anraten von Bürgermeister Thomas Pink - diesem einen eigenen Band gewidmet.

Flucht in die Tschechoslowakei und nach England


Und in der Tat ist das Leben des gebürtigen Wolfenbüttelers und Schüler der Samsonschule bemerkenswert. Alsbegeisterter Teilnehmer amErsten Weltkrieg wurde er danach zum Kriegsgegner, zunächst Sozialist und SPD-Mitglied, später Kommunist. Als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus wurde er in einem SA-Keller gefoltert. Dies geschah in Berlin, wohin er nach dem Konkurs seines Textilgeschäftes in der Langen Herzogstraße 1932 gezogen war. Nur durch die Bestechung eines Nazi-Anwaltes kam er aus der Haft frei und flüchtete noch 1933 in die Tschechoslowakei, später nach England.

1947 kehrte Ilberg nach Wolfenbüttel zurück, wo er im Auftrag der KPD den Kommunismus mit aufbauen sollte. Bei der Bundestagswahl 1949 trat er als Kandidat der KPD in Wolfenbüttel an. Doch zunehmend gab es Konflikte mit der Partei sowie Interessenskonflikte zwischen seinem Beruf als Autor und seiner Tätigkeit als Parteifunktionär. In der Konsequenz floh der Autor, der insgesamt fünfmal verheiratet war, 1956 regelrecht vor der KPD in die DDR. Dort lebte er bis zu seinem Tod 1978 als Autor und Kulturkritiker für das "Neue Deutschland". Als anerkanntem "Opfer des Nationalsozialismus" verzieh man ihm alsbald den Bruch mit den West-Kommunisten.

Vom Nazi-Opfer zum Stalin-Anhänger


"Den Leser erwartet die ungewöhnliche Biographie eines Mannes, der insgesamt über 40 Jahre in Wolfenbüttel gelebt hat und eine bedeutende Persönlichkeit der politischen Wolfenbütteler Geschichte ist", wirbt Jürgen Kumlehn für sein Buch. Dabei sieht er die Person Ilberg auch durchaus kritisch. "Ich kann nicht begreifen, wie ein Mann, der gegen die Nazis gekämpft, der zwei Ehefrauen und ein Sohn im Vernichtungslager verloren hat, später ein unkritischer Funktionär im DDR-Staat wurde, Lobpreisungen auf den Diktator und Massenmörder Stalin schrieb und selbst andere Autoren denunzierte", so der "Erinnerer".

Das Buch ist mit Unterstützung von Stadt und Landkreis Wolfenbüttel, sowie der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Partei Bündnis 90/Die Grünen entstanden und wurde in einer Auflage von 300 Exemplaren gedruckt. Es ist über den Buchhandel und den Appelhans Verlag erhältlich.


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