Wolfenbüttel. An diesen Einsatz werden sie noch lange denken. Nach ihrer Rückkehr aus dem Hochwassergebiet in Rheinland-Pfalz berichten sechs Einsatzkräfte der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) von ihren Eindrücken – die sie ganz sicher noch länger begleiten werden.
"Schon bei der Ankunft muss man mit diesen Bildern erstmal fertig werden", erzählt Sibylle Schumacher, eine aus dem Kriseninterventionsteam des DRK-Kreisverbandes Wolfenbüttel. Es sei eben doch etwas anderes, die Situation im Fernsehen zu verfolgen oder mittendrin zu stehen. "Das mussten wir erstmal verarbeiten."
Gleich am ersten Tag gingen die Wolfenbütteler dann auf Fußstreife, und zwar immer eine PSNV-Kraft mit zwei Helfern anderer Betreuungsgruppen und einer Sanitätsausrüstung. "Wir haben Leute angesprochen, die dort zwischen ihren zerstörten Häusern standen." Die Frage nach kleineren Verletzungen (größere wurden umgehend zum Verbandsplatz vermittelt) war dabei oft nur der Türöffner. "Die meisten haben gleich angefangen zu erzählen, von den Eindrücken in der Überflutungsnacht und von ihrem Schicksal seitdem." Genau dafür gibt es die Notfallversorgung: Den Menschen im Gespräch einen Teil ihrer Last nehmen; nicht nur physisch, sondern auch psychisch helfen. "Es war so wichtig, dass die Betroffenen das alles mal loswerden konnten."
Vorbildlich sei die Zusammenarbeit der Hilfskräfte vor Ort gewesen. Das empfanden auch die Wolfenbütteler als ausgesprochen positiv. Foto: DRK
Dabei mussten die Helfer auch auf sich selbst aufpassen. "Achtsamkeit war unabdingbar, denn überall lauerten Gefahren." Gerade in dem Gebiet Bad Neuenahr/Ahrweiler gebe es kaum noch ebene Straßen, alles sei weggeschwemmt oder mit dem schweren Schlamm der dortigen Gegend belegt. "Und dieser Schlamm ist auch noch auf vielfältige Weise kontaminiert", schildert Sibylle Schumacher. "Es finden sich dort Kadaver, Fäkalien, Asbest und immer wieder Bauschutt und Sperrmüll."
Angst vor Plünderern
Hinzu kommen Situationen, die bislang hierzulande wohl unvorstellbar gewesen sind: "In einem Wohnkomplex haben sich Menschen verschanzt, weil sie Plünderungen befürchteten." Das DRK-Team habe sich den Barrikaden sehr vorsichtig genähert und immer wieder "Rotes Kreuz" gerufen. "Erst ganz allmählich wurden die Menschen etwas offener und haben uns mitgeteilt, dass sie Babynahrung brauchen und Insulin." Diese Dinge wurden umgehend beschafft.
Gleich am zweiten Einsatztag kam die Order, alle Helfer sollten ihre Namensschilder von der Einsatzkleidung entfernen. "Wir haben zwar selbst keine solchen Erfahrungen gemacht, aber es sollen mehrere THW-Gruppen mit Müll beworfen worden sein – es waren durchaus komische Leute unterwegs", berichtet das Team. Offenbar gab es Kräfte von Reichsdeutschen und anderen Republik-Gegnern, die in der Notlage neue Anhänger fischen wollten. "Da wurde auch viel gefilmt. Deswegen sollten unsere Namensschilder weg, damit die Helfer nicht im Nachhinein Schwierigkeiten mit diesen Kreisen bekommen."
Dabei zehrte der Einsatz selbst schon genug an den Nerven der Helfer. "Üblicherweise sind solche Einsätze auf 48 Stunden im Katastrophengebiet begrenzt", schildert Sibylle Schumacher. Diesmal wurde das DRK aber gebeten, um 24 Stunden zu verlängern. "Wir haben natürlich zugestimmt und waren schließlich von Donnerstag bis Sonntag in der Zeltstadt." Alle gingen danach schon am Montag wieder zur Arbeit. "Eigentlich hätten wir noch einen Tag frei gehabt, um Abstand zu gewinnen – was gut gewesen wäre, aber das geht natürlich nicht bei jedem."
Große Solidarität
Was bleibt positiv im Gedächtnis? "Die riesige Solidarität vor Ort, das hat uns alle beeindruckt." Auch die unbürokratische Hilfe zwischen allen Einsatzverbänden hebt Sibylle Schumacher hervor: "Als uns der Diesel ausging, wurden wir kurzerhand von einem Bundeswehr-LKW betankt. Es herrscht dort ein unglaubliches Miteinander."
Auch bei den Betroffenen gebe es diesen Durchhaltewillen, der sich speise aus dem "Wir leben noch!". Es gebe aber auch die anderen, bei denen die Skepsis überwiege: "Manche haben ja nur noch das, was sie auf dem Leibe tragen, das ist schon erschütternd." Und so befürchten viele, dass sie nach dem Aktionismus der ersten Monate bald wieder in Vergessenheit geraten aus dem kollektiven Gedächtnis. "Und wir haben auch Ältere gesprochen, die jetzt nur noch weg wollen aus dem Ahrtal."
Das Kriseninterventionsteam des DRK Wolfenbüttel hat also eine schlimme Feuertaufe im Katastrophenfall hinter sich. Und es könnte bald eine weitere folgen. "Es wurden zuerst 80 PSNV-Kräfte auf dem Betreuungsplatz 500 angefordert", erklärt DRK-Vorstand Andreas Ring, "sechs davon kamen aus Wolfenbüttel." Da es so viele Staffeln dieser Art in Deutschland nicht gebe, sei beim übernächsten Schichtwechsel wieder mit einer Anforderung zu rechnen. "Wir befinden uns immer noch im Voralarm", bestätigte Sibylle Schumacher. Gut möglich, dass innerhalb kurzer Zeit wieder Alarm ausgerufen werde. "Bei ersten Mal kam die Anforderung um 20 Uhr abends – um am nächsten Morgen um 6 Uhr ging es los."
Die Stromerzeuger aus dem Bestand der DRK-Kreisverbände der Region wurden in Wolfenbüttel am Exer begutachtet und dann zum Landesverband nach Hannover gebracht. Später gingen sie mit den Austauscheinheiten in das Einsatzgebiet (Betreuungsplatz 500/Gemeinde Grafschaft). Foto: DRK
Unter der Leitung von Rainer Elsner habe es sowohl vor Ort als auch nach der Rückkehr einen intensiven Schulterschluss gegeben. "Die DRK-Kräfte und die Notfallseelsorger des Landkreises bilden gemeinsam die PSNV-Staffel und haben großartig zusammengearbeitet." Und nach der Rückkehr war sofort Jörg Troppa zugegen: Er arbeitet für die Gruppe Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE) – das sind dann die Helfer für die Helfer.
Mittlerweile ist auch die erste Lieferung von Ausrüstung aus Wolfenbüttel im Krisengebiet eingetroffen. Anschaffung, Transport und Verteilung obliegen dem Roten Kreuz. Für die Finanzierung haben sich gleich mehrere Stiftungen zusammengefunden: Neben den Stiftungen und dem Unternehmen der Unternehmerfamilie Mast wird der Fluthilfeeinsatz des DRK auch durch die fme AG aus Braunschweig unterstützt. Außerdem sind bereits viele Spenden auf dem Spendenkonto des DRK eingegangen. Die Daten dieses Kontos lauten IBAN: DE27 2703 2500 0000 0056 15, BIC: BCLSDE21, Kennwort: Fluthilfe.
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