Zum 50. Jahrestag des Mauerbaus – ein Essay von Björn Thümler, Fraktionsvorsitzender der CDU-Landtagsfraktion – ungekürzt und unkommentiert:
Am 13. August 2011 jährt sich der Bau der Berliner Mauer zum fünfzigsten Mal. Die bis dahin mehr oder weniger durchlässige Grenze nach Westdeutschland bzw. in die freie westliche Welt wurde endgültig abgeriegelt. Etwa 150 000 Menschen wollten nach Beginn des Mauerbaus flüchten, aber weniger als ein Drittel davon kamen im Westen unversehrt an. Die Machthaber der Sowjetunion griffen in der DDR durch und schotteten die Verbindung nach Westeuropa durch den Beschluss einer bewachten und verteidigten Grenzanlage auf der gesamten Länge der innerdeutschen Grenze ab.
Was an jenem Sonntag im August geschah war ein deutliches Zeichen an die westliche Welt: Willkür, Repression und diffuse Angst waren die Mittel, die jene Menschen, die in der DDR verharrten, in Zukunft spüren würden. Die Unmenschlichkeit zeigte sich nicht zuletzt darin, dass die Menschen gegen ihren Willen im großen Stil auf dem Territorium der DDR festgehalten und ausspioniert wurden. Das alles, ohne irgendeine Legitimation oder gar Straftat – zumindest nach unserem Verständnis von Recht und Staatlichkeit – begangen zu haben.
Ein Staat ohne Vergangenheit (und ohne Zukunft), braucht starke Feindbilder um zu überleben. In diesem Verständnis und aus dem grassierenden Misstrauen gegenüber dem „Klassenfeind“ fand sich das Feindbild nicht nur im Westen, sondern auch in den Reihen der eigenen Untertanen. Der Generalverdacht und die Unmöglichkeit zu beweisen, dass man sich nicht der vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ausgekungelten Verbrechen schuldig gemacht hat, sorgte für ein Klima der Angst. Dies belegen die anfänglich starken Fluchten aus der DDR und die fortwährenden Versuche dem SED-Regime zu entkommen.
Walter Ulbricht verriet im Prinzip bereits am 15. Juli 1961 die Absicht die DDR mittels einer Mauer und der verstärkten Bewachung der Grenze abzuriegeln. Auf die Frage von Annamarie Doherr einer Journalistin der Frankfurter Rundschau: „Ich möchte eine Zusatzfrage stellen. Doherr, Frankfurter Rundschau. Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung einer freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?“1 antwortete Ulbricht:
„Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Ääh, mir ist nicht bekannt, dass [eine] solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll ausgenutzt, ääh, eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“2
Damit wurde das erste Mal über eine Mauer gesprochen, die weder von der Fragestellerin noch sonst jemanden abgefragt wurde. Der perfide Plan der SED-Führung war lang vorbereitet und genau ausgearbeitet. Der damalige
SED Chef Ulbricht beeindruckte den Abgesandten Chruschtschows, der ihm die Zustimmung zur Abregelung übermittelte, mit seiner profunden Kenntnis über die Mengen an Material, die zum Bau der Mauer und den weiteren Grenzanlagen notwendig waren.3 Auch dies zeugte von einer langen Vorbereitung.
Die Heranziehung des neuen kommunistischen Menschen und die dazu notwendige Elite war stets ein Anliegen der Machthaber. Die DDR sollte als Vorzeigestaat, als überlegen gelten. Dabei war wesentlich, dass der SED-Führung
unbedingt Folge zu leisten sei. Die sozialistische Intelligenz sollte die Führung übernehmen.4 Doch selbst die neue Elite an den Hochschulen war nicht überzeugt von der Staatsidee, die die SED vorgab:
„Der Mauerbau zog an den Universitäten und Hochschulen kurzfristig zwei Konsequenzen nach sich. Zum einen flüchteten Hunderte Universitätsangehörige in den Westen, vom Professor bis zum Studenten und Angestellten. Allein an der Berliner Charité fehlten nach dem 13. August über fünfzig Ärzte, nahezu jeder zehnte der dort beschäftigten Ärzte. [...] Die zweite kurzfristige Folge der Absperrmaßnahmen waren scharfe Auseinandersetzungen der SED mit einzelnen Personen, die sich kritische gegenüber der kommunistischen Politik äußerten.” 5
Die Zahl der Flüchtlinge blieb zumindest im August noch hoch, bevor gegen Ende des Jahres stark zurückging: „Nachdem zwischen dem 13. und 31. August 1961 noch 25.605 Flüchtlinge in die Westsektoren gelangten, fiel die Zahl der Grenzübertritte bis Dezember 1961 auf 2.420.“6 Der Historiker und ehemalige Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin, Manfred Wilke, deutet den Mauerbau als Versuch
etwas zu retten, was nicht mehr zu retten war. „Durch den Mauerbau hat sich die SED 28 Jahre Zeit erkauft.“7 Dieser Verdacht wird auch in der Anordnung des damaligen Innenministers Maron bzgl. Übersiedlungen nach Westdeutschland oder Westberlin deutlich. Darin wird festgehalten, dass Menschen, die der DDR Kosten verursachen, weiterhin ausreisen dürften. Alle anderen Anträge zur Übersiedlungen seien abzulehnen.8 Ab diesem Zeitpunkt erschienen legale Ausreisen schier unmöglich. In einem Fernschreiben wurden diese Anordnungen an alle Bezirke der DDR kommuniziert. In diesem Schreiben zeigten sich wiederum das Misstrauen gegenüber den eigenen Mitbürgern sowie ein erhebliches Maß an Menschenverachtung.9
Der damalige Verteidigungsminister der DDR, Heinz Hoffmann, machte das Maß an Menschenverachtung deutlich und zeigte bereits 06. Oktober 1961 wie weit die Staatsführung bereit war zu gehen, um ihre „Bürger“ zu kontrollieren und einzusperren: „Wer unsere Grenze nicht respektiert, der bekommt die Kugel zu spüren“10 lauteten seine Worte. Tatsächlich forderte diese Form der Kontrolle der Untertanen mindestens 133 Tote11
sowie zahlreiche Verletzte allein an der Berliner Mauer. An der innerdeutschen Grenze ließen zwischen 700 und 1200 Menschen ihr Leben.12 Heute, mehr als zwanzig Jahre nachdem die Bürger in Ostdeutschland durch
außergewöhnlichen Mut und Einsatz die SED-Diktatur in die Knie gezwungen haben, wissen junge Menschen oftmals wenig über die Geschichte der DDR.
Dabei sind Unwissenheit und Verklärung gleichermaßen gefährlich. Deswegen muss es ein zentrales Anliegen sein, die DDR-Geschichte im Unterricht verstärkt aufzuarbeiten. Die letzten Schüler, die in der DDR aufgewachsen sind,
studieren heute oder sind bereits in einem Beruf tätig. Unsere Schüler leben in Freiheit. Sie nehmen ganz selbstverständlich unsere Rechte auf Kritik am Staat, auf Demonstrationen, auf Widerspruch, auf Klagen war – all diese Rechte, die den Bürgern der DDR versagt geblieben sind. Sie erleben, dass selbst die stärksten Gegner unseres Staates wissen, dass sie wegen ihrer Gesinnung nicht eines Nachts von der Stasi oder einer anderen Geheimpolizei abgeholt werden. Das ist Freiheit. Diese gewährleistet und schützt unser Rechtsstaat durch rechtliche Garantien und Freiheiten.
Unsere Schüler sollen und müssen lernen, was Diktatur tatsächlich bedeutet – damit sich so etwas nicht noch einmal in Deutschland wiederholen kann. Die Auseinandersetzung mit dem SED-Unrechtsstaat kann vor allem einen Beitrag
dahingehend leisten, mögliche Gefährdungen der Demokratie zu erkennen und Freiheit wertzuschätzen.
Niemand möchte den ehemaligen Bürgern der DDR ihre privaten positiven Erinnerungen nehmen. Es ist unstrittig, dass auch die DDR-Bürger ihr privates Glück fanden. Dennoch ist die so genannte „Ostalgie“ unangebracht. Mancherorts ist ein nostalgischer, ja beschönigender und verklärender Rückblick entstanden. An der Umdeutung der SED-Diktatur zum autoritären Sozialstaat arbeitet insbesondere die Linkspartei intensiv. Bis heute hat die Partei, die in direkter unmittelbarer Nachfolge zur SED steht13, sich nicht klar und eindeutig von den im Namen der Sozialismus begangenen Verbrechen distanziert. Im Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms zeichnet sie ein DDR-Bild, das den historischen Tatsachen und Begebenheiten Hohn spricht. Darüber hinaus lehnt diese Partei unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung ab, will Zwangsverstaatlichungen und die außenpolitische Isolation Deutschlands.
In höchstem Maße fragwürdig ist ebenfalls der Umgang der Linkspartei bezüglich des so genannten Schießbefehls. Hier findet bis heute keine Distanzierung, keine Reflexion und vor allem keine eindeutige Anerkennung der historischen Begebenheiten statt. So darf an die Äußerungen Lothar Biskys 2008 erinnert werden, einen generellen Schießbefehl habe es in der DDR nicht gegeben. Zuvor hatte Linken-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch einen von der Birthler-Behörde veröffentlichten Schießbefehl einer Stasi-Sondereinheit als Dokument bezeichnet, das auch den DDR-Gesetzen widersprochen habe.
Dabei ist der Wille der SED-Diktatur, die Flucht von eigenen Bürgern mit Waffengewalt zu verhindern, durch eigene Papiere der DDR-Machthaber vielfältig belegt. Walter Ulbricht hatte dem Politbüro schon am 22. August 1961, neun
Tage nach der Abriegelung West-Berlins, festgestellt: “Manche sagen, Deutsche können doch nicht auf Deutsche schießen. Auf die Deutschen, die den deutschen Imperialismus vertreten, werden wir schießen. Wer provoziert, auf
den wird geschossen!”14 Dies ist seit 1992 im Bundesarchiv nachprüfbar.
Das sehnsuchtsvolle Ziel der SED-Erben ist nach wie vor der Kommunismus, den es durch „Ausprobieren“ unbeirrbar zu erreichen gilt – so zu lesen in dem Pamphlet der Vorsitzende der Linkspartei Gesine Lötzsch. „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen.“15
Gesine Lötzsch hielt es nicht für nötig, die vielen Toten und der schreckliche Terror, die der Kommunismus zu verantworten hat, in ihren Ausführungen zu beschreiben. Mit keiner Silbe erwähnte sie die geistigen Verwüstungen, die der Kommunismus weltweit angerichtet hat. Keine Zeile verwendete die Vorsitzende der Linkspartei auf das katastrophale ökonomische, ökologische und soziale Desaster, das der Kommunismus rund um den Globus hinterlassen hat. Umso ausführlicher pries Gesine Lötzsch dafür Rosa Luxemburg an, jene Mitbegründerin der KPD, die zum Putsch gegen die Weimarer Republik aufrief, Sozialdemokraten als „Zuchthäusler“16 bezeichnete, welche „überhaupt nicht in eine anständige Gesellschaft hineingehören“17.
Auch diese Verehrung einer Person, deren demokratische Gesinnung mehr als zweifelhaft ist, offenbart das gestörte
Verhältnis der SED-Erben zu unserer freiheitlichen Demokratie. Mit Sorge muss ebenfalls auf die Antisemitismus-Debatte in der Linkspartei geschaut werden, die auch nach dem Programmentwurf weiter andauern wird. Diese Debatte innerhalb der Partei zeigt, wie beängstigend nahe sich Linksund Rechtsextremismus teilweise kommen.18
Spätestens jetzt müsste deshalb auch jedem klar sein: Die Linkspartei will die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes nur taktisch nutzen und strebt eine Überwindung unseres politischen Systems an. Gerade an einem historischen Tag wie heute muss jedem Demokraten klar werden, dass diese Partei in keine weitere Chance zur Regierungsbeteiligung bekommen darf. Die SPD muss endlich rot-roten Bündnissen eine klare Absage erteilen.
Gerade wir Niedersachsen waren mit einer gemeinsamen Grenzlänge zur DDR von ca. 550 km stark davon betroffen. Der 13. August war und ist daher für alle Niedersachsen ein besonderer Tag des Gedenkens an eine gemeinsame Vergangenheit, die durch eine schmerzhafte und unverständliche Trennung gekennzeichnet war. Im 50. Jahr des Mauerbaus wird an zahlreichen Stellen entlang der innerdeutschen Grenze der Opfer gedacht. Das dort geschehene Unrecht darf nicht vergessen werden; dazu können wir einen Beitrag leisten. Der 13. August ist nicht nur ein Gedenken an die Opfer, sonder auch ein Symbol dafür, dass das Unrecht, welches durch die Mauer verdeutlicht wird, durch Menschen überwunden werden konnte. Es liegt an jedem Einzelnen, solches Unrecht frühzeitig zu verhindern.
1 Das Zitat von Annemarie Doherr ist beispielsweise hier nachzulesen: http://www.zeit.de/wissen/geschichte/2011-06/mauerbau-ddr-geschichte/seite-2 (Zugriff: 08. August 2011) 2 Marianne Weil Hrsg. 1997: O-Ton Berlin. Kalter Krieg im Äther. CD-Edition zur gleichnamigen Ausstellung im Zentrum für Berlin-Studien, Berlin, zitiert nach: www.wikipedia.de, Stichwort: Mauerbau (Zugriff: 08. August 2011) 3 Vgl. Kaminsky, Anne/Kellerhoff, Sven Felix 2011: Nur Alte, Arbeitsunfähige, Alleinstehende, in: Die Welt, 21. Juli 2011, S. 8. 4 Vgl. Kowalczuk 2001: Von der Volkserhebung zum Mauerbau, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 30-31/2001, S. 22 5 Kowalczuk a.a.O., S. 28. 6 Kunze, Gerhard 1999: Grenzerfahrungen. Kontakte und Verhandlungen zwischen dem Land Berlin und der DDR 1949-1989, Berlin: Akademie Verlag. 7 Manfred Wilke, zitiert nach ddp 2011: Retten, was nicht mehr zu retten war, in: Nord-West- Zeitung, 18. Juli 2011, S. 5. 8 Vgl. Kaminsky/Kellerhoff, a.a.O. 9 Vgl. Kaminsky/Kellerhoff, a.a.O. 10 http://www.morgenpost.de/printarchiv/politik/article213691/Wer_die_Grenze_nicht_ respektiert_bekommt_die_Kugel.html (Zugriff: 08. August 2011) 11 Vgl. ebd. 12 Vgl. ebd. 13 Karl Holluba versichert an Eides statt: „[…] Ich bin Bundesschatzmeister der Partei ‚DIE LINKE’. Daher weiß ich: ‚DIE LINKE’ ist rechtsidentisch mit der ‚Die Linkspartei.PDS’, die es seit 2005 gab, und der PDS, die es vorher gab, und der SED, die es vorher gab.“ (28.04.2009, Eidesstattliche Erklärung) 14 Neubert, Ehrhart, Die Geschichte der Opposition in der DDR 1949 – 1989, Ch. Links, S. 138.
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